Bloggen Blinde für Blindengeld? – Verbände tun sich schwer

Auch Deutschland fängt an zu Bloggen, rund 60000 Weblogs existieren schon. Aber für die Blindenverbände und die etablierten Politiker sind diese Erscheinungen nur eine Randnotiz wert, wenn überhaupt.

Der Protest erlahmt nicht, zumindest nicht unter den Betroffenen. Schon vor einem Jahr hat die niedersächsische Landesregierung bekannt gegeben, zum 1. Januar 2005 das landesunabhängige Blindengeld streichen zu wollen. Genau das hat sie dann auch getan. Aber dem ging eine riesige Protestwelle voraus. Der Blindenverband in Niedersachsen organisierte zusammen mit den Blindenverbänden im Bund eine Demonstration, zu der am 11. September 2004 rund 10000 Betroffene und „Sympathisanten“ in Hannover erschienen. Für blinde Menschen geht es bei diesem Schritt teilweise um die nackte Existenz, vor allem aber um gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und Nachteilsausgleiche. Mit dem Blindengeld kann man die Barrieren, die es allenthalben in der Gesellschaft gibt, abbauen und damit gleichberechtigt am Gesellschaftsleben teilhaben. Ob es eine Begleitung beim Einkauf oder Behördengang, eine Assistenz im Haus, die teuren Punktschriftbücher oder die Hilfsmittel sind, das Blindengeld sorgt dafür, dass man nach den notwendigen Anschaffungen und den behinderungsbedingten Mehraufwendungen noch genug übrig hat, um mit den Nichtbehinderten in ähnlicher sozialer und finanzieller Lage mithalten zu können und gleichgestellt zu sein.

Ausgerechnet die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen, sozialministerin in Niedersachsen, setzte diese Maßnahme durch. Der Blindenverband reagierte daraufhin mit der Initiierung eines Volksbegehtens zur Wiedereinführung des einkommensunabhängigen Blindengeldes in Niedersachsen.

Am 10. Juni 2005 stieß ich auf das Wahlblog von Ursula von der Leyen. Sie ist damit eine der wenigen Politikerinnen in Deutschland, die sich in der Blogosphäre einfinden und sich der Diskussion mit tausenden Internetnutzerinnen und -Nutzern stellen. Diesen Schritt fand ich gut, und weil das Volksbegehten gerade läuft und noch viele Unterschriften braucht, und weil eine Diskussion in der Blogosphäre dazu führen könnte, dass diese Unterschriften auch kommen, habe ich diese Nachricht gleich den Blindenverbänden weitergegeben. Sie haben viel mehr Möglichkeiten, die Adresse des Blogs zu veröffentlichen und zur Diskussion aufzufordern.

Zunächst einmal geschah nichts.

Am 13. Juni rief ich dann beim Blindenverband meines Vertrauens an und fragte den Pressesprecher, was denn nun wäre. Er kannte die Blogs nicht und wollte sich erst einmal informieren. „Auch unsere EDV-Leute konnten mir nicht sagen, was denn das Besondere an diesen Blogs ist“, sagte er. Wohl wissend, dass in den Blindenverbänden trotz anderslautender Äußerungen die Netzkompetenz nur bei bestimmten Personen besonders ausgeprägt ist, hatte ich die Nachricht schon so gut es ging selbst verbreitet, sogar im lokalen Radio. Trotzdem hatte ich Hoffnung, als am 14. Juni endlich wieder ein Newsletter unseres Blindenverbands erschien. Leider freute ich mich zu früh. Nichts zum Thema Blog von Ursula von der Leyen. Dabei wäre ein Aufruf so wichtig gewesen. Wenn in einem Blog eine Diskussion über das Blindengeld entbrennt, erscheint diese Diskussion kurz auf der Hauptseite und dann im Archiv von blogg.de, und somit werden theoretisch die Leser von rund 60000 Weblogs erreicht.

Es dauerte bis zum 17. Juni, bis in einem weiteren Newsletter ganz unten ein kleiner Hinweis erfolgte. Kein Aufruf, nicht einmal in der Überschrift fand das Thema Erwähnung. Das war es dann.

Ehrlich gesagt bin ich ziemlich enttäuscht. Das Thema Bloggen wird von den Blindenverbänden ebenso wenig ernst genommen, wie von den Politikern der etablierten Parteien. Lediglich die WASG in Nordrhein-westfalen hat wohl die Zeichen der Zeit erkannt, und Markus Schlegel, einer ihrer Kandidaten, bloggt regelmäßig im Wahlblog und bietet interessante Innenansichten. Die Blindenverbände aber, die unbedingt größere Öffentlichkeitswirksamkeit bräuchten, rümpfen etwas von oben herab die Nase. Dabei haben sie ansonsten hervorragende Ideen, gerade was öffentliche Aktionen in den Straßen Hannovers angeht. Meinen Vorschlag, selbst in der Blogosphäre aktiv zu werden, haben die Verbände bislang jedenfalls nicht aufgenommen. Und die Zeit läuft ihnen davon.

Copyright © 2005, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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