Oskar, ich und die neue Heimat

Der Feldherr trifft bei seinen Truppen ein und wird nicht nur bejubelt

Oskar Lafontaine ist mit Sicherheit eine der umstrittensten Persönlichkeiten der deutschen Politik. Jetzt hat er das Parteibuch der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit, und ganz schnell ist er Spitzenkandidat der NRW-WASG.

Schon seit über einer Woche jedoch versucht der Leverkusener Kreis eine Kandidatur Lafontaines zu verhindern, und wendet sich massiv mit einer Erklärung gegen das Linksbündnis mit der PDS. In Mehreren Artikeln und Beiträgen für das Wahlblog habe ich diesen Prozess begleitet. Und ich muss feststellen, dass auch meine Meinung einem Wandlungsprozess unterworfen ist, was mir ehrlich gesagt gefällt, weil ich auf das eingehen kann, was ich höre und lese.

Natürlich gibt es die unterschiedlichsten Stimmen über die WASG und Oskar Lafontaine, das bleibt in einer pluralistischen politischen Landschaft nicht aus. Selten wird jedoch erwähnt, was Oskar Lafontaine selbst sagt. Es gibt eine große Debatte im Wahlblog über die angeblich rechten Äußerungen des Saarländers, und die Zeit seufzt zum Thema WASG: Ach wären sie doch links. Kaum jemand aber liest Oskar Lafontaines politisches Manifest. Es stammt aus dem Jahre 2004 und wurde unter dem Titel So rette ich Deutschland veröffentlicht. Das ist weder ein Kommunistisches Manifest, noch ein Sammelsurium von undurchführbaren politischen Fantastereien. Es handelt sich um ein Programm, mit dem sich auch die WASG einverstanden erklären kann. Wir brauchen eine andere Wirtschaftspolitik, und Oskar Lafontaine legt dar, wie sie nach seiner Meinung sein sollte. Diese kurze, prägnante Darstellung hat mich beeindruckt, und obwohl ich weiß, dass nicht alles davon umzusetzen ist, vor allem wegen der großen Wirtschaftslobby, halte ich den Umbau unseres Wirtschafts- und Sozialsystems, wie er dort beschrieben wird, für wünschenswert.

Die WASG war nicht so begeistert von Lafontaine, wie ich es angenommen hätte. Der Leverkusener Kreis wehrte sich dagegen, dass Lafontaine nur einem Linksbündnis mit der PDS zur Verfügung stehen will, und man nahm ihm übel, dass er die WASG nicht schon im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf unterstützt hatte. Außerdem hat der Kreis Angst, die Identität der WASG könne in einem Bündnis mit der PDS verloren gehen. Ich habe diese Angst verstanden, war aber immer der Auffassung, dass man hier für die Menschen handeln muss, die man vertreten will, und die wollen eine WASG im Bundestag sehen. Eine Parteifusion mit der PDS wäre denn auch nach meiner Auffassung der falsche Weg. Aber wenn man mit der PDS in den Bundestag kommen kann, soll es mir recht sein, dachte ich. Warum muss man sich dann kleinkariert über Oskar Lafontaine streiten? Ich empfand die Situation als Bruderzwist und fragte mich, ob die WASG unter diesen Umständen wirklich die richtige Partei für die sozial benachteiligten Bürger sei, wenn es ihr doch jetzt schon nur um Posten und Positionen geht. Das Verhalten des Vorstandes bestärkte mich auch darin, denn den Mitgliedern des leverkusener Kreises wurden mehrere Steine im Laufe der vergangenen Woche in den Weg gelegt. Die Partei bot ein zerrissenes Bild, und ich hatte nicht den Eindruck, als könnte Oskar Lafontaine etwas daran ändern, schon gar nicht, seit er wegen seiner angeblich rechtsradikalen Äußerungen in die Kritik geraten war. Auch das Stimmungshoch bei den Wahlprognosen beruhigte die Gemüter nicht.

Wie muss eine Partei aussehen, die für die Opfer der Sozialdeformen attraktiv ist? Diese Frage stellte ich mir immer wieder im Laufe der letzten Tage. Sicher ist, dass sie die Sorgen und Nöte derer verstehen soll, die sie vertritt. Sicher ist, dass sie tragfähige, an der Gegenwart ausgerichtete Konzepte haben sollte.
Daran wird sich die WASG messen lassen müssen. Kann sie halten, was sie sich vornimmt? Kann ein Linksbündnis halten, was die WASG verspricht? Will die PDS, so wie sie sich heute darstellt, eine solche Politik für die sozial Schwachen überhaupt durchführen? Wenn man diese Fragen bedenkt, ist die Spannung in der WASG verständlicher. Ich habe lange darüber nachgedacht. Die PDS ist eine Partei, die schon Regierungsverantwortung in einigen Ländern trägt. Sie istt schon jetzt eine Partei, die Arrangements mit der herrschenden Situation trifft; Arrangements, die dazu führen, dass PDS-Landesarbeitsminister die Hartz-Gesetze durchführen. Mit einer solchen Partei zusammen zu gehen, und zwar ausschließlich zu deren Bedingungen, ist ein echtes Problem. Auch hat die PDS einen ausgesprochen großen Machtinstinkt. Die Gefahr besteht, dass die große, machtbewusste PDS die kleine, idealistische WASG schluckt. Das muss man unbedingt verhindern. Die WASG ist aus den Hartz-Protesten hervorgegangen. Sie bringt frischen Wind in die politische Landschaft und könnte der Motor für Veränderungen sein. Beeindruckt hat mich die Entscheidung für die Trennung von Amt und Mandat, die der Landesparteitag in Köln am Wochenende getroffen hat. Es zeugt tatsächlich von einer modernen, demokratischen Partei, dass sie diese Entscheidung getroffen hat. Damit wird die Macht in der Partei aufgeteilt, und die Abgeordneten, die Fraktionen, sind unabhängiger.

Und dann durfte ich heute den Redebeitrag von Markus Schlegel lesen, der beim WASG-Landesparteitag gegen Oskar Lafontaine antrat und der Kandidat des leverkusener Kreises war. Er beschrieb, dass die Menschen, die die Opfer der neoliberalen Politik geworden waren, alle Hoffnung auf die WASG setzten. Er erzählte, dass er bei den Hartz-Protesten dabei gewesen war, und ich erinnere mich selbst an meine eigene Anwesenheit bei den Hartzdemonstrationen hier in Marburg, die ich moderiert habe. Auch ich habe den Willen des harten Kerns gespürt, durchzuhalten und die Hoffnungen der Betroffenen nicht zu enttäuschen und sie zu erhalten. Schlegel erzählte, dass das Bündnis mit der PDS die WASG sogar Stimmen kosten würde, denn die PDS wird bereits als Teil des Problems gesehen, das es zu lösen gilt. Wenn ein Kandidat von Haus zu Haus ginge und sich vorstelle: „Guten Tag, mein Name ist Müller, und ich komme von der demokratischen Linken“, dann würde dieser Mann zur Antwort bekommen: „Sie Meinen Müller von der PDS!“ Und PDS ist eben nicht das, was die Menschen wollen. Sie wollen Abgeordnete, die die Not der Betroffenen nicht nur „durch die Berichte ihrer Referenten“ kennen. Da kann ich nur zustimmen. Es war, wie gesagt, beeindruckend, eine Rede von jemandem zu hören, der selbst als Wahlkämpfer mit den Menschen gesprochen hat und feststellte, dass die akzeptanz für die neue, junge Partei groß genug war, um im ersten Anlauf für 180000 Stimmen in Nordrhein-Westfalen zu reichen.

Diese Rede hat mich schwer ins Nachdenken gebracht. Ich habe das Linksbündnis aus wahltaktischen Gründen immer befürwortet. Aber es darf und kann nicht sein, dass die WASG nun auch durch eine Fusion mit der PDS ihre Wählerschaft verrät. Und was Oskar Lafontaine angeht: Er hat die Gabe, eine neue Politik schlüssig zu erklären und die Massen zu begeistern. Aber welchen Preis sollte die WASG für diesen ausgefuchsten Politprofi zahlen? Ich glaube, der Preis kann auch hier nicht die eigene Identität sein. Die WASG ist eben kein Oskarwahlverein, sondern Lafontaine schließt sich einer Partei an, deren Ziele er vertritt. Wenn dies nicht gewährleistet ist, dann sollte die WASG es ohne ihn versuchen.

Nun scheint es, als ob die Entwicklung über diese Option bereits hinweggegangen ist. Aber eines weiß ich: Solange Leute wie Markus Schlegel in der WASG aktiv sind, solange ist die Tuchfühlung mit den Betroffenen, den Menschen, wegen derer die WASG antritt, nicht verloren. Und solange ist es auch noch möglich, sich für eine WASG zu engagieren, die eine echte Alternative zu den etablierten und lobbyerweichten Parteien darstellt.

Die WASG wird meine neue Partei.

Copyright © 2005, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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5 Antworten zu Oskar, ich und die neue Heimat

  1. Marian sagt:

    Tja, bei Dir trifft leider die häufig falsch verwendete Formulierung zu, dass man sich von den eigenen Links distanziert. Denn da hast du schlampig recherchiert.

    Was Deine Thesen zum Thema Lafontaine und PDS angeht: Ich prophezeie der WASG, dass sie ohne PDS und Lafontaine dauerhaft unter 2 % bleibt.

    Keine andere Partei hat ein dermassenes Medienecho wie die WASG zu ihrer Gründung gehabt und keiner anderer Partei wurde dementsprechend so einfach ihr eigenes Wahlprofil dem Wähler mitgeteilt. Und dafür fand ich 180.000 Stimmen dann doch viel zu wenig.

    Was glaubt die WASG bzw. der Leverkusener Kreis, wer sie sind? Wer Politik machen will muss eines können: Kompromisse schliessen und glaubwürdig sein. Und das kann man nur, wenn man geltendes Recht nicht verletzt. Von daher ist der Vorwurf, dass PDS-Minister Hartz IV mit umsetzen, sei er nicht polemisch und irreführend geschrieben, nicht richtig bedacht.

    Wie sich die WASG im Augenblick darstellt, das ist ein grosses Problem. Denn es geht ja wohl derzeit um die Bündelung aller Kräfte gegen Hartz IV, ansonsten ist alles für die Katz. Und das hat Oskar Lafontaine ebenfalls erkannt, weshalb er auf ein Bündnis und eine Bündelung drängt. Was nur richtig ist!

    Ginge es nur um Posten und Macht, wäre genau die PDS besser beraten, nicht mit der WASG zusammenzuarbeiten. Die PDS hat grössere Chancen, alleine über 5 % zu kommen oder mit drei Direktmandaten in den Bundestag zu kommen. Da zeigt sich die PDS derzeit viel flexibler und umgänglicher, als die WASG.

    Aber darauf kommt es dieses Jahr gar nicht mehr an. Das einzige Ziel kann nur sein, dass eine Partei gegen Hartz-IV mit Kapitalismuskritischer Politik drittstärkste Kraft und zweistelligem Ergebnis wird. Und wer da der Meinung ist, sich nicht einordnen zu können, der macht einen Fehler.
    Aber es war schon so häufig so, dass der Schwanz versucht hat, mit dem Hund zu wedeln.

  2. Danke für den freundlichen, wenn auch unvollständigen Hinweis der Links wegen, ich arbeite daran und habe bereits einen Fehler gefunden. Entschuldigung.

    Die WASG hat drei Monate nach ihrer offiziellen Gründung 180000 Stimmen geholt. Das ist, finde ich, beachtlich. Ich sage auch, dass Lafontaine für die Partei derzeit gut ist. Auch das Bündnis hat derzeit Vorteile. Aber man muss auch über Alternativen nachdenken und darüber, was Profil kostet.

  3. Marian sagt:

    Hallo Jens,
    ich habe nur den einen falschen Link gefunden, musst glaub ich nicht weitersuchen. Das ist sicher so einer der Standardfehler die viele machen (ist mir früher auch schon passiert) und die Firma, die auf der URL sitzt, ist sicher der grösste Verlierer, wenn sich die PDS umbenennen sollte.

    Wie schon gesagt, ich finde die 180.000 Stimmen mau, zumal bei der Wahl die Wähler ohne Bedenken hätten Protest wählen können.

    Oder hat es doch einen anderen Grund, dass die WASG unter 3 % geblieben ist? Traut man der WASG nicht zu, wirklich etwas bewegen zu können?
    Wenn man nach dem Ergebnis geht, holt die PDS bundesweit doppelt so viele Stimmen, und wenn man dann noch auf Landesebene geht, kommt die PDS sogar auf einen bis zu 10 mal so hohen Prozentanteil !!!

    Zwei weitere Anmerkungen noch:
    Erstens:
    Du schreibst die WASG bringt frischen Wind. Im Streit um die Namensgebung allerdings verhalten sich Teile konservativer und unflexibler als alle im Bundestag vertretenden Parteien.
    Zweitens:
    Zu “ “Sie Meinen Müller von der PDS!” Und PDS ist eben nicht das, was die Menschen wollen. Sie wollen Abgeordnete, die die Not der Betroffenen nicht nur “durch die Berichte ihrer Referenten” kennen.

    a) Wer da nicht wie aus der Pistole geschossen antwortet: Ja, die machen auch mit. Wie sieht es denn mit Ihnen aus, sind Sie auch für ein breites Bündnis gegen Hartz IV und weiteren Sozialabbau?“, der sollte sich den Film „Leben des Brian“ ansehen und sich mit den tieferen Gedanken der Jüdäischen Volksfront, der Volksfront und der Populären Front
    beschäftigen.
    Was die „Not der Leute über die Sicht der Referenten“ angeht – gerade aus diesem Grunde ist die PDS im Osten sehr stark und selbst Christliche arbeiten mit ihnen auf kommunaler Basis zusammen, weil sie dicht an der ostdeutschen Bevölkerung dran sind.
    Da sollte man vielleicht selber erstmal vor Ort recherchieren, mal in die neuen Bundesländer fahren und mit PDS-Wählern sprechen …
    Allerdings gibt es immer noch eine grosse Anzahl von Westdeutschen, die von den neuen Bundesländern kaum mehr als die Autobahnen gesehen haben, wenn überhaupt …

  4. Die Diskussion ist interessant, und danke noch mal für den Linkhinweis.

    Ich bestreite nicht und habe es nie bestritten, dass die PDS gute Ansätze hat. Ich habe in diesem Falle aus der Rede eines WASG-Menschen zitiert, die ich sehr beeindruckend fand, und ich konnte mir gut vorstellen, dass Menschen in NRW so reagieren, wenn ein Mensch von der „demokratischen Linken“ auftaucht.

    Ich weiß sehr gut, dass es in einigen Kommunen in Deutschland, egal ob Ost oder West, ich finde, dieses Schubladendenken sollten wir uns abgewöhnen, schwarz-tiefrote Koalitionen gibt. Ich weiß, dass Leute von der PDS dort eine Menge machen. Aber ich weiß auch, dass die PDS eine machtbewusste Partei ist, die durchaus schon mal in der Lage ist, Wahlversprechen in einer Koalitionsregierung leise zugrabe zu tragen. Tun wohl alle, aber dann sollen sie nicht immer behaupten, sie tun es nicht.

    Was die 180000 Stimmen angeht, klar war es wenig. Aber die PDS hatte 15 Jahre Zeit sich aufzubauen, die WASG 3 Monate. Keiner schafft das in so kurzer Zeit, absolut keiner!!

  5. peter sagt:

    der leverkusener kreis macht es richtig.
    weiter so !!!!

    die nichtlinken freuen sich schon lange über die kleinkariertheit der sogenannten linken !

    teile und herrsche war schon immer ein wirksames mittel – besonders in der politik.

    wenn einigkeit in der nachkriegsgewerkschaft war, dann erreichten wir am meisten …. sektierer (auch wenn manche forderungen richtig waren-doch nicht durchsetzbar-und die bonzen um ihren einfluß bangten) nutzten objektiv der arbeitgeberseite.

    wenn alle anderen sogenannten demokratischen (asozialen !) parteien so gegen dieses linksbündnis schießen, dann wissen diese genau – warum.

    leider wird die kontrolle der gewählten von uns wähler nicht mehr wahrgenommen, oder nicht ermöglicht. (du hast ja deine stimme abgegeben !)

    beispielhaft ist das verhalten der berliner pds. ( sozialabbau geht so viel reibungsloser …)

    deshalb hoffe ich auf die wasg-vertreter bei den sog. linken!

    peter s.
    westberliner bürger
    (gewesener gewerkschaftsfunktionär)

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