Eine späte Entschuldigung

Die Niederlande drücken ihr Bedauern über Besatzung Indonesiens aus

Als ich heute die Nachrichten der Niederländischen Rundfunkstiftung las, stieß ich auf eine Meldung, mit der ich nicht gerechnet hatte.

Die Regierung Balkenende beabsichtigt, in Indonesien ihr Bedauern über die niederländische Besatzungs- und Kriegspolitik nach dem zweiten Weltkrieg zum Ausdruck zu bringen. Das ist keineswegs selbstverständlich, und ich habe geglaubt, der bornierte Teil der niederländischen Politik setzt sich durch. Dort will man nämlich um keinen Preis eigene Schuld eingestehen.

Das Problem ist eigentlich so alt wie die Menschheit. Irgendwer baut mist, aber zum Entschuldigen reicht es nicht, denn damit würde man ja sein Gesicht verlieren. Deshalb gilt eine Entschuldigung in der Politik auch in vielen Fällen als höchste Demütigung. So ist man auf den Gedanken verfallen, man könnte das Wort „Entschuldigung“ vermeiden und durch „Bedauern“ ersetzen. Aber dieses Bedauern ist immerhin ein erster Schritt.

Vor dem zweiten Weltkrieg war Indonesien eine niederländische Kolonie. Als die Deutschen im Mai 1940 das Mutterland besetzten, wurde Indonesien immer noch von der niederländischen Exilregierung kontrolliert, bis das japanische Kaiserreich 1942 dort einfiel und das Land besetzte. Allerdings regte sich im Land heftiger Widerstand gegen die japanische Besatzung, und gleichzeitig setzte sich die Erkenntnis durch, dass nach Beendigung des Krieges der Kolonialstatus nicht wiederhergestellt werden konnte. Die Niederländer aber, die mit der Demütigung ihrer eigenen Besetzung leben mussten, wollten das nicht hinnehmen.

Am 15. August 1945 kapitulierten die japanischen Streitkräfte in Indonesien, und zwei Tage später rief der spätere Präsident der Republik Indonesien, Sukarno, die Unabhängigkeit von den Niederlanden aus. Etwa zur gleichen Zeit begann man in den Niederlanden selbst, das Schicksal des Landes wieder in die eigenen Hände zu nehmen, und die neue Regierung beabsichtigte, die Besatzungszeit so gut es ging zu tilgen und zu verdrängen. Veränderungen wollte man nicht hinnehmen. Also verweigerte man Indonesien die Unabhängigkeit und schickte sogenannte „Polizeikräfte“ nach Fernost, um die „Aufständischen“ zu bannen. Vier Jahre lang versuchten die Niederlande, ihre ehemalige Kolonie mit Gewalt und Kriegsmaßnahmen zu halten. Vier Jahre lang leistete sich ein tolerantes und aufgeklärtes Land, das gerade einen schrecklichen Krieg und eine brutale Besatzung hinter sich gebracht hatte, Menschenrechtsverletzungen, die grausam und abstoßend waren. Auf persönliches Betreiben von Königin Juliana, die im September 1948 den Thron bestieg, erkannten die Niederlande Indonesien erst am 27. Dezember 1949 offiziell als unabhängigen Staat an. Seither wird über dieses Thema offiziell in Holland nicht mehr gesprochen.

Um so überraschter war ich heute, als Königin Beatrix beim Gedenken an die japanische Kapitulation vor 60 Jahren sagte, dass die Niederlande nachträglich die Unabhängigkeit Indonesiens zum 17. August 1945 anerkennen würden, dem Tag also, an dem Sukarno die Unabhängigkeit proklamierte und hoffte, die Niederlande würden darauf eingehen. Das ist ein wichtiger symbolischer Akt. Außerdem soll Außenminister Bot am Mittwoch bei den Feierlichkeiten in Indonesien sein Bedauern ausdrücken über die Brutalitäten während der Besatzung.

Natürlich klingt es leicht, nach sechzig Jahren zuzugeben, dass man einen großen Fehler gemacht hat. Aber ich glaube, dass es so leicht gar nicht ist. Die Niederlande hatten bislang wie viele andere Staaten immer die Position, sich im Bezug auf den zweiten Weltkrieg und die Folgen als Opfer sehen zu können, obwohl man letztlich zu den Siegern zählte. Das war eine bequeme Position von der aus sich die Welt in einem hervorragend einfachen Schema von Gut und Böse darstellen ließ. Wenn ein Land diesen Kreislauf aus Opferrolle und Vorzugsbehandlung durchbricht und anerkennt, dass es sich auch selbst schuldig gemacht, dass es selbst Fehler gemacht und Verbrechen begangen hat, dann nötigt mir das Respekt ab, denn es ist der Bruch eines allgemein anerkannten Tabus. Wer in guter Position in der Politik vor den Augen der Welt ist, der gebe sie niemals auf. Sicherlich sind inzwischen 60 Jahre vergangen, aber bei vielen Menschen in Indonesien und den Niederlanden ist die Zeit des zweiten Weltkrieges immer noch präsent. Und wenn nicht aus dem eigenen Erleben, so doch aus den Erzählungen der vorangegangenen Generation. Und obwohl viele glauben, dass die persönliche Betroffenheit der Nachgeborenen ständig abnimmt, dauert es vermutlich doch eine ganze Weile, bis man sich davon losmachen kann. Darum finde ich es gut, dass die niederländische Regierung den Weg einer Offensive geht. Obwohl es keine offizielle Entschuldigung geben wird, ist die Äußerung des Bedauerns doch ein wichtiger Schritt. Es bleibt abzuwarten, was Außenminister Bot am Mittwoch tatsächlich sagen wird und wie die Welt darauf reagiert. Vielleicht spekulieren die niederländischen Politiker ja auch darauf, dass die Weltpresse diese Entschuldigung gar nicht zur Kenntnis nehmen wird. In Indonesien selbst allerdings dürfte sie mit einem Gefühl späten Sieges aufgenommen werden.

Copyright © 2005, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Eine späte Entschuldigung

  1. Das Nest sagt:

    Hallo Jens!

    Ich finde es auch eine anerkennenswerte Leistung der NIederlande, ihr „Bedauern“ auszudrücken, vor allem aber auch, das Datum der Unabhängigkeit Indunesiens im Nachhinein zu berichtigen. Umso mehr, als die NIederlande das vor der Weltöffentlichkeit vermutlich gar nicht nötig gehabt hätten. Befinden sie sich doch in bester Gesellschaft bei der Negation alter Kriegsschulden: England und Frankreich zahlen bis heute nicht an ihre Söldner aus Asien, Ozeanien und Afrika, die im zweiten Weltkrieg als kolonialisierte ihren Kopf hinhielten für dinge, die sie und ihre eigenen Länder nicht im geringsten betrafen. Sie zahlen keine Entschädigungen an Witwen, sie unterstützen Kriegsversehrte nicht, und oft finden die Taten der Kolonialisierten nicht einmal irgendeine offizielle Erwähnung, als habe es sie nie gegeben…

    Man sieht also: Das ausbeuten von Kolonien und auch das etwas längere Beibehalten alter Gewohnheiten wie im Falle der Niederlande sind nicht besonders spektakuläre Vergehen in den Augen der Welt. Und doch haben sich die Niederlande entschlossen, Farbe zu bekennen und so gut es ihnen möglich ist, für ihre Taten gerade zu stehen. Und das finde ich gut!

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