Unbekannte Wunderwerke

Wenn man etwas über technische Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung
hört, dann geht es meist um „optische Krücken“ wie Brillen, Lesegeräte,
Lupen oder Kamerasysteme für dies und das, oder es geht um Hilfen für
Gehbehinderte, Rollstühle, Rollirampen, abgesenkte Bürgersteige und so
weiter. Deswegen war ich gestern auch völlig beeindruckt und fasziniert von
einer Sendung des Deutschlandfunks aus der Reihe „Sprechstunde“.

Die kommt jeden Dienstagmorgen von 10.00 bis 11.30 uhr, und diesmal ging es um
Schwerhörigkeit. Im Grunde sind die einzigen Dinge, von denen ich in diesem
Zusammenhang je gehört habe, grob gesagt Gebärdensprache und Hörgeräte. Umso
erstaunter war ich, von wahren technischen Wunderwerken und chirurgischen
Höchstleistungen zu erfahren, die ich mir nicht hätte träumen lassen. Zum
Beispiel dachte ich immer, Menschen, die auf einem Ohr ertaubt seien, wären
für immer dazu verurteilt, kein „Richtungshören“ mehr zu besitzen, d. h.
nicht orten zu können, aus welcher Richtung Stimmen und Geräusche kommen.
Das ist, so glaube ich, eine schwerwiegendere Behinderung, als sich die
meisten Menschen vorstellen können. Selbst wenn Augen Richtungen und
Entfernungen gut einschätzen können, läuft die Orientierung im Raum
wesentlich mehr über die Ohren ab, als die meisten wissen. Und dieses
Richtungshören kann man anscheinend in einigen Fällen immitieren, wie ich
seit gestern weiß. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit, in beiden Ohren ein
Hörgerät zu tragen, wobei dann die Wahrnehmungen des „tauben“ Hörgeräts mit
dem anderen summiert werden. anscheinend gibt das dem Gehirn die
Möglichkeit, seine Orientierungsmöglichkeiten im Raum zu erweitern. Das kann
es offensichtlich auch dann noch lernen, wenn die Person auf einem Ohr
niemals gehört hat.
die andere Möglichkeit besteht darin, eine Art Schraube in den Schädel,
genauer gesagt in den Knochen über dem Ohr zu implantieren, die dann auf
demselben Weg die Knochenschwingungen auf das andere Ohr überträgt. Das ist
weniger sichtbar, aber ein operativer Eingriff. Ich fand das genial! Wozu
unser Hirn nicht alles fähig ist! Und was werden wir da noch alles
entdecken?

Überhaupt gibt es einen Haufen filigranster Eingriffe im Ohr, und ich habe
den höchsten Respekt vor den Leuten, die das machen. Da gibt es Prothesen
für die Gehörknöchelchen, Unterfütterung zur Unterstützung des
Trommelfells… In 10 Jahren, so erklärte der Arzt im Studio, kann man
vielleicht sogar so weit sein, die empfindlichen Sinneshärchen im Ohr, die
auf biochemischem Wege die Schwingungen des Trommelfells und der
Gehörknöchelchen ins Gehirn weiterleiten, zu züchten oder zumindest zum
Wachstum anzuregen. Eine Möglichkeit, etwas gegen Innenohrtaubheit zu
unternehmen! Was für Perspektiven! also ich war, wie ihr vielleicht merkt,
echt fasziniert. Wußtet ihr, daß man diese Sinneshärchen durch zu viel Lärm
zerstören kann? Zunächst mal setzt ja starker Lärm nur die Reizschwelle im
Gehirn nach oben, sodaß wir allgemein schlechter hören, das heißt leise oder
hochfrequente Reize überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Das geht ja auch ab und
zu durch die Medien. Aber anscheinend ist es sogar so, daß man die
Sinneshärchn beschädigen kann oder zumindest den biochemischen Prozeß
zwischen ihnen und dem Hirn durch Lärm dauerhaft total aus dem Gleichgewicht
bringen kann. Ja, da war viel interessantes für mich dabei. Und falls ihr
jemanden kennt, der schlecht hört und keine Hörgeräte benutzen will – ich
kenne viele -, so kann ich Euch nur raten, immer wieder zu versuchen,
diejenigen zu überzeugen. Das Gehirn verlernt das alte, richtige hören und
wenn dann Hörgeräte diese Situation nach längerer Zeit wieder herstellen
(oder zumindest annähernd), dann braucht man fast so viel Zeit, um sich an
das „normale hören“ zurückzugewöhnen, wie es dauerte, das Gehör schleichend
einzubüßen. Darum ist das Hörgerätetragen auch am anfang bei fast allen
unangenehm. Sie müssen wieder hören lernen. ich werde versuchen zu
vermitteln, daß es sich lohnt, hier Geduld zu haben und sich Zeit zu nehmen,
beim Hörgeräteakustiker verschiedenste Hörgeräte ruhig mal eine Weile
auszuprobieren. Viele wissen bis heute nicht, daß es dazu Möglichkeiten gibt
und daß ihnen das zusteht. Leider ist wie bei allem der Punkt, daß man unter
Umständen für eine gute Lösung viel bezahlen muß…

So, jetzt aber genug geschwärmt aus der wunderbaren Welt der Wissenschaft.
Ich geh jetzt pennen! Gute Nacht!

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Eine Antwort zu Unbekannte Wunderwerke

  1. Reinhold Tripp sagt:

    Hallo Jens,

    wie alles im Leben haben auch die medizinischen Möglichkeiten zur Behebung von Hörbeeinträchtigungen ihre zwei Seiten. Man kann nicht davon ausgehen, dass man nach erfolgten Eingriffen wie dem Einsetzen eines Cochlear-Implantats „normal“ hören würde. Eine Schwerhörigkeit ist in der Regel weiter vorhanden, Hören muss neu gelernt werden. Von den Operationsrisiken ganz zu schweigen. Mehr zum Thema unter http://www.kestner.de/elternhilfe/diverses/CI_risiken.html.

    Liebe Grüße,
    R. Tripp

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