Das Hirsi-Ali-Hickhack

Eine leidgeprüfte Frau steht im Mittelpunkt eines politischen Tauziehens, und die „eiserne Rita“ wäre beinahe über sie gestürzt. Ein Bericht über einen handfesten politischen und menschlichen Skandal.

Ayaan Hirsi Ali kann aufatmen. Sie darf ihren niederländischen Pass behalten. Bis dies geschafft war, musste erst ein unglaublicher politischer Skandal durchlaufen werden. An seinem Ende haben die Niederlande eine ihrer schillerndsten Persönlichkeiten und eine unbeugsame Stimme für die Rechte muslimischer Frauen verloren. Ayaan Hirsi Ali, die umstrittene Abgeordnete der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie gibt ihren Parlamentssitz auf und wandert in die USA aus.

Bis zum 11. Mai 2006 hatten sich die Wogen um den Mord an Theo van Gogh in den Niederlanden einigermaßen geglättet. Nur Ayaan Hirsi Ali, die Frau, die das Drehbuch zu dem Film geschrieben hat, dessentwegen Theo van Gogh umgebracht wurde, kam nicht zur Ruhe. Ständig unter Polizeischutz lebte sie an einem geheimen Ort, denn radikale Islamisten trachteten und trachten ihr nach dem Leben. Trotzdem schweigt sie nicht und führte auch ihre Parlamentsarbeit weiter. Über den Fall van Gogh und die Verwicklung von Ayaan Hirsi Ali habe ich vor einem Jahr einen Blogeintrag zu diesem Thema geschrieben. Deshalb werde ich das hier nicht noch einmal alles aufrollen.

Ende April haben sich Nachbarn von Ayaan Hirsi Ali gerichtlich durchgesetzt, sie muss ihr Haus verlassen, weil sie wegen der Todesdrohungen gegen sie die Nachbarn gefährdet, so das Gericht. Selbst die Polizei findet das unsinnig, denn die sagt, dass die Wohngegend eine der bestbewachtesten Gegenden der gesamten Niederlande ist. Schon hier scheint es so, als habe Ayaan Hirsi Ali den Entschluss gefasst, in die USA zu gehen.

Dann kam der 11. Mai 2006, und eine neue Folge von Zembla, einem aktuellen Sensationsmagazin der niederländischen, öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft VARA. Unter dem Titel Die heilige Ayaan versprach die Sendung, die größten Lügen der Politikerin zu enthüllen, deren Geschichte für so viel Aufsehen gesorgt habe. Mit großer aufmachung wurde als Neuigkeit verkauft, was ohnehin jeder wusste: Ayaan Hirsi Ali hat bei ihrer Einreise in die Niederlande über ihr bisheriges Leben gelogen. Ihren Namen gab sie falsch an, ihr Geburtsdatum auch, und sie behauptete auch in ihrer Asylgeschichte, dass sie direkt vor dem Bürgerkrieg in Somalia geflüchtet sei. Die Öffentlichkeit wusste aber schon lange, dass sie schon mit sieben Jahren Somalia als Flüchtling mit ihrer Familie verlassen hatte, nachdem ihr Vater dort inhaftiert worden war. Sie lebte in Saudi Arabien, in Äthiopien und schließlich in Kenia. In die Niederlande kam sie infolge einer Flucht vor einer Zwangsheirat, wie sie sagte, während ihre Familie das in der Sendung bestritt. Sie wurde systematisch als Lügnerin hingestellt. Nun geschieht das in der Medienöffentlichkeit nicht selten, aber diese Sendung hatte heftige Folgen. Die Ministerin für Integration und Einwanderung, Rita Verdonk, in den Medien auch die „eiserne Rita“ genannt, weil sie praktisch jede Menschlichkeit in ihrer Arbeit vermissen lässt, reagierte prompt. Aufgrund der Sendung, und weil in der Öffentlichkeit als Neuigkeit verkauft worden war, was alle längst wussten und woraus selbst Ayaan Hirsi Ali kein Hehl machte, erkannte die Ministerin der mutigen Bürgerrechtlerin die niederländische Staatsbürgerschaft ab. „Sie hat gelogen, deshalb ist sie nach dem Gesetz keine Niederländerin“, so die Begründung der Ministerin. Dass Rita Verdonk selbst schon jahrelang mit ihrer Parteikollegin Ayaan Hirsi Ali unter einer Email-Adresse verkehrte, in der ihr richtiger Geburtsname stand, wollte die Ministerin zunächst abstreiten, dann behauptete sie, sich nie Gedanken darüber gemacht zu haben. Doch selbst die eigene Parteiführung gibt zu, über die erfundene Asylgeschichte der Ayaan Hirsi Ali vor dem Einzug der jungen Frau ins Parlament informiert gewesen zu sein.

Das Niederländische Staatsangehörigkeitsrecht sagt es eindeutig: Wer falsche Angaben über seinen Namen und seine Geburt macht, gilt auch nach erfolgter Einbürgerung als nicht eingebürgert. Allerdings hat der Hohe Rat, das oberste Gericht des Königreichs, Ausnahmen zugelassen. Eine solche Ausnahme ist gegeben, wenn die einzubürgernde Person einen Namen benutzt, unter dem sie zum Zeitpunkt ihres antrages bekannt ist, auch wenn dieser nicht offiziell ist. Darüber stritten sich bei Ayaan Hirsi Ali, die offiziell Ayaan Hirsi Magan heißt, die Geister.

Durch die Aberkennung der Staatsbürgerschaft verlor Ayaan Hirsi Ali praktisch auch den Sitz im Parlament. Es handelte sich zwar um eine schwebend unwirksame Aberkennung, weil Ayaan noch 6 Wochen Zeit zu einer Reaktion hatte, aber sie machte kurzen Prozess und verließ enttäuscht die zweite Kammer des Parlaments. Damit waren die Abgeordneten eine unbequeme Stimme los, und viele von ihnen werden aufgeatmet haben. Kompromisslos hatte sich Ayaan Hirsi Ali für den Schutz von Frauen eingesetzt, die durch Ehrenmorde bedroht wurden. Einen solchen Tatbestand kennt das niederländische Recht nicht, Ehrenmorde werden unter „häusliche Gewalt“ geführt. Und viele Parteien der Kammermehrheit wollten auch an das Problem nicht richtig ran, denn es stellte das sogenannte Poldermodell in frage, das Zusammenleben verschiedener Kulturen in einem Land. Ayaan Hirsi Ali war unbequem, sie hielt trotz der Drohungen nicht ihren Mund und kritisierte den Islam. Damit hatte sie sich schon 2002 bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt unbeliebt gemacht. Sie hatte gesagt, dass sie den Islam für eine rückständige Religion hielt und musste sich dann gegen hunderte im Saal anwesende Nichtmuslime verteidigen, die Angst hatten, dass es harsche Reaktionen gab, wenn man den Islam kritisierte. Sofort waren auch die Morddrohungen da. Damals arbeitete Ayaan Hirsi Ali noch für die sozialdemokratische Partei der Arbeit, der das Eisen allerdings zu heiß wurde, und die letztlich froh war, als die rechtsliberalen sich der jungen Frau annahmen.

Nun, nach der formellen Aberkennung der Staatsbürgerschaft, gab es für Ayaan Hirsi Ali ein riesiges Problem. Sie durfte in den Niederlanden bleiben, weil sie dort nun wieder den Status eines Flüchtlings genoss. Aber sie durfte nicht einfach so in die USA reisen, um ihre neue Stelle anzutreten, dafür hätte sie ein Visum benötigt. Oder sie hätte sich bei den US-Einwanderungsbehörden als Flüchtling melden müssen. Ein Flüchtling aus den Niederlanden in die USA. Das war dann allerdings auch der Kammermehrheit nicht geheuer. In einer heftigen Debatte forderte sie die „eiserne Rita“ auf, die Frage noch einmal zu überdenken und sich für eine endgültige Entscheidung die möglichen 6 Wochen Zeit zu nehmen. Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft war binnen zweier Tage erfolgt. Die Ministerin stellte sich stur: „Das Gesetz ließ mir keine andere Wahl“, behauptete sie. Das ist nicht richtig. Sie hätte überhaupt nicht tätig werden müssen, denn die Fakten, die die Fernsehsendung Zembla aufgedeckt haben wollte, waren bereits bekannt, stehen teilweise in Veröffentlichungen von Ayaan Hirsi Ali und wurden von ihr auch nie bestritten. Der Ministerin ging es um ihre eigene Profilierung, denn sie bewarb sich gerade um das Amt der Spitzenkandidatin ihrer Partei für die kommende Parlamentswahl. Und da wollte sie offenbar Härte zeigen. Aber die Schande, dass Ayaan Hirsi Ali, so umstritten sie auch von Anfang an war, als Flüchtling die Niederlande verlassen musste, die war der Kammermehrheit dann doch zu groß. Rita Verdonk sah sich einem Misstrauensantrag gegenüber, den sie nur abwenden konnte, wenn sie die Frage Hirsi ali erneut prüfte. Dafür ließ sie sich dann auch die veranschlagten sechs Wochen Zeit. Zähneknirschend verkündete sie dann vor zwei Tagen, dass die ehemalige Politikerin ihren niederländischen Pass behalten dürfe: „Im somalischen Namensrecht gibt es die Möglichkeit, den Namen eines direkten Vorfahren anzunehmen. Das hat Frau Hirsi Ali getan, sie hat den Namen ihres Großvaters statt den ihres Vaters angenommen.“ Zeitgleich tauchte ein Entschuldigungsbrief Ayaan Hirsi Alis auf, sie habe durch ihr Verhalten die Handlungsweise der Ministerin herbeigeführt. Alle waren zufrieden, bis auf den kleinen Schönheitsfehler, dass nun enthüllt wurde, dass Rita Verdonk diesen Entschuldigungsbrief praktisch erpresst hat. Pass gegen Brief lautete da wohl die Formel, und diesem Druck hat sich Ayaan Hirsi Ali gebeugt und die Ministerin von jeder Verantwortung freigestellt.

Ayaan Hirsi Ali verlässt enttäuscht das Land, das sie so viele Jahre als ihr wahres zu hause bezeichnet hat. Hier könne sie in einer westlichen Demokratie leben, Meinungsfreiheit genießen, in einer offenen Gesellschaft mitarbeiten, hat sie oft gesagt. Sie galt als vollständig in die niederländische Gesellschaft integriert. Sie nahm Beschimpfungen, Todesdrohungen und eine schwere Verantwortung als Mitglied des Parlaments auf sich. Der Mord an Theo van Gogh war auch ein persönlicher Schlag für sie, vor allem, weil sie sich mitschuldig fühlte, und weil der Mordanschlag eigentlich ihr gegolten hatte. Jetzt muss jemand anders die Themen Ehrenmorde und Integration auf vernünftige Weise im Parlament vertreten. Wer das sein könnte, will mir einfach nicht einfallen.

Sicher: Ayaan Hirsi Ali war unbequem. Sie wagte es, Dinge laut auszusprechen, die in der niederländischen Gesellschaft tabu waren. Man könnte fast auf die Idee kommen, als sei die Fernsehsendung mit den angeblichen Enthüllungen ihrer Lügen für Ministerin Verdonk ein willkommener Vorwand gewesen, sich der unliebsamen Kollegin zu entledigen. Und das, obwohl es so schien, als zögen die beiden Frauen eigentlich an einem Strang. Aber trotz aller Kritik am Islam und an der Art und Weise, wie die Niederlande mit der Religionsfreiheit und den Ehrenmorden umgehen, war Ayaan Hirsi Ali immer bestrebt, menschlich zu handeln. Sie hatte immer viel Verständnis für Asylsucher, die kamen, um, wie sie selbst, die westliche Freiheit zu finden und zu nutzen. Ihr Kampf im niederländischen Parlament ist nun zuende, sie siedelt in die USA um. Sie wird vermutlich immer eine umstrittene Persönlichkeit bleiben. An Beleidigungen mangelt es nicht, an Bewunderung aber ebenso wenig. Ich bin gespannt, ob sie nach diesem Skandal die Kraft hat, auch weiterhin ihre Menschenrechtsarbeit fortzusetzen. Schade nur, dass sie das nun in einem amerikanischen Thinktank für Präsident George W. Bush tut.

Copyright © 2006, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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