Leve de Koningin! – Die Niederlande sind wirtschaftlich und gesellschaftlich auf einem guten weg, sagt die Regierung

Glaubt man der Regierung Balkenende, so stehen die Niederlande gut da in Europa. Sinkende Arbeitslosigkeit, hohes Wirtschaftswachstum und Steuersenkungen geben der Regierung zwei Monate vor den Wahlen Hoffnung, diese auch zu gewinnen. Heute wurde der Haushalt für das kommende Jahr auf traditionelle Weise eingebracht, und auch politisch nicht interessierte Bürger werden mit eingebunden.

Heute, oder man sollte wohl schon gestern sagen, war in den Niederlanden der sogenannte Prinsjesdag. Während in Deutschland das Interesse an der jährlichen Haushaltsdebatte immer mehr abnimmt, ist in den Niederlanden fast jeder irgendwie dabei an diesem Tag, dem Tag nämlich, an dem die Regierung ihren Haushaltsentwurf bekannt gibt. Und weil man das in einer Monarchie tut, kann ein politisch so entscheidender Tag auch mal zum Volksfest werden, das die Politik einbindet, sie aber nicht verdrängt.

Ich nehme an, dass an einem dritten Dienstag im September schon früh viele Menschen auf den Beinen sind. Der dritte Dienstag im September ist nämlich der Beginn des parlamentarischen Jahres. Die Königin selbst fährt zum Parlament, und sie liest die von der Regierung geschriebene sogenannte Thronrede vor. Es handelt sich um eine kurze Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation des Landes und der künftigen Pläne der Regierung. In fünfzehn Minuten sagt die Königin für das Volk ungefähr so viel, wie unsere BundeskanzlerInnen binnen zwei Stunden zu Beginn der Haushaltsdebatte im Bundestag. Die muss nämlich parteipolitisch ausgerichtet sein, die Thronrede kann das nur sehr begrenzt, weil die Königin, die sie schließlich verliest, selbst keiner Partei angehört. Trotzdem muss es Beatrix manchmal schwer geworden sein, eine Rede zu verlesen, in der Sozialabbau für nötig befunden und angekündigt wird.

Der Tag ist jedesmal gleich irgendwie, und er ist doch immer anders. Was sich unterscheidet, das sind die inhaltlichen Aussagen, und es ist das Kleid der Königin und das von Prinzessin Maxima, die bei ihrem Volk extrem beliebt ist. Alles andere ist gleich. Gegen 12 Uhr beginnen sich die Mitglieder des Parlaments und die geladenen Gäste im Rittersaal im sogenannten Binnenhof der zweiten Kammer der Generalstaaten zu versammeln. Gegen 12:30 Uhr besteigt die Königin mit ihrem ältesten Sohn, Prinz Willem-Alexander, und seiner Frau, Prinzessin Maxima, die goldene Kutsche am Portal des Palais Noordeinde. Schon hier und entlang der wenige hundert Meter langen Route stehen hunderte, ja tausende von Menschen, um die Königin einmal live zu sehen. Manche kommen Jahr für Jahr, weil es eine der wenigen Gelegenheiten ist, bei denen man die Königin selbst fast hautnah erleben kann. Gesprächsthemen sind in der Regel die Kleider und Hüte der Mitglieder der königlichen Familie. Menschen bezeugen dem Haus von Oranien ihre Zuneigung und Ehrerbietung. Ich kann mir kaum vorstellen, dass so etwas bei unseren Bundespräsidenten oder BundeskanzlerInnen möglich wäre. Wie denn auch: Sie sind aus Parteienzwist hervorgegangen, aus Schacher und Kompromissen, und sie stehen nicht für Kontinuität, sondern für Unsicherheit. Das ist mit Beatrix und ihrer Familie in den Niederlanden anders. Auf eine vierhundertjährige Geschichte kann man da zurückblicken, im Grunde sind es sogar noch 50 Jahre mehr, und das hat schon was.

Mit der goldenen Kutsche wird die Königin dann zum Binnenhof gefahren, wo der oder die Vorsitzende der ersten Kammer inzwischen die gemeinsame Sitzung beider Parlamente eröffnet. Es wird eine „Kommission zum hinein- und hinausführen“ gebildet, an der in der Regel ältere Kammermitglieder beteiligt sind. Diese Kommission stellt sich am Portal zum Parlament auf, um die Königin und ihre Familie in Empfang zu nehmen. Wenn das Staatsoberhaupt auf dem Platz vor dem Parlament eintrifft und die Kutsche verlässt, spielt eine Militärkapelle die Nationalhymne, und die Kommission der Parlamentsmitglieder geleitet die Königin samt Gefolge in den Sitzungssaal. Beim Eintreten ruft der oder die Vorsitzende der Kommission: „Ihre Majestät, die Königin“, und die Parlamentsmitglieder erheben sich von den Plätzen. Die Kommissionsmitglieder führen die Mitglieder der königlichen Familie zu ihren Plätzen, und wenn die Königin auf dem Thronsessel platz genommen hat, setzen sich auch die Parlamentsmitglieder wieder. Der Königin muss natürlich niemand das Wort erteilen, sie ist – zumindest offiziell – Herrin im Haus, und so beginnt sie ohne weitere Umschweife mit der Thronrede, die von der Regierung verfasst und ihr vorgelegt wird, die sie aber, ohne Inhaltliches zu verändern, ihrem Lese- und Schreibstil anpasst. So entsteht eine persönlich von der Königin gehaltene Rede, die aber die Meinung der Regierung wiedergibt, deren Vorsitzende die Königin offiziell ist.

In den letzten Jahren gab es eigentlich nie etwas gutes zu vermelden. Hohe Arbeitslosigkeit, rund 5 bis 6 %, steigende Kriminalität, schlechte Bildung, lange Warteschlangen im Gesundheits- und Versorgungssektor. All diese Probleme waren bei schlechter ökonomischer Grundstimmungscheinbar nicht lösbar. Trotzdem ging es den Niederlanden dabei immer noch besser als Deutschland. Unsere Arbeitslosigkeit war doppelt so hoch, und das schon über einen Zeitraum, der 10 Jahre inzwischen weit übersteigt. Die Regierung reagierte auf den Zustand des Landes mit neoliberalen Maßnahmen und kann heute behaupten, dass sie fruchteten. Heute konnte die Königin nur positives berichten. Zum erstenmal seit langem gibt es keine Neuverschuldung in unserem westlichen Nachbarland, sondern einen Haushaltsüberschuss von 0,2 Prozent. Das ist fast schon eine Sensation, auch wenn man in Rechnung stellt, dass sich die Weltwirtschaft derzeit erholt. Das Wirtschaftswachstum soll dieses und nächstes Jahr jeweils 3 % betragen, auch eine stolze Summe für ein bereits entwickeltes Land in der Mitte Europas. Die mitte-rechts-Regierung klopft sich zwei Monate vor den Wahlen kräftig auf Schulter und Schenkel, und es kommt sogar noch eine soziale Großtat dabei heraus. Im Gesundheissektor sollen die Arbeitgeber stärker als bisher zur Kasse gebeten werden. Zum ersten mal seit 6 Jahren habe ich eine optimistische Thronrede gehört. Auch das Ausland wurde nicht vergessen, die niederländischen Soldaten, die an verschiedenen Brennpunkten in der Welt stationiert sind, die guten Beziehungen des Königreichs zu vielen Ländern der Erde. Eine positive, von Optimismus gekennzeichnete Rede. Ich wünschte, hier in Deutschland wäre der Optimismus ebenso groß. Wir können uns schon freuen, wenn das Wirtschaftswachstum 2 % erreicht.

Nach rund einer viertel Stunde war die Königin heute fertig, normalerweise braucht sie etwas länger. Die Regierung kann nicht viel zu ihren Plänen im folgenden Jahr sagen, denn in zwei Monaten sind Wahlen, und niemand weiß, wie dann die Regierung aussehen wird.

Die Vorsitzende der ersten Kammer des Parlaments beschließt die Sitzung in der Regel dann mit einem kräftigen „Leve de Koningin“, und ein dreifaches Hurrah ertönt von den geladenen Gästen, Parlaments- und Regierungsmitgliedern. Die Königin zieht sich in die sogenannte Königinnenkammer zurück, einen kleinen Raum, wo sie darauf wartet, dass sich die Begleitkommission wieder formiert, und auch sie sammelt wieder ihre Familienmitglieder um sich. Nach rund drei Minuten kommt sie heraus, die Mitglieder des Parlaments erheben sich, sie verlässt den Saal, steigt wieder in ihre Kutsche und wird zurück nach Palais Noordeinde gefahren. Währenddessen können die Rundfunkanstalten in der Regel auf dem Parlamentsvorplatz die ersten Interviews mit Politikern führen, aber auch mit einfachen Bürgern, die sich das Spektakel angehört und angesehen haben und sowohl politische, als auch gesellschaftliche Kommentare machen. Mode und Politik liegen in diesen Minuten sehr dicht beieinander.

Wenn die Königin an ihrem Amtssitz angekommen ist, zeigt sie sich zusammen mit ihrer Familie kurz auf dem Balkon, es ist die sogenannte Balkonszene, die es auch jedes Jahr gibt. Damit ist der Anteil von Königin Beatrix am Prinsjesdag beendet.

Der Ministerpräsident gibt nun eine Pressekonferenz, in der er auf die einzelnen Punkte der Thronrede noch mal etwas genauer eingeht. Auch diese Pressekonferenz dauert ungefähr 20 Minuten, und Fragen können zwar gestellt werden, werden aber selten beantwortet. Das liegt einfach daran, dass der Haushaltsplan offiziell noch nicht bekannt ist. Dieses Jahr wussten sogar die Parlamentsmitglieder noch nichts vom Haushalt, denn in den letzten Jahren waren immer schon vor Prinsjesdag einige Informationen nach außen gedrungen, was die Regierung überhaupt nicht gerne sieht. Zum einen wegen der zu früh geführten Debatte, noch bevor die Vorschläge wirklich auf dem Tisch liegen, zum Anderen bestimmt auch aus psychologischen Motiven. Ein spannendes Element für die Leute ist doch, dass sie an diesem Tag neben all dem Brimborium auch etwas tatsächlich neues erfahren, was sie persönlich betrifft. Diesen Effekt will man sich in der Regierung nicht nehmen lassen.

Der letzte Akt im Geschehen am Prinsjesdag wird vom Finanzminister bestritten. Er läuft ömit einem Koffer bewaffnet vom Finanzministerium zum Parlament. In diesem Koffer befinden sich die Schriftstücke, die in ihrer Gesamtheit den Haushalt des Königreiches darstellen. Oft wird Gerrit Zalm, der derzeitige Finanzminister, wie ein Popstar von den Menschen am Binnenhof begrüßt, geht in den Sitzungssaal und verkündet da als harte Zahlen und Fakten die Haushaltspläne der Regierung. Geredet wird darüber im Parlament übrigens eine Woche später. Dann haben die Parlamentsmitglieder nämlich genug Zeit, sich mit den Papieren vertraut zu machen.

Diese Mischung aus Hofzeremoniell, Volksfest und parlamentarischer Arbeit ist es, die dafür sorgt, dass auch in der Bevölkerung der Haushalt, die Zukunftsaussichten und alles, was damit zu tun hat, in den Tagen rund um Prinsjesdag ein besonderes Thema sind. Wenn man hier in Deutschland hört, dass im Bundestag die Haushaltsdebatte ansteht, schaltet man in der Regel ab. Wir sollten uns mal überlegen, warum das so ist.

Jedenfalls scheint es so, dass es Holland derzeit gut geht. Schön zu hören, Mevrouw Beatrix Wilhelmina Armgaard…

Copyright 2006, Jens Bertrams.


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Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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