Wäre ich Niederländer, dann wäre ich Sozialist

Diese Auskunft erhielt ich, als ich mir über den Stemwijzer einen Wahlvorschlag erarbeitete. Das Ding ist der Vater aller Wahl-o-maten, und wird in Holland schon zum vierten mal im Internet eingesetzt.

Noch 29 Tage, dann sind in den Niederlanden Parlamentswahlen. Sie haben im Internet eine Hilfe für unentschlossene Wähler, den sogenannten Stemwijzer. Man beantwortet 30 Fragen, und dann kann man sie noch gewichten, also auf welche man besonders viel Wert legt. Dann kann man noch angeben, welche Parteien für einen auf keinen Fall in frage kommen, und schon kriegt man einen Vorschlag serviert. Natürlich fehlt auch nicht die aufschlüsselung, mit welchen Positionen welcher Parteien man übereinstimmt und mit welchen nicht.

Das ganze Ding war für mich so lange witzlos, wie es keine barrierefreie und zugängliche Version gab. Dieses Jahr allerdings gibt es sie. Bislang wurde nur eine Version angeboten, die für blinde Nutzerinnen und Nutzer nur schwer bis gar nicht zu bedienen war, offenbar Flash oder so, vielleicht auch Java, nicht mal das konnte ich genau herausfinden. Natürlich stürzte ich mich sofort darauf, leider funktionierte die barrierefreie Version die ersten Tage nicht. Jetzt aber lief alles glatt, und ich wartete gespannt auf mein Ergebnis.

Die Hauptauskunft, dass ich nämlich die sozialistische Partei wählen würde, überraschte mich nicht sonderlich. Irgendwo im linken Spektrum hatte ich mich schon gesucht. Allerdings hatte ich einige Fragen nicht beantwortet, die für mich einfach nicht wichtig waren, vielleicht auch welche, die für eine andere linke Partei wichtig gewesen wären. Die Sozialisten sind die neuen idealistischen Linkssozialdemokraten der Niederlande. Von Mao und Lenin haben sie sich verabschiedet, nicht aber von einem besseren Leben in einem besseren, nicht so ellenbogenkapitalistischen Land.

Als zweites fanden sich bei mir die Grünen, auch damit hatte ich gerechnet, sie waren nur einen Punkt dahinter. Wieder einen Punkt später folgte, was mich dann doch aufhorchen ließ, die Partei für die Tiere. Dabei hatte ich ihrer Hauptforderung, dass nämlich die Rechte der Tiere in der Verfassung der Niederlande, was übrigens auf Niederländisch immer „Grundgesetz“ heißt, verankert werden sollten, gar nicht zugestimmt. Etwas langer Satz oder? Ich war also dagegen, die Tierechte in der Verfassung zu verankern. Verfassung heißt übrigens im Niederländischen immer „Grundgesetz“. So ist besser:-).

Auf Platz 4 fand ich dann die Arbeitspartei wieder, die offiziellen Sozialdemokraten. Auch das keine Überraschung. Aber jetzt kommt es: Nur 5 Punkte drunter lag die Christenunion. Ich hatte diese Partei immer ganz weit rechts im Spektrum angesiedelt. Für mich lag sie irgendwo in der Gegend der rechtskonservativen VVD oder der strengreligiösen SGP. Ich hatte zwar schon einige Kammerdebatten gehört, bei denen der Fraktionsvorsitzende der Christen, André Rouvoet, recht interessante Beiträge absonderte, seine Partei schätzte und schätze ich jedoch eher als rechts im Parteienspektrum ein.

Mit großem Abstand kommen dann der CDA, die Christdemokraten, und dann die D66, die Linksliberalen. Das sind alle Parteien, die eine positive Punktzahl haben, und da bin ich auch froh drum. Direkt unterhalb der 0 tummelt sich die von mir als sehr rechts eingeschätzte SGP, von der ich eben schon sprach, und dann die ganzen anderen rechten Parteien. Ganz am unteren Ende der Skala sind die VVD, in der sich auch Ministerin Verdonk befindet, EénNL und Fortuyn. So gehört sich das.

Manchmal frage ich mich, was ich bei den nächsten Bundestagswahlen wählen soll. Wäre ich Niederländer, wäre das einfacher, ich wäre wohl Sozialist oder Grüner. Das mit der Christenunion hat mich wirklich überrascht.

In der kurzen Zeit, seit die Seite freigeschaltet ist, sind jetzt sechs oder sieben Tage, hat es schon knapp 1 Million Leute gegeben, die eine Anfrage gestellt haben. Das ist ganz schön viel. Die meisten Frager waren linksorientiert, die SP wurde in 14 Prozent der Anfragen empfohlen.

In den Umfragen sieht es jetzt immer mehr so aus, als könnten CDA und VVD doch noch allein weiterhin regieren. Das war und ist ihr erklärtes Ziel, obwohl ich glaube, sie können auch mit der Unterstützung kleinerer, rechter Parteien rechnen, die sie bestimmt nicht so einfach ablehnen werden. Der Vorsprung zwischen CDA und PVDA scheint größer zu werden. Vielleicht lassen sich ja durch diese Prognose einige Wähler der Linksparteien entmutigen, gehen nicht hin, und die Prognose wird wahr? Hoffen wir mal, dass es nicht so kommt.

Outing Beendet!:-)

Copyright 2006, Jens Bertrams.


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Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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2 Antworten zu Wäre ich Niederländer, dann wäre ich Sozialist

  1. Das Nest sagt:

    Hallo! Ja, so ein Wahlomat ist echt klasse. Vor der letzten Wahl habe ich ihn hier in Deutschland auch mal benutzt, aber ich glaube so komfortabel wie der niederländische war der nicht. Ich glaub zum Beispiel nicht, daß man Parteien angeben konnte, die für einen *überhaupt* nicht in Frage kamen.
    Was mich jetzt aber nochmal interessiert: Aus welchem Grund hast Du die Verankerung der tierrechte in das Grundgesetz abgelehnt?

  2. @Das Nest: Stimmt, der Wahlomat war letztes Jahr noch nicht so weit, aber beim Stemwijzer is das mit den Parteien, die einem überhaupt nicht schmecken auch jetzt erst neu, wir können also davon ausgehen, dass das beim nächsten Wahl-o-maten auch möglich sein wird.

    Was die Tierrechte angeht, so finde ich, dass sie im Grundgesetz oder einer Verfassung einfach nichts zu suchen haben. Höchstens der Satz: Tiere sind Lebewesen, die es zu erhalten gilt. Aber ein Recht auf eigene Lebensräume und Recht auf Leben und Unversehrtheit und so weiter wäre in der VErfassung schwierig umzusetzen, es wäre ziemlich absolut, und wir müssten alle Vegetarier werden. Zumindest ist es dann doch besser, dass in einem einfachen Gesetz zu regeln, juristisch. Das heißt eben nicht, dass ich gegen die Rechte als solches bin, aber aus rechtlichen Gründen bin ich gegen die Verankerung im Grundgesetz.

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