Stoppt das Telemediengesetz – oder der Blogosphäre geht es an den Kragen

Mit diesem Artikel verletze ich künftige Gesetze, was ich mit diesem Blog schon seit mehr als 18 Monaten tue. Das glauben Sie nicht? Ich beweise es Ihnen.

Zunächst einmal verletze ich ganz bewusst ein künftiges Gesetz, nämlich das sogenannte Telemediengesetz, indem ich in diesem Artikel nur *einen* Link angebe, um meine Behauptungen zu untermauern. Denn ich darf künftig nur noch in mein Blog schreiben, was nachweislich wahr ist. Wer aber bestimmt das? In einem viel beachteten Beitrag auf www.mein-parteibuch.de vermutet Marcel Bartels, dass die Größe der Rechtsabteilung, also des Geldbeutels, entscheidend sein wird. Die Bundesregierung will ein Gesetz verabschieden, dass den staatlichen Dienststellen, aber auch konkurrierenden Unternehmen einfacheren Zugriff auf Daten von Bloggern und Seitenbetreibern gibt. Das Internet soll reguliert werden. Man kann also erwarten, dass wenn man zum Beispiel künftig auf ein Buch bei amazon verweist, was Werbung ist, plötzlich eine kostenpflichtige Abmahnung ins Haus bekommt, und zwar von bol.de oder sonst einem konkurierenden Buchhandel. Vielleicht werden sie sich die Mühe nicht machen, nicht bei so einem kleinen Blogger wie mir, aber möglich wäre es schon.

Was mich viel mehr angehen dürfte, ist die Tatsache, dass auch blogger künftig als Minimedien unter die Verpflichtung fallen, sich an den Pressekodex zu halten. Das bedeutet, bei allen Blogs, die nicht rein persönlicher Natur sind, gibt es künftig eine Impressumspflicht, und jede Äußerung, die man tut, jede Tatsachenbehauptung, die man ausspricht, muss durch mindestens zwei Quellen belegbar sein. Dieser letzte Satz beispielsweise ist eine Tatsachenbehauptung, aber ich habe nur eine Quelle dafür, die ich jetzt nicht erwähne, denn wer den Beitrag von Marcel Bartels liest, bekommt sie zu dutzenden. Jedenfalls dürfte ich diese Behauptung nicht schreiben, sie ist zu wenig fundiert. Das heißt: Natürlich darf ich sie erst einmal schreiben, aber ich muss mit Klagen rechnen. In letzter Zeit häufen sich die Abmahnungen gegen harmlose Blogger, mit denen verschiedene Rechtsanwaltskanzleien und Firmen ein Heidengeld machen. Das Telemediengesetz wird diesen Trend noch verstärken.

Aber was ist es, das die Bundesregierung dazu bringt, sich so zu verhalten? Ein Problem ist sicherlich, dass es eine Art deutscher Regelungswut gibt. Auf der einen Seite will man der Wirtschaft immer weniger Steine, also Regeln, in den Weg legen, aber andere, gerade kritische Gruppen, sollen ihre Meinung nur unter strenger Aufsicht und unter bestimmten, genau geregelten Voraussetzungen äußern dürfen. Die Blogger sind den Politikern suspekt, außer Brigitte Zypries blogt ja auch kein Spitzenpolitiker, und ich fürchte, auch Frau Zypries hat es bald nach der Wahl wieder aufgegeben. Die Politiker verstehen einfach nicht, was für eine unabhängige Quelle an Meinungen und Initiativen sich im Internet tummelt. Oder sie verstehen es zu gut…

Denn das ist der zweite, sehr unangenehme Gedanke, der sich mir aufdrängt. Es könnte ja auch sein, dass es darum geht, unabhängige Meinungen zu unterdrücken. Wenn man gerade bei den Meinungen, die aus der Bevölkerung heraus, unabhängig von Parteien oder Konzernen eine breite, unkontrollierbare Öffentlichkeit erreichen können, hart durchgreift und genau hinschaut, dann bleibt alles im alten, bekannten Trott. In Manchen Blogs werden die Gesetzesvorhaben schon eine Informationsdiktatur genannt. So weit will ich nicht gehen, aber ich befürchte doch das Schlimmste.

Blogger sind keine Kriminellen, keine Bombenleger, keine Kinderschänder. Und wenn es welche unter ihnen gibt, dann nicht, weil sie Blogger sind. Aber sie haben schon oft Skandale aufgedeckt, und in manchen Fällen musste auch etwas geschehen, weil der öffentliche Druck durch die Blogosphäre aufkam. Es ist noch ein zartes Pflänzchen, diese langsam erwachsen werdende Meinungsvielfalt im Web, diese gerade in Deutschland noch nicht sehr ausgeprägte Stimme persönlichen Selbstbewusstseins und gesellschaftlich-politischen Interesses. Man kann sie noch mit ein paar wohlformulierten Gesetzen zertreten. Aber sind wir hier in WeißRussland, in China oder dem Iran? Nein, wir sind in Deutschland, wo man gerade die Meinungsvielfalt und -Freiheit schätzen sollte.

Blogger sind keine Journalisten, zumindest ist das nicht zwangsweise so. Sie haben auch in der Regel keinen journalistischen Anspruch, und – nebenbei gesagt – auch keine journalistischen Recherchemöglichkeiten und keinen Zeitungs- oder Radioapparat hinter sich. An sie kann man billigerweise nicht dieselben Erfordernisse stellen wie an Journalisten, es würde die demokratische Blogosphäre zerstören.

Das Telemediengesetz scheint zugunsten der Wirtschaft, der Politik und anderer Interessengruppen genau das zu tun. Sie halten meine Meinung für nicht fundiert? – Für blanken Unsinn? Bitte, ich habe Ihnen einen Link versprochen, und den habe ich Ihnen gegeben. Noch ist dies hier ein persönliches Blog. Noch darf ich mäckern, ohne eine fundierte Begründung mit mindestens zwei Belegen dafür abliefern zu müssen. Noch ist das ganz allein meine Sache! Und ich kann nur dazu auffordern, dieses Telemediengesetz unbedingt zu stoppen!

Copyright 2006, Jens Bertrams.


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Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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3 Antworten zu Stoppt das Telemediengesetz – oder der Blogosphäre geht es an den Kragen

  1. Das Nest sagt:

    Hoffentlich schreiben noch viele andere Blogger zu diesem Thema. Das gehört verbreitet! so, jetzt hoffe ich mal, daß ich das jetzt nicht doppelt geschrieben habe. Ich fand nämlich meinen ersten Kommentar nicht…

    Das Nest

  2. Annerose sagt:

    ja, verbreitet den Beitrag. Ich helfe mit.

  3. otti sagt:

    Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr!

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