Der Meinungsmord

Kaum ist man mal ein paar Wochen außer Gefecht, verstummt eine große Stimme des Internets. www.mein-parteibuch.de, ein kritischer Betrachter deutscher und internationaler Politik, wird geschlossen. Und warum? Weil der Betreiber, Marcel Bartels, die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes ernst genommen hat.

Die Zahl der Internetnutzer, die täglich die Website www.mein-parteibuch.de besuchen, steigt – oder besser gesagt stieg- immer weiter an. Auch in anderen Medien erreichte Marcel Bartels mit seiner kritischen, offenen und ungeschönten Berichterstattung inzwischen einen nicht zu unterschätzenden Bekanntheitsgrad. Er prangerte schonungslos die Korruption in Politik und Wirtschaft, die Mitnahmementalität der Regierenden und der Großindustriellen an. Er pochte auf die Gewährleistung der Grundrechte. Und er vertrug andere Meinungen, wie es die Meinungsfreiheit gebietet. Die Site ist ein hervorragendes Beispiel für Demokratie von unten und von Courage. Vier Abmahnungen und mehrere Urteile und Verfügungen haben nun versucht, Marcel Bartels, der seine Informationen unter seinem eigenen Namen veröffentlichte, mundtot zu machen, und es ist ihnen gelungen. Am 28. Januar gab er die Schließung der Website bekannt. Damit geht ein Stück gelebter deutscher Demokratie zuende.

Dass es in Deutschland überhaupt möglich ist, dafür zu sorgen, dass eine Stimme der Wahrheit, oder je nach Betrachtungsweise der Meinungsvielfalt, plötzlich verstummt, ist ein echter Schock. Wir kennen es von Russland, wo regierungskritische Zeitungen eingestellt werden müssen, wo regierungskritische Journalistinnen und Journalisten ermordet werden. Wir kennen es aus Ländern, die wir als Diktaturen bezeichnen. Aber in unserer ach so zivilisierten Republik? Wir ruhen uns auf den Lorbeeren unserer geschenkten Nachkriegsdemokratie aus, wir glauben, das Musterland der Menschenrechte zu sein und kritisieren durchaus zurecht die USA, die führende Demokratie der westlichen Welt. Aber was geschieht bei uns? Skrupellose Konzerne und Politiker nutzen die Instrumente eines hemmungslos befreiten Marktes, eines völlig restriktiven Urheber- und sogenannten Persönlichkeitsrechts, um unliebsame Meinungen durch Gerichtsurteile, Verfügungen und Abmahnungen effektiv zu unterdrücken, alles mit dem Mäntelchen demokratischer Spielregeln behängt und mit gesetzlichen Bestimmungen untermauert, die natürlich auch zum Schutz demokratischer Rechte erlassen wurden. Damit zerstören sie unwiderruflich jedes Vertrauen in eine demokratische Gesellschaft, und auf die Dauer richten sie die Teile unserer Demokratie, die schon oder noch funktionieren, endgültig zugrunde. Die Selbstreinigungsprozesse, die normalerweise in einem zivilisierten Land mit demokratischer Tradition greifen, versagen hier vollends. Meinungsfreiheit wird zum Instrument der Mächtigen und Reichen, Medienverflechtungen und -Monopole tun ein Übriges, um echte Meinungsvielfalt von Grund auf zu verhindern. Und wenn man mit seinen eigenen Mitteln und den wunderbaren Möglichkeiten, die das Internet bietet, seine eigene Meinung vertritt, wird man mit Hilfe der Gerichte zur Aufgabe gezwungen.

Ich kann nur hoffen, dass Marcel Bartels nicht aufgibt, dass er eine Möglichkeit findet, seine Informationen weiterhin zu veröffentlichen, die Demokratie in Deutschland auch in Zukunft zu bereichern. Ich weiß, dass ich für meinen Teil noch mehr darauf achten werde, meine Meinung immer offen und ungeschminkt zu sagen, auch wenn das für kaum jemanden gefährlich wird, weil ich nicht so große Recherchemöglichkeiten wie Marcel Bartels habe und mir da auch die Zeit fehlt. Aber wir alle sollten mit aller Macht versuchen, unsere Verfassung, ihre Grundrechte und eine auf sie aufgebaute Gesellschaft zu verteidigen. Das Grundgesetz räumt uns gegen jeden, der es unternimmt, die grundgesetzliche Ordnung zu beseitigen, sogar ein Widerstandsrecht ein. Wer die Meinungsvielfalt unterdrückt, die Meinungsfreiheit mit wirtschaftlichen Mitteln in unzulässiger Weise einschränkt, sie also in ihrem Wesensgehalt berührt, unternimmt nach meiner Meinung einen solchen Versuch.

Eigentlich gehört es in die internationalen Medien, in die Jahresberichte von „Reporter ohne Grenzen“, wie hier mit der Presse- und Meinungsfreiheit umgegangen wird.

Copyright 2007, Jens Bertrams.


Technorati : Abmahnung, Meinungsfreiheit, Zensur, mein-parteibuch.de

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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4 Antworten zu Der Meinungsmord

  1. Hallo,
    ich empfinde diesen Missbrauch von abmahnungen als massive Einschüchterung der Freien Meinungsäußerung. Einen Kommentar dazu habe ich unter http://www.hu-marburg.de/homepage/justiz/info.php?id=212 veröffentlicht.
    Erfreulich ist die große Resonanz auf Marcels Entscheidung. Sehr viele Leute haben empört und betroffen auf seine Entscheidung reagiert. Auch ich!
    Es lebe die uneingeschränkte Meinungsfreiheit!
    fjh

  2. otti sagt:

    Via mein parteibuch.de auf Ihre Stellungnahme gestoßen, der ich uneingeschränkt zustimme.
    Der Staat (i.e. seine Organe) macht den Staat (Demokratie) kaputt.

  3. Hallo Otti,
    diejenigen, die die Meinungsfreiheit bedrohen oder gar kaputtmachen, sind nicht der Staat, sondern leider allzu oft nur Politiker in dessen Organen. Beispielsweise der Bundes-Umweltminister Sigmar Gabriel: Mit seinem Vorgehen gegen Marcel Bartels hat er sich meines Erachtens als undemokratischer Machtmensch geoutet. Er hätte da auch gelassener reagieren können.
    Die Geschichte „Gabriel kontra Bartels“ ist bei http://www.mein-parteibuch.de nachzulesen.
    Im Übrigen lohnt sich das Parteibuch auch bei vielen anderen Themen.
    In diesem Sinne hoffe ich, dass sein Betreiber Marcel Bartels auf die eine oder andere Weise weitermachen wird.
    Es lebe die Meinungsfreiheit!
    fjh

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