Wie in einer griechischen Tragödie – Was tun, wenn das Terrorflugzeug kommt?

Hurra, der Terror ist wieder da, und die Deutsche Politik schickt sich an, wiedereinmal die Freiheit der Sicherheit zu opfern. Ist das, was man tun sollte, aber so leicht zu bestimmen, wie die Bürgerrechtler sagen? Oder sind eindeutige Positionen zumindest im Falle des Abschusses von Terrorflugzeugen gar nicht einzunehmen?

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble steht nicht allein mit seiner Forderung nach Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze. Jetzt will auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung sein Schärflein beitragen, und zwar mit einem glatten Verfassungsbruch. Er will das Urteil zum Luftsicherheitsgesetz des Bundesverfassungsgerichts ignorieren und Flugzeuge abschießen lassen, die gekapert mit einem Terrorauftrag unterwegs sind. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Oberst Bernhard Gertz, lehnt das ab und rät jedem Piloten, einen solchen Befehl nicht auszuführen, um sich keiner Straftat schuldig zu machen. So weit, so gut. Es reicht aber meines Erachtens nicht aus, sich nur auf die rechtliche Seite der Angelegenheit zurückzuziehen und die Gewissensnot eines Kampfpiloten ganz außenvor zu lassen. Gerade das Problem der Reaktion auf ein gekapertes Terrorflugzeug ist vielschichtig und problematisch, und nur Menschen, die es ausschließlich am Schreibtisch bearbeiten, können behaupten, es gebe da eine eindeutige Lösung.

In einem Interview des Deutschlandfunks hat sich heute morgen der ehemalige Bundeswehrgeneral und ehemalige stellvertretende UNO-Generalsekretär Manfred Eisele zu Wort gemeldet. Im Augenblick, so erklärte er, befinde sich Deutschland in der Situation wie in einer griechischen Tragödie, man könne sich immer nur schuldig machen. Schieße man als Kampfpilot ein Terrorflugzeug ab, wie es der Verteidigungsminister wolle, so mache man sich an den Passagieren schuldig, tue man es nicht, so an den Opfern des zu erwartenden Terroranschlages. In dieser Lage befinde sich auch der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, also der Verteidigungsminister, und er versuche, eine Lösung zu finden, eine eindeutige Regelung. Dass das Vorgehen Jungs nicht dem Grundgesetz und dem Urteil des Verfassungsgerichts entspricht, ist allerdings auch klar.

Bürgerrechtler haben es gut. Mit der ganzen moralischen Autorität ihres festen Standpunktes können sie den Abschuss der Terrorflugzeuge verurteilen, als verfassungswidrig charakterisieren und sich mit Inbrunst grundgesetzlich im Recht fühlen. Verteidigungsminister haben es ebenfalls gut. Sie können mit Inbrunst behaupten, die tatsächliche Sicherheit der Bürger ihres Landes gewährleisten zu wollen, und sie können Fordern, dass die theoretisch ausgearbeiteten Gesetze sich den praktischen Erfordernissen des Alltags anpassen. So fühlt man sich auf beiden Seiten im Recht. Wer aber denkt daran, dass Manfred Eisele in jeder Hinsicht recht hat, wenn er sagt, man kann es nicht richtig machen, man lädt immer schuld auf sich? Und ich möchte hinzufügen: Diese Schuld lädt man auch auf sich, wenn die Angelegenheit gesetzlich geklärt ist. Man mag sich dann gesetzeskonform verhalten, wenn man ein Flugzeug abschießt, oder nach der heutigen Gesetzeslage nicht abschießt. Doch das Schuldproblem bleibt. Lässt man ein Flugzeug unbehelligt fliegen, auch Warnschüsse haben in einer eindeutigen Rechtslage keinen Sinn, so wird es seine tödliche Fracht ans Ziel bringen, zumindest wahrscheinlich, und wie im Falle der anschläge am 11.09.2001 werden auch die Passagiere des Flugzeuges sterben, und viele weitere Menschen vermutlich auch. Schießt man das Flugzeug ab, so sterben die Insassen der Maschine ganz sicher, und man nimmt ihnen die Chance, dass die ganze Sache schief geht und sie mit heiler Haut davon kommen könnten. Jede Entscheidung kostet in dieser Situation höchst wahrscheinlich Menschenleben. Dies ist die praktische Realität, jenseits aller Anti-Terror-Gesetze, Grundrechtseinschränkungen und Gerichtsurteile. Wer dies leugnet oder bei seinen Überlegungen zu diesem Thema außer Acht lässt, begeht eine grobe Fahrlässigkeit und heizt das Klima unnötig auf. Die Frage ist: Welches Menschenleben wiegt schwerer? Das eines Passagiers einer entführten Maschine auf dem Weg zu einem anschlag, oder das eines Menschen am Boden, der Opfer eines solchen Anschlages werden würde? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort, und wer reflexartig den Vorstoß Jungs kritisiert, muss sich billigerweise auf die Tatsache des Verfassungsverstoßes beschränken, was viele nicht tun.

Was tun, wenn das Terrorflugzeug kommt? Ich bekenne ehrlich, dass ich es nicht weiß. Wenn ich die Möglichkeit hätte, einen solchen Anschlag wie den vom 11.09. zu verhindern, was würde ich tun? Vermutlich nichts, denn ich wäre zu gelähmt, hin- und hergerissen zwischen den vielen unterschiedlichen Leben, über die ich entscheiden, deren Schicksal ich abwägen könnte und müsste.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Derzeit hat kein deutsches Kampfflugzeug das Recht, eine entführte Maschine abzuschießen, und ein entsprechender Befehl wäre ohne jeden Zweifel verfassungswidrig. Und ein Gesetz wie das Luftsicherheitsgesetz wurde zurecht vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Rein rechtlich betrachtet darf es keine Tötungserlaubnis in unserem Staate geben, schon gar keine Tötung auf Befehl. Rein rechtlich betrachtet stimme ich all den Kritikern vollkommen zu. Aber würden dieselben Kritiker nicht der Bundesregierung schwere Vorwürfe machen, wenn bei einem anschlag, der eindeutig durch Abschuss des Flugzeuges hätte verhindert werden können, Angehörige von ihnen ums Leben kommen würden? Würde man dann nicht ebenfalls zurecht sagen, der Staat habe seine Sorgfalts- und Obhutspflichten gegenüber den Bürgern verletzt? Niemand soll sich einbilden, diese Fragen wären eindeutig zu lösen oder hätten eine eindeutige Antwort. Das aber wird oft in der aufgeheizten Debatte vergessen.

Und bitte soll sich auch niemand einbilden, ich stünde der Regierung und ihren Plänen nahe.

© 2007, Jens Bertrams.


Technorati : Abschuss, Luftsicherheitsgesetz, Manfred Eisele, Terroranschläge, Verteidigungsminister

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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12 Antworten zu Wie in einer griechischen Tragödie – Was tun, wenn das Terrorflugzeug kommt?

  1. Claudia sagt:

    Es darf keine Tötungserlaubnis geben. Nie und nimmer. Ganz besonders nicht für den Staat oder für die, die im Auftrag des Staates handeln.
    Bei der politischen Diskussion geht es nicht um die Gewissensfrage einer griechischen Tragödie. Leider geht es wieder darum ein weiteres Tabu anzugreifen. Es geht um Gewalt. Um aggressive militärische Gewalt.

    Ich bin tieftraurig darüber.

  2. Du hast recht, Claudia, aber für den Einzelnen in der entsprechenden Sekunde geht es um eine Gewissensentscheidung. Verweigern die Kampfpiloten den Befehl, wie Bundeswehrverband und Verband der Piloten raten, müssen sie möglicherweise zusehen, wie ein anschlag ausgeführt wird. Das ist keine schöne Situation.

  3. Claudia sagt:

    Die Situation existiert aber im Moment nicht. Im Moment existiert nur eine Diskussion darüber. Eine politische Diskussion.
    In meinen Augen kann eine politische Diskussion auf dieser Ebene keine moralische oder ethische Fragestellung angemessen und entsprechend ihrer Bedeutung gerecht werden.
    Ein Minister ist und bleibt ein Minister. In einem demokratischen Land müssen wir uns immer darauf verlassen können, dass er sich an die Gesetze hält. Immer und zu jeder Zeit.

    Das nenne ich Verantwortung tragen. Es gibt Dinge an denen darf man nicht rütteln. Wenn man beginnt an diesen Pfeilern zu rütteln, dann bricht das Gebäude Demokratie zusammen.

  4. Wir sind uns völlig einig, und ich sage noch mal, dass ich es auch gar nicht anders will. Aber man muss, gerade wenn es noch nicht passiert ist, über die ethischen Fragen reden! Deshalb habe ich das geschrieben, nicht, um den Minister zu verteidigen, nur um zu sagen, was für Fragen sich dahinter verbergen. Denn ethisch betrachtet ist da einfach ein Dilemma, gerade, wenn man den Schutz von Menschenleben als oberste Priorität ernst nimmt. Man muss da eine Entscheidung treffen, und jedem, der ernsthaft will, dass keine Tötungserlaubnis oder Tötungsduldungserlaubnis existiert, wird augenblicklich einleuchten, dass diese Entscheidung aus einem unlösbaren Dilemma heraus getroffen werden muss.

  5. Pingback: Nur mein Standpunkt » links for 2007-09-21

  6. Ich finde, Claudia hat Recht: Franz-Josef Jung und vor ihm schon Innenminister Wolfgang Schäuble haben die Debatte nicht etwa angezettelt, weil sie ethische Probleme lösen und Gewissensprobleme abarbeiten möchten. Sie wollen nur Macht. Sie wollen sogar die Macht, Menschen zu töten.
    Das Szenario wird deswegen aufgebauscht, um die Menschen in diesem Land in eben jene Gewissenskonflikte zu stürzen, die auch Jens hier beschrieben hat.
    Doch das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz die Problematik sehr deutlich gemacht: Es gibt in aller Regel keinen Fall, in dem die Situation eindeutig ist. Fast immer müsste die Entscheidung, ein Passagierflugzeug abzuschießen, innerhalb weniger Minuten unter großem Zeitdruck getroffen werden. Dabei wüssten die Entscheidungsträger in der Regel gar nicht ganz genau, was wirklich los ist an Bord der Maschine und was wirklich droht. In aller Regel würden sie sich bei der Diskussion um ihre Entscheidung auf Vermutungen stützen.
    Und da hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig gesagt: Ein staatliches Todesurteil gegen Unschuldige darf es nicht geben.
    Nie!
    Die Abfangjäger müssten das tun, ws sie heute auch schon machen: Sie müssten dem Piloten Zeichen geben und ihn ins Geleit nehmen.
    Ob sie so einen Einschlag in ein Hochhaus oder einen vorprogrammierten Absturz auf irgendeinen ausgewählten Zielpunkt wirklich verhindern könnten, ist fraglich. Aber – und das hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht festgestellt – es kann nie einen hundertprozentigen Schutz vor allen Gefahren geben. Dem Bestreben, einen solchen Schutz zu gewährleisten, darf man die grundgesetzlich garantierten Rechte – vor allem die Menschenwürde und das Recht auf Leben – nicht opfern.
    Schließlich steht im Grundgesetz aus gutem Grund: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
    Ein Abschussbefehl wäre nicht nur eine Verhöhnung derjenigen Menschen an Bord und ihrer Verfassungsrechte. Er wäre auch ein Rückfall in den üblen Präferenz-Utilitarismus, der ein Menschenleben höher wertet als ein anderes.
    alle Leben genießen Schutz.
    Alle!
    fjh

  7. Claudia sagt:

    Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass eine ethische Fragestellung so nicht diskutiert werden kann. Denn sie enthält ja auch nicht alle „Fakten“. Was ist wenn Frau oder Tochter von einem Politiker im Flugzeug sitzen? Was ist wenn Herr Bush in diesem Flugzeug drin sitzt. Die ethische Fragestellung stellt sich erst in der Situation selbst – und für mich ist und bleibt klar, dass ein Minister sich nie und nimmer über das Gesetz stellen darf und seine Macht dazu verwenden kann außerhalb des Gesetzes Befehle zu erteilen.
    Das stellt unsere Vorstellung von Demokratie vollständig auf den Kopf.

  8. bembelkandidat sagt:

    nicht zum thema, nur aus neugierde, weil ich vorhin mal wieder ohrfunk gehört habe.
    was meinst du denn zu den aktuellen entwicklungen hin zum überwachungsstaat (z.b. biometrischer pass, vorratsdatenspeicherung usw.), wäre doch mal ein lohnendes thema zum posten in deinem blog?

  9. Berry sagt:

    Licensed to kill. Glauben wir denn wirklich das nur der Romanfigur James Bond töten darf? Nein, es gibt zweifellos auch Geheimagenten in unserer Welt die nicht für jeden Hinrichtung ein schriftlichen Erlaubnis ihrer Vorgesetzten (Minister?) brauchen. Und was ist mit Polizisten die sich bedroht fühlen (oder in Panik geraten) oder mit Wächter einer Gefängnis die einer Flüchtling stoppen müssen? Ich glaube das es sehr wichtig ist eine gute Regierung zu wählen die so einer ad hoc Entscheidung ätisch gut machen kann.

  10. nova sagt:

    ich habe zu diesem thema folgende meinung:
    es ist ein fehler die schuldfrage auf diese weise zu stellen. ob abgeschossen wird oder nicht, die schuld liegt beim attentäter!
    ich sehe in dieser debatte, den wunsch der politik, das grundgesetz auszuhölen, die kontrollmöglichkeiten der politiker zu erhöhen. es ist in keinen fall hinnehmbar, dass sich ein minister über herr von leben und tod erheben kann.
    diese ganze debatte dient dazu ängste zu schüren, die bevölkerung zur einschränkung ihrer rechte zu bewegen.
    wohin soll das führen? wo liegt die grenze?
    der nächste schritt wäre dann der einsatz des militärs gegen den bürger!
    das grundgesetz bietet kein recht auf sicherheit. man muss sich damit abfinden, dass das leben gefährlich ist, risiken birgt. soll man sich deshalb vorbeugend sebst töten?
    einer ähnlichen logik folgen solche gesetzes-entwürfe….

  11. bembelkandidat sagt:

    frohe weihnachten wünsche ich dir .-)

  12. Es ist lange her, aber danke für eure Kommentare.

    Ich möchte noch einmal sagen, dass ich mit euch der Meinung bin, dass die Intention des Ministers die Aushöhlung des Grundgesetzes war. Aber ich wollte sagen, dass die Menschen, die die Entscheidung zu treffen haben, was sie jetzt tun, immer mit ihrem Gewissen kämpfen müssen, auch wenn sie sich gesetzeskonform entscheiden. Dann ist für sie nicht ales gut, zumindest dann nicht, wenn es tatsächlich zu einem Anschlag kommt, den sie hätten verhindern können. Und mit Entscheidungsträger meine ich die Menschen, die sich in ein Flugzeug setzen, dem entführten Flugzeug nachfliegen und eine Möglichkeit haben, etwas zu tun. Sie haben das geübt, sie wollen in diesem Augenblick helfen, Menschenleben retten. Welche Entscheidung ist die richtige? Wiegt das Leben der Passagiere also mehr als das Leben der Menschen am Boden? Ich gebe dir, FJH, recht, wenn du sagst, dass man ja nicht eindeutig weiß, was die Entführer wollen. Spätestens aber wenn sie ein Gebäude oder so ansteuern, weiß man es. Die Frage kann eben nicht nur aus machtpolitischer Sicht debattiert werden.

    @Claudia: Ich bin wirklich der Letzte, der eine Tötungserlaubnis will. – Punkt! – Keine weitere Debatte zu diesem Thema, kein Aber usw.

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