Bedingungsloses Grundeinkommen – Fluch oder Segen?

Den folgenden Beitrag habe ich am 03.04.09 für ohrfunk.de geschrieben und in unserer Sendung „17-20, Der Soundtrack zum Tag“ veröffentlicht.

Die Tagesmutter Susanne Wiest aus Greifswald stellt das politische Berlin auf den Kopf.
In einer Petition an den Bundestag verlangte sie jüngst die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens.
1500 Euro monatlich sollten jedem Erwachsenen und 1000 Euro jedem Kind ausgezahlt werden.
Alle anderen Transferleistungen sollten gestrichen, die meisten Steuern gesenkt und die Konsumsteuer massiv erhöht werden.
50.000 Menschen haben diese Petition unterzeichnet, und man kann nicht von der Hand weisen, dass in Krisenzeiten eine immer größer werdende Existenzangst um sich greift.
Die Politiker sind gezwungen, sich mit der Frage zu befassen, sie sind aber nicht gezwungen, in irgendeiner Weise auf die Wünsche so vieler Menschen einzugehen.
Konsequenterweise wurde Susanne Wiest das Rederecht bei der vom Bundestag durchzuführenden Anhörung verwehrt, sie sei keine Expertin, sagte man ihr.
Mit der überheblichkeit der nur ihrem Gewissen verpflichteten Politiker werden mit Verfahrenstricks unliebsame Wünsche aus dem Volk abgeschmettert.
So muss man sich nicht über die zunehmende Politikverdrossenheit wundern, ja man könnte sogar der Meinung sein, dass sie gewollt ist.

Sicher: Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde den Staatshaushalt belasten.
Es widerspricht fundamental der neoliberalen Theorie, dass der Sozialstaat ein Klotz am Bein der Wirtschaft ist.
Außerdem werden konservative Kreise von der Einführung des Sozialismus sprechen und die Gefahr eines bankrotten Staates beschwören.
Wenn jeder Deutsche pro Monat im Durchschnitt rund 1300 Euro bekäme, so wären dies Jahresausgaben in Höhe von 1,248 Billionen Euro.
Da aber fast alle Transferleistungen wegfallen, die Verwaltung vereinfacht und das Steuersystem reorganisiert werden, und weil die Kaufkraft massiv zunimmt, wird mehr Geld in die Kassen gespült.
Ob ein Bedingungsloses Grundeinkommen machbar ist, ist zurecht sehr umstritten, denn es gibt eine Menge unvorhersehbarer Faktoren.
Kritiker befürchten, es werde sich niemand mehr für gering bezahlte Tätigkeiten finden, man habe ja genug und könne darauf verzichten, anstrengende, aber gering bezahlte Jobs auszuführen.
Mit dieser Argumentation geben sich die Kritiker des Grundeinkommens allerdings eine besondere Blöße.
Sie geben nämlich zu, dass anstrengende, also auch gesundheitsschädliche Arbeiten in der Regel nur mit einem geringen Lohn vergütet werden.
Natürlich sind diese Arbeiten nicht attraktiv, man kann sie also nur durch den ökonomischen Zwang zur Existenzsicherung gewährleisten.
Vereinfacht gesagt: „Weil du sonst nicht leben kannst, machst du alles, egal wie schlecht es bezahlt wird und wie sehr es dich schlaucht.“
Offenbar haben unsere Wirtschaftslenker Angst davor, künftig auch die heute gering bezahlten, aber wichtigen Tätigkeiten attraktiver gestalten oder besser bezahlen zu müssen.
Genau das ist aber eines der Ziele des Grundeinkommens, wie es von dem DM-Gründer und Professor in Karlsruhe, Götz Werner, vorgeschlagen wird.
Auf diesen Vorschlag gründet sich auch die Petition von Susanne Wiest an den deutschen Bundestag.
Mit einem Grundeinkommen können Unternehmen flexiblere Lohnabschlüsse durchführen, was den Konkurrenzdruck zu Billiglohnländern erheblich mindern würde.
Gleichzeitig wäre jeder Bürger in der Lage, sich auch mit Konsumgütern zu versorgen, was die Wirtschaft ankurbeln würde.
Wer beim Grundeinkommen von einer sinnlosen Umverteilungsmaschine spricht, wie es einige der schärfsten Kritiker tun, der hat nicht verstanden, dass Erwerbsarbeit immer mehr zurückgehen wird, und dass wir flexiblere Modelle zur Überwindung dieser Strukturkrise brauchen als heute.
Denn bisher ist den Politikern nicht mehr eingefallen, als den Sozialstaat Schritt für Schritt abzuschaffen, um Menschen zur Arbeit zu zwingen, die praktisch nicht vorhanden ist.
Es ist also unbedingt notwendig, über ein bedingungsloses Grundeinkommen zu debattieren, und da kommt die Petition von Susanne Wiest gerade recht.
Eine solche Diskussion sollte allerdings ergebnisoffen und unvoreingenommen stattfinden.
Dazu gehört auch, die Initiatorin der Petition zur Anhörung in den deutschen Bundestag zu laden, denn sonst müsste man den Politikern Angst und Feigheit unterstellen.

Copyright © 2009, ohrfunk.de

Autor: Jens Bertrams

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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