Schuldenbremse – Das Ende des Sozialstaates?

Letzte Woche hat der Bundestag eine radikale Schuldenbremse beschlossen. In dem Kommentar, den ich heute für ohrfunk.de verfasst habe und in der Sendung „17-20, der Soundtrack zum Tag“ veröffentlichen werde, setze ich mich kritisch mit diesem in der Öffentlichkeit möglicherweise nicht ganz richtig verstandenen Beschluss auseinander.

Wer kein Geld hat, der kann es in der Regel auch nicht ausgeben, so ist es nun einmal im Leben. Besitzer amerikanischer Kreditkarten lächelten lange über diese alte Binsenweisheit und lebten fröhlich auf Pump, bis ihnen die Immobilienwirtschaft und dann die Banken zusammenbrachen. Unser deutscher Staat ignorierte die Wahrheit ebenfalls sehr lange, obwohl es immer wieder heftige Debatten um die Schuldenbegrenzung gab. Heute belaufen sich die Staatsschulden auf mehr als anderthalb Billionen Euro. Fast ein Drittel des Staatshaushaltes von Bund und Ländern geht für die Zinsen drauf. Während der wenigen guten Jahre wäre es beinahe gelungen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, also nicht mehr auszugeben, als der Staat einnahm. Dann kam aber die Wirtschaftskrise, und jetzt sind die Schulden auf einem Rekordniveau angelangt. Daher ist es zunächst einmal ein mutiger Schritt, eine verbindliche Schuldenbremse zu beschließen, wie es der Bundestag letzten Freitag getan hat. Es geht um eine Grundgesetzänderung, die noch vom Bundesrat bestätigt werden muss. Danach dürfen die Länder ab 2020 überhaupt keine Schulden mehr machen, und der Bund erhält einen Spielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das sind rund 9 Milliarden Euro. Dies will die große Koalition sogar in die Verfassung hineinschreiben, damit künftige Regierungen verpflichtet sind, sich daran zu halten.

Viele Politiker bejubeln diesen Schritt. So könne man endlich der Schuldenfalle langfristig entfliehen und würde künftigen Generationen nicht die Verantwortung für unser Fehlverhalten hinterlassen. Wie gesagt, es ist etwas dran, man muss gegen die immer höheren Staatsschulden vorgehen. Das Problem ist, dass man sich die Frage stellen muss, wo dann gespart wird. Vermutlich nicht da, wo Banken gerettet oder im Kern marode Unternehmen saniert werden, um bis nach dem laufenden Wahlkampf Arbeitsplätze zu erhalten, die dann von den in ihren Entscheidungen weiterhin freien Unternehmen doch abgebaut werden. Dieselben Politiker, die jahrelang gepredigt haben, dass der Markt schon alles richten wird, fordern nun staatliche Unterstützung für Unternehmen, die sich am Markt in den Ruin gewirtschaftet haben und damit ihre Existenzberechtigung verloren haben. Sie tun das nicht, um den betroffenen Menschen zu helfen, die ihre Arbeit verlieren, sondern um den Shareholdern, den Aktionären, einen Verlust zu ersparen und den sogenannten Wirtschaftsstandort Deutschland zu retten. Gespart wird interessanterweise immer dort, wo die Menschen keine Lobby haben: Alte Menschen, obwohl sie immer mehr werden, chronisch Kranke, Menschen mit Behinderung, Arbeitslose, alleinerziehende Elternteile, Menschen mit Migrationshintergrund, Geringverdiener sind die Verlierer. So steht zu befürchten, dass der Bund, wenn er auf eine Neuverschuldung von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzt wird, zuerst spart, wo ihm niemand vors Schienbein tritt. Vermutlich werden die Sozialleistungen eingefroren oder sogar gekürzt, ergab doch eine Studie an der Universität Chemnitz im letzten Jahr, dass Arbeitslose auch mit 132 Euro im Monat gut auskommen können. Vermutlich werden die Errungenschaften der Behindertenbewegung in den nächsten Jahren wieder zurückgefahren, wie das persönliche Budget, mit dem behinderten Menschen bedarfsgerecht eine Teilnahme am Gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden soll. Von solchen Zuwendungen wie Kindergeld, Eingliederungshilfe und ähnlichen Ausgaben wollen wir gar nicht erst reden.

Noch katastrophaler wird sich die neue Sparpolitik allerdings bei den Ländern auswirken. Diese sollen ab 2020 verpflichtet werden, überhaupt keine Schulden mehr zu machen. Trotzdem trifft eine Wirtschaftskrise natürlich auch die Landeshaushalte, die damit kein stabiles Einkommen mehr haben. Sie werden ganz natürlich versuchen, alle Gelder loszuwerden, die ihnen regelmäßig aufgebürdet werden, und auch hier werden sie dort anfangen, wo ihnen am wenigsten Widerstand entgegengebracht werden wird. So werden Banken und Unternehmen auch hier nichts zu befürchten haben. Aber vermutlich wird um das Jahr 2020 herum das von den Ländern gewährte einkommens- und vermögensunabhängige Blindengeld abgeschafft werden. Und Bauvorschriften, die es beispielsweise Menschen im Rollstuhl ermöglichen sollen, in öffentliche Gebäude oder Restaurants zu kommen, dürften in Zukunft zu teuer für unseren modernen Wirtschaftsstandort sein. Doch diese Menschen sind es, die hier leben müssen und immer brav ihre Steuern zahlen. Manager und Bankdirektoren ziehen halt ins Ausland. Die Schweiz oder die Bahamas wären angenehm…

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Autor: Jens Bertrams

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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