Verspätete TV-Duell-Nachlese

Den folgenden Kommentar zum TV-Duell habe ich für die Sendung „17-20, der Soundtrack zum Tag“ auf ohrfunk.de geschrieben und am 15.09.09 dort veröffentlicht.

Hatten Sie am Sonntagabend etwas besseres vor, als das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier zu verfolgen? Wenn ja, dann beglückwünsche ich Sie dazu. Es war schon allein deswegen nicht der Mühe wert, weil die Moderatorinnen und Moderatoren, die gleich zu viert angereist waren, keinen der Kandidaten haben aussprechen lassen. So kamen sie gar nicht dazu, ihre unterschiedlichen Meinungen ohne Einwürfe, Nachfragen und Unterbrechungen zu vertreten. Der zweite Grund, warum dieses Duell auch hätte ausfallen können, ist, dass viele wichtige Themen wie Bildung, Grundversorgung der Bevölkerung, Arbeitslosengeld, Familienpolitik, Umweltpolitik, Behindertenpolitik und Rente, um nur ein paar Beispiele zu nennen, praktisch gar nicht erwähnt wurden. Stattdessen durften wir uns Allgemeinplätze und unglaubwürdige Aussagen zu Themen anhören, die man versuchte, zu Reizthemen aufzubauschen.

Frank-Walter Steinmeier, in dessen Aussagen man Gerhard Schröder übrigens deutlich wiederfindet, erklärte, dass eine Demokratie nur mit sozialem Ausgleich und sozialer Gerechtigkeit funktionieren könne. Damit hat er zweifelsfrei recht, aber war es nicht dieser Frank-Walter Steinmeier, der für die Regierung Schröder die Hartz-Gesetzgebung entwarf? Zusammen eben mit Peter Hartz, einem Manager, dessen hohe Abfindung er im TV-Duell kräftig kritisierte? Wo soll die Glaubwürdigkeit herkommen, und wer erinnert sich und den Kandidaten nach der Wahl daran, was er im Duell gesagt hat? Auch andere Aussagen des SPD-Kandidaten klingen gut, ganz nach einer SPD, die man wählen könnte: Der Atomausstieg ist unumkehrbar, es muss flächendeckende Mindestlöhne geben, die Managergehälter müssen begrenzt werden, wenn es keine internationalen Regelungen für die Finanzmärkte gibt, dann muss Deutschland mit gutem Beispiel voran gehen, Alle Bürger sollen in einer gemeinsamen Bürgerkrankenversicherung gleich behandelt werden. Das sind gute Worte, aber warum hat die SPD dies nicht schon mit den Grünen gemeinsam durchgesetzt oder der CDU in der großen Koalition Beine gemacht?

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat interessante Dinge gesagt. „Die einfachen Menschen sind es, die die Krise meistern müssen, während die Verursacher oft schon über alle Berge sind.“ Auch sie ist für Regeln für Banken und Finanzinstitutionen, aber nur auf internationalem Gebiet, weil Deutschlands Unternehmen bei einer rein deutschen Regelung schnell das Land verlassen würden. Die Bundeskanzlerin sprach sich gegen Mindestlöhne aus, und zwar aus demselben Grund, die Unternehmen würden dann Leute entlassen, weil ihr Gewinn nicht mehr so hoch ist. Der Atomausstieg soll nach dem Willen von Frau Merkel hinausgezögert werden, bis andere Energiequellen rentabel sind. Die deutsche Energieversorgung muss wirtschaftlich, umweltverträglich und versorgungssicher sein, meinte die Kanzlerin, und das alles erfülle die Kernenergie als Brückentechnologie. Es geht also nicht um die Sicherheit der Atomkraftwerke, sondern um die Sicherheit der Versorgung mit Energie. Das Rezept der Kanzlerin für eine glückliche Zukunft: Wachstum. Wachstum schafft Arbeitsplätze. Aber wie will man ein unbegrenztes Wachstum erreichen? Mehr Wettbewerb, mehr Arbeitnehmermotivation, damit sie wirklich arbeiten und nicht so faul sind, mehr Herstellung und Export von Umwelttechnologie und ähnliches. Die Bundeskanzlerin konnte aber nicht so recht erklären, warum Steuersenkungen möglich sind bei der hohen Staatsverschuldung, die im Augenblick herrscht.

Mehr muss man über das Duell nicht wissen. Wenn es Ihnen die Wahl nicht leichter macht, fragen Sie den Wahl-o-maten unter www.wahl-o-mat.de. Das Duell sollten wir möglichst schnell wieder vergessen, es haben sich auch nur wenige Zuschauer dafür interessiert. Dass auf Facebook und Twitter erheblich mehr los war, was die Diskutantinnen und Diskutanten im berliner Fernsehstudio aber leider nicht erreichte, ist denn auch nur noch eine Randnotiz. Wer aus Gründen der Geschäftemacherei eine Übertragung eines solch wichtigen Ereignisses im Radio verhindert, den interessiert auch nicht, wie die Diskussion im Internet verläuft.

Ich wäre ja für ein Duell der 5 bis 6 Spitzenkandidaten aller Parteien mit höchstens 2 Moderatoren, bei dem Fragen gestellt werden, und wo zumindest die Journalisten die Diskussionsteilnehmer so lange ausreden lassen, bis ihre Zeit um ist. Den Wahlkampf auf 2 Gesichter zuzuspitzen ist nach meiner Ansicht der falsche Weg, wieder mehr Interesse an der Demokratie zu wecken. Auf Facebook und Twitter haben sich Politiker aus der zweiten Reihe der Grünen und der FDP und auch von der Linkspartei erheblich klarer, prägnanter und teils auch bissiger geäußert, als die beiden Hauptfiguren im Fernsehstudio. Trotzdem: Gehen Sie wählen!

© 2009 ohrfunk.de

Autor: Jens Bertrams

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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