Was bringt uns der Koalitionsvertrag?

Den folgenden Kommentar zum schwarzgelben Koalitionsvertrag habe ich heute für die Sendung „17-20, der Soundtrack zum Tag“ auf ohrfunk.de geschrieben und dort veröffentlicht.

Nun ist sie also so gut wie im Amt, die neue Koalition aus CDU-CSU und FDP. Seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages gibt es die reflexhaften Reaktionen, die man erwarten konnte. Die Opposition und die Gewerkschaften kritisieren den Vertrag scharf, die Arbeitgeberverbände loben das Dokument. Mit 124 seiten ist er so groß wie nie zuvor, und man sollte meinen, dass auch mehr konkretes dort zu lesen sei. Aber auch hierüber gibt es verschiedene Ansichten, vor allem bei den Medien. Der eine Kommentator erklärt, es sei ein Manifest der Hornissen, das die Entsolidarisierung der Gesellschaft betreibe, der andere Kommentator spricht von einem Koalitionspapier ohne konkrete Inhalte und ohne wirkliche Reformbereitschaft. Und beide Kommentatoren schreiben in derselben Zeitung. Da wird es notwendig, einmal kurz zusammenzufassen, was die Hauptziele der neuen Regierung sind.

Wichtigster Punkt scheinen die allgemeinen Steuererleichterungen zu sein. 24 Milliarden Euro sollen sie betragen. Dazu wird der Kinderfreibetrag auf 7008 Euro angehoben, das Kindergeld zum 1. Januar 2010 auf 174 Euro. Von 2013 an sollen Eltern ein Betreuungsgeld von 150 Euro im Monat bekommen, wenn sie für ihr Kind unter drei Jahren keinen staatlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen.

Das Schonvermögen von ALG-II-Empfängern soll im Laufe der Legislaturperiode verdreifacht werden, die Zuverdienstregelung soll zugunsten der Arbeitslosen verbessert werden, aber ohne jede konkrete Idee oder Terminvorstellung. Stattdessen denkt man über eine Pauschalierung der Wohnungskosten nach, die bisher in voller Höhe übernommen wurden, wenn sie einen zumutbaren Betrag nicht überschritten.

Gesetzliche Mindestlöhne soll es nicht geben. Tarifliche Mindestlöhne können vom Kabinett einhellig für verbindlich erklärt werden. Als sittenwidrig sollen Löhne gelten, die mehr als ein Drittel unter dem ortsüblichen Lohn in der entsprechenden Branche liegen. Aber das ist Augenwischerei, denn durch die Absenkung der Löhne wird auch der ortsübliche Lohn immer mehr herabgesenkt. Die Lohndumpingspirale wird sich weiterdrehen.

Die Krankenversicherung soll grundlegend umgebaut werden. In Zukunft zahlen Arbeitnehmer und andere Versicherte einen einkommensunabhängigen Beitrag. Das bedeutet in der Praxis, dass sozial Schwache mehr zahlen müssen. Der Arbeitgeberbeitrag soll fixiert werden und nicht steigen. Nachgedacht wird allerdings über einen steuerfinanzierten Solidarzuschlag für arme Menschen.

In der Atompolitik gibt es eine halbe Rolle rückwärts. Die bestehenden Atomkraftwerke sollen längere Laufzeiten haben dürfen, die dadurch entstandenen Gewinne sollen zum Teil in die Entwicklung erneuerbarer Energien fließen. Das Neubauverbot für Atomkraftwerke bleibt aber bestehen.

In der Außenpolitik gibt es keine Überraschungen: Wir bleiben in der NATO, der EU und in Afghanistan, der Welthandel soll liberalisiert, die Gruppe der wirtschaftlichen Schwellenländer stärker einbezogen werden.

Eine Änderung gibt es beim Wehr- und Ersatzdienst. Soldaten wie Zivildienstleistende sollen künftig nur noch ein halbes Jahr lang Dienst tun. Für die Sozialeinrichtungen, die fest mit Zivildienstleistenden über einen bestimmten Zeitraum rechnen, wird dies schwer zu kompensieren sein.

Weder der Umgang mit dem Internet, noch die Politik für Menschen mit Behinderungen nehmen im Koalitionsvertrag einen besonderen Raum ein. Während die FDP vor der Wahl als Tiger startete und die Rücknahme einiger sicherheitspolitischer Einschränkungen wie der Vorratsdatenspeicherung verlangte, ist davon jetzt keine Rede mehr, und die Gelben sind als Bettvorleger gelandet. Für Menschen mit Behinderung soll es immerhin mehr Barrierefreiheit geben, und man bekennt sich ausdrücklich zur UN-Behindertenrechtskonvention. Konkretes lässt sich daraus aber nicht ablesen.

Ob nun „Manifest der Hornissen“ oder vage Absichtserklärung, der Koalitionsvertrag zeigt, dass in vielen Politikbereichen eine Wende durchgeführt werden soll. Ob damit der so oft beschworenen Krise entgegengetreten werden kann, und wie man die ehrgeizigen Steuersenkungsvorhaben gegenfinanzieren will, ohne den Sozialstaat abzuschaffen, das weiß bislang vermutlich nur der Himmel.

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Autor: Jens Bertrams

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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