Geld, Politik und Sport – ein Dreierschlag

Den folgenden Kommentar habe ich am 20.05.2010 auf ohrfunk.de veröffentlicht.Na? Haben Sie heute schon Ihren ganz persönlichen Leerverkauf getätigt? Nein? Ach so, logisch! Ist ja verboten! Das ist also der groß angelegte Kampf gegen die Börsenspekulanten. Und so schnell! Scheint so, als sei die Entfernung zwischen Deutschland und Griechenland erheblich geschrumpft. Nicht geographisch, sondern finanziell und wirtschaftlich, meine ich. Wie sonst ist die plötzliche Einführung einer Transaktionssteuer zu erklären, natürlich im Alleingang! Verstehen Sie eigentlich, was mit Leerverkäufen und Transaktionssteuer oder Aktivationssteuer gemeint ist? Nein? Trösten Sie sich: Viele Sparkassenberater verstehen es selbst nicht. Aber wenigstens beim Leerverkauf kann ich Ihnen ein wenig weiterhelfen. Damit ist nicht der Verkauf von Leergut gemeint, sondern eine Börsenspekulation. Obwohl ich, unter uns gesagt, manchmal glaube, dass man den ganzen Finanzkram nur verstehen kann, wenn man eine Menge Leergut im Haus und genug Alkohol im Blut hat. Aber zurück zum Leerverkauf. Die Sache funktioniert ungefähr so: „Wenn das Wetter so schön bleibt, haben wir im Herbst reiche Ernte“, sagt der Bauer zum Zwischenhändler. „Gut, dass ich das weiß“, antwortet der Zwischenhändler dem Bauern, „ich könnte Ihnen ja die Ernte für 1 Euro pro Heuballen abkaufen, wenn es wirklich so weit kommt.“ „Ich merk Sie gern vor“, antwortet der Bauer erfreut, denn er hat die Ernte damit schon an den Mann gebracht. Der Zwischenhändler geht nun zum Einzelhändler und sagt: „Hi, ich verkaufe Ihnen gern garantiert 100 Ballen Heu zu je 10 Euro das Stück aus bester Qualität. Sie zahlen heute, ich liefere im Herbst, weil dann ist die Ernte.“ „Okay“, sagt der Einzelhändler und zahlt. Dumm ist eben nur, wenn die Ernte entgegen aller Voraussagen nicht so reich ausfällt wie geplant. Dem Zwischenhändler macht das nichts, er hat sich ja sein Geld schon gesichert. Der Vertrag ist gültig, er hat Gewinn gemacht. So etwas gibt es auch an der Börse, und solche Leerverkäufe hat die Bundesregierung jetzt verboten. Offenbar haben die Spekulanten sehr viel Geld aus der Volkswirtschaft gezogen, das jetzt an allen Ecken und Enden fehlt. Und dann will die Regierung noch eine Transaktions- oder Aktivierungssteuer einführen. Das haben wir doch alle schon mal gehört? Fordert Attac so etwas nicht schon seit Jahrzehnten? Und hat man uns nicht immer wieder gesagt, dass so etwas nur Sinn hat, wenn alle mitmachen? Die Marktapostel beschweren sich schon wieder über zu viel Regulierung, die Linken Halten diese neue Steueridee der Kanzlerin für „Baldrian fürs Volk“, wie es die süddeutsche Zeitung heute formulierte. Und ich? Ich habe täglich mehr und mehr Probleme, den Wust von Begriffen und Maßnahmen überhaupt noch zu verstehen.

Also, anderes Thema: In Nordrhein-Westfalen gab es eine Landtagswahl, und die schwarzgelbe Bundeskoalition hat ihre Bundesratsmehrheit verloren. Das ist nicht so spektakulär wie es sich anhört, denn fast alle Regierungen mussten in den letzten Jahrzehnten mit einer gegen sie gerichteten Bundesratsmehrheit leben. Der Vermittlungsausschuss regierte eben mit. Was glauben Sie, warum viele groß angekündigte Reformen immer nur Reförmchen blieben? Jedenfalls muss jetzt im bevölkerungsreichsten Bundesland erst einmal eine neue Regierung gebildet werden. Dazu haben jetzt offizielle Gespräche zwischen SPD, Grünen und Linken begonnen, obwohl die SPD das doch vorher ausgeschlossen hatte. Ich bin schockiert! Nein, nicht wegen des nicht gehaltenen Wahlversprechens, das kommt vor, das ist normal. Aber hätten sich die blöden Sozis das nicht vor 2 Jahren auch schon in Hessen überlegen können? Dann wäre uns noch mal so ein Koch erspart geblieben. Okay, sie haben es ja versucht, aber es gehört eben Mut dazu, den zumindest einige hessische Sozis nicht hatten. Darum regiert uns hier immer noch der Marktradikale Roland Koch, während man in NRW wenigstens über eine mitte-links-Regierung spricht. Und es ist ja keineswegs sicher, dass eine solche Regierung auch zustande kommt, ich fände es nur einen wohltuenden Kontrapunkt zum marktwirtschaftlichen Weltuntergangsgeschrei.

Also gut: Wenden wir uns einem unpolitischen Thema zu. Wie wäre es mit dem Knöchel der Nation, dem nationalen Sorgenkind Michael Ballack? Ich meine: Wie soll die deutsche Elf ohne ihn den Weltmeistertitel erringen? Das müsste uns doch wirklich sorgen machen. Und da hilft auch kein „Give me Hope, Joachim“, wie die Gruppe Basta furchtlos und unerschrocken intoniert. Was, wenn wir nicht Weltmeister werden? Oder wenigstens Vizeweltmeister, nachdem die Brasilianer ja den Titel ebenso gepachtet zu haben scheinen wie die Bayern die deutsche Meisterschaft. Also ihr Fußballkönner. Auf euch liegt eine schwere Verantwortung. Gebt der Nation Hoffnung! Schafft ein Wunder wie 1954 in Bern, zeigt der Welt: „Wir sind wieder wer.“ Lasst die Finanzkrise vergessen, bietet uns, auch ohne Ballack, einen Marshall-plan der emotionalen Wiedererweckung. Obwohl: Wenn ich so drüber nachdenke, wäre ein Sieg oder ein gutes Vorankommen doch nicht so gut. Erinnern Sie sich noch, was vor vier Jahren geschah, als ganz Deutschland im Fußballfieber lag? Richtig, die Mehrwertssteuererhöhung und andere Maßnahmen zur Schwächung der Kaufkraft wurden beschlossen, von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt. Wenn uns das nicht wieder passieren soll, müssten wir hoffen, dass die deutsche Nationalmannschaft nach der Vorrunde nach hause zurück kommt.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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