Die Rückkehr des Diktators

In einem kleinen Land im Norden Südamerikas, in Suriname, wurde gestern der neue Präsident vereidigt. Es handelt sich um eine der umstrittensten Personen der wechselvollen Geschichte des noch jungen Staates: Desi Bouterse. Er war schon einmal lange Zeit Diktator in der ehemaligen niederländischen Kolonie, aber jetzt kehrt er als scheinbarer Demokrat zurück an die Macht.Der Lebensweg des neuen, 65jährigen Präsidenten des kleinen Landes ist Bizarr. Suriname ist ein Teil des Gebietes, das man als Guyana kennt. Die Region wurde schon seit dem 17. Jahrhundert von Briten, Franzosen und Niederländern beherrscht. Eine halbe Million Menschen leben im niederländischen Teil. Kreolen, Inder und sogenannte Buschneger stellen die größten Bevölkerungsgruppen, nur rund 5000 Europäer leben in dem kleinen Land. Schon 1945 war Suriname allerdings eine gut ausgebaute niederländische Kolonie, als am 13. Oktober Désiré Delano Bouterse zur Welt kam, ein in seiner Schulzeit schüchterner aber aufmerksamer Junge, der in eine katholische Schule ging. Anstatt sich, wie von den Priestern gewünscht, zum Handwerker ausbilden zu lassen, spielte er lieber Fußball mit den niederländischen Soldaten der nahen Kaserne. Im Alter von 23 Jahren zog er in die Niederlande, deren Staatsbürgerschaft er natürlich besaß, und wurde Soldat. Nebenbei verdiente er seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Pornoheftchen und Stereoanlagen. Ein ganz gewöhnlicher junger Mann, der in der niederländischen Armee Sportlehrer war und auch im deutschen NATO-Standort Seedorf Dienst tat. Bis 1975 brachte er es zum Feldwebel. Erstmals im Fernsehen sah man Bouterse, als er im November 1973 bei einer landesweiten Spendenaktion mithalf. Als Suriname am 25.11.1975 von den Niederlanden in die Unabhängigkeit entlassen wurde, kehrte Desi Bouterse in seine Heimat zurück und nahm die Staatsbürgerschaft des neuen Staates an. Er stellte sich zur Verfügung, ein eigenes Heer aufzubauen, es hatte die Stärke von 800 Mann.

Der kleinen, von der Welt weitgehend unbeachteten Republik gelang es nach der Unabhängigkeit nicht, die ethnischen und sozialen Probleme des Landes in den Griff zu kriegen. An der Spitze der Regierung griff Korruption um sich, die während der letzten Kolonialjahre guten sozialen Bedingungen verschlechterten sich. Am 24. Februar 1980 forderten Militärs unter Führung von 16 Unteroffizieren, darunter auch Desi Bouterse, die Genehmigung zur Gründung einer Militärgewerkschaft nach niederländischem Vorbild. Die Regierung hielt dem Druck nicht stand und brach zusammen. Plötzlich hielten die Militärs die Macht in Händen. „Ein Versehen“, sagte später einer der Kameraden Bouterses, „wir wollten eine Gewerkschaft und hatten plötzlich das ganze Land.“ Anfangs wurden die neuen Machthaber nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in den Niederlanden hofiert. Man erhoffte sich von Bouterse und seinen Freunden, dass mit ihnen geordnete Verhältnisse Einzug halten würden. Eine Weile lang schien das Konzept aufzugehen: Die Parteien wurden nicht verboten, mehr als 2 Jahre lang arbeitete das Parlament weiter. Innerhalb der Militärführung allerdings wurde Bouterse schnell zum starken Mann. Er beförderte sich selbst vom Feldwebel zum Oberstleutnant und Armeechef. Die Truppenstärke wurde auf 2000 Mann erhöht. Schnell stellte sich aber heraus, dass Korruption und wirtschaftlicher Niedergang nicht aufgehalten wurden. Und dann kam der 8. Dezember 1982. An diesem Tag wurden 15 Personen, angehörige der Bildungs- und Wirtschaftselite sowie oppositionelle Politiker, von Regierungstruppen erschossen. Außerdem wurden Zeitungen, Gewerkschaften und Parteien verboten, die Verfassung war schon vorher außer Anwendung gesetzt worden. Spätestens seit diesem Tag herrschte Bouterse, auch wenn er selbst kein politisches Amt bekleidete, als Militärdiktator. Von nun an wurde Suriname mit harter Hand regiert, aber es half nichts. Die Wirtschaftshilfe aus den Niederlanden, die rund ein Drittel des Staatshaushaltes ausmachte, blieb aus, das Regime wurde schwerer Menschenrechtsverletzungen bezichtigt.

1986 stellte sich Ronnie Brunswijk, ein Leibwächter Bouterses, gegen seinen Chef und zettelte einen Aufstand der Buschneger an. Er wurde darin von der in den Niederlanden lebenden Gemeinschaft der Surinamer unterstützt und finanziell wie materiell ausgerüstet. 4 Jahre dauerte der Bürgerkrieg, und beide Seiten verübten grausame Verbrechen. Die Regierungstruppen ließen 1987 das Heimatdorf Brunswijks niederbrennen und rund 70 Personen, meist Frauen und Kinder, ermorden. Inzwischen ist bekannt, dass die Niederlande zu diesem Zeitpunkt kurzfristig über eine Militärintervention nachdachten, den Gedanken aber schnell wieder verwarfen. Es wäre ein kostspieliges und blutiges Unternehmen geworden.

1987 kehrte Suriname formell mit einer neuen Verfassung zu demokratischen Zuständen zurück, aber noch einige Jahre lang blieb Bouterse faktisch Alleinherrscher. Durch die allmähliche Demokratisierung gelang es, auch den Bürgerkrieg zu beenden. Die alten Parteien tauchten wieder auf, die Lage stabilisierte sich langsam. Allerdings blieben Bouterse und seine Kameraden lange unbehelligt. So konnte der Armeechef, der als solcher immer noch frei handeln konnte, sein Drogenimperium aufbauen. Es war für ihn eine außerordentlich erträgliche Einnahmequelle. In den Niederlanden wurde er deswegen zu 11 Jahren Haft verurteilt, es gibt einen internationalen Haftbefehl gegen ihn. Sein Sohn wurde in Suriname selbst 2005 zu einer hohen Haftstrafe wegen Drogenhandels verurteilt. Gegen Bouterse selbst wurde 2007 ein Verfahren wegen der Morde im Dezember 1982 eröffnet. Zeit also, an die Macht zurückzukehren, die ihm Immunität bringen würde.

Man sollte meinen, die Bevölkerung Surinames hätte genug von Bouta, wie er gerufen wird. Doch ganz offensichtlich ist dem nicht so. Bouterse ist äußerst beliebt. Im Wahlkampf versprach er eine „Wohnung für Jedermann“. So sehr glaubte man seinen Versprechen, dass am Tag nach der Wahl Bouterses zum Präsidenten tausende Menschen zum Wohnungsbauministerium gingen und die Schlüssel für ihre neue Wohnung erbaten. Außerdem versprach der ehemalige Militärmachthaber der Bevölkerung mehr soziale Sicherheit und eine Bessere Versorgung der Rentner. Und natürlich ein besseres Bildungssystem. Um Präsident zu werden benötigte Bouterse bei den Wahlen zwei drittel der Stimmen im Parlament. Seine eigene Koalition reichte dafür nicht aus, obwohl sie die stärkste Kraft ist. Und nun geschah etwas unglaubliches. Bouterse schaffte es, die Stimmen der Partei seines ehemaligen Erzfeindes Brunswijk hinter sich zu bringen und errang so die notwendige Mehrheit. Die Bevölkerung scheint zu glauben, dass der Aufbruch in ein neues, goldenes Zeitalter bevorsteht. Doch international ist die neue Regierung Surinames geächtet. Nicht ein einziges Staatsoberhaupt kam zu den pompösen Feiern nach Paramaribo, mit denen der einstige Militärmachthaber und Drogenbaron auf demokratische Weise an die Macht zurückkehrte. Suriname ist eine präsidialrepublik, Bouterse vereinigt also das Amt des Staats- und Regierungschefs in seiner Person, und er ist nicht dem Parlament verantwortlich. Er kann zwar nicht ganz so schalten und walten, wie er es aus früheren Zeiten gewohnt ist, aber eine Verurteilung wegen der sogenannten Dezembermorde muss Bouterse vorerst nicht mehr fürchten.

„Demokratie ist eine schlechte Regierungsform, aber sie ist die Beste, die wir haben“, soll Winston Churchill einmal gesagt haben. Sieht man sich die Hintergründe der Wahl Desi Bouterses zum Präsidenten von Suriname an, könnte man ihm recht geben. Nur die aktuellen Versprechungen zählen, nicht die Hintergründe, nicht die Vergangenheit. Wie muss den Hinterbliebenen der Menschen zumute sein, die im Dezember 1982 oder im Bürgerkrieg grausam umgebracht wurden? Die Wahlhilfe Brunswijks für Bouterse werden auch viele Menschen als Verrat des ehemaligen Rebellen begreifen, andere werden es als Zeichen der Versöhnung verstehen. Sicher ist nur eins: In Suriname herrscht nach wie vor eine kleine Gruppe von einflussreichen Leuten, allesamt korrupte Politiker, Drogenhändler und Militärs.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Die Rückkehr des Diktators

  1. Das Nest sagt:

    Danke für diesen ausgesprochen spannenden Bericht über ein land, daß man zumindest hier bei uns so gut wie nicht kennt. Was für eine wirre, wechselvolle GEschichte! Und wie muß Brunswijk zu dieser ganzen Sache stehen, wenn er jetzt Leute unterstützt, die sein heimatdorf dem Erdboden gleichgemacht haben? Vermutlich war es überhaupt nur deshalb und aus seiner angst heraus möglich, seine Partei derart zu beeinflussen? Aber Boudherse selbst soll doch krank sein, oder? Bin mal gespannt, wie das weitergeht.

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