Brauchen wir noch Feminismus? – Zum Streit zwischen Alice Schwarzer und Kristina Schröder

Einen bizarren Sex-Streit hat die „Bild“-Zeitung die Auseinandersetzung zwischen Alice Schwarzer und Familienministerin Kristina Schröder genannt. Daran sieht man nicht nur, wie schlecht „Bild“-Redakteure lesen können, sondern auch, wie kompliziert die Auseinandersetzung tatsächlich ist. Um Sex geht es dabei nämlich nur am Rande. Um die Frage, wann der berühmt-berüchtigte Feminismus seine Ziele erreicht hat umso mehr. Immerhin sind wir so weit gekommen, dass ich mich als Mann dazu äußere.Eigentlich ist es nur ein Sturm im Wasserglas. Unsere junge, neokonservative Familienministerin gibt dem „Spiegel“ ein Interview, in dem sie auch mit bestimmten Strömungen des Feminismus abrechnet. Die alt gewordene Ikone der feministischen Bewegung reagiert wutschäumend und spricht der Familienministerin die Kompetenz ab. Und das war es dann. Wäre da nicht die gesellschaftlich so relevante Frage nach den Errungenschaften des Feminismus in den letzten knapp 40 Jahren. Gäbe es da nicht die Notwendigkeit, sich die Frage zu stellen, ob der neue Konservatismus der oft als „Girlies“ bezeichneten jungen Politikerinnen das erstrebte Ziel des Feminismus ist oder eine verfehlte und ungewollte Entwicklung? Fragen, die Expertinnen auf diesem Gebiet sicher kompetenter beantworten können als ich. Mir selbst bleibt nur, den Streit, der keiner hätte werden müssen, aus meiner Sicht zu analysieren.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) scheint eine selbstbewusste junge Frau zu sein. Der Ton und die Klarheit ihrer Antworten im Interview mit dem hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ lassen darauf schließen. Dabei will sie keine Feministin sein, ist sich aber der Tatsache bewusst, dass ihre Karriere ohne die Arbeit der Feministinnen nicht in dieser Weise möglich wäre. Zwischen diesen Aussagen finden sich in einem teilweise interessanten, teilweise seichten Interview aber Passagen, die aufhorchen lassen.

Zum Beispiel die Folgende: „ich stimme einer Kernaussage der meisten Feministinnen nicht zu, nämlich der von Simone de Beauvoir: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Dass das Geschlecht nichts mit Biologie zu tun hat, sondern nur von der Umwelt geschaffen wird – das hat mich schon als Schülerin nicht überzeugt.“ Oder diese: „Für mich ist Gleichberechtigung erst dann erreicht, wenn man sich als Frau auch schminken und Röcke tragen kann, ohne dass deshalb an der Kompetenz gezweifelt wird.“ Liest man diese Statements, kann man sich fragen, warum sich Alice Schwarzer nicht über die Familienministerin freut. Das Geschlecht scheint hier nicht mehr wichtig, die Kompetenz ist das Maß der Dinge, egal wie man aussieht oder sich kleidet. Freiheit für die Frau in jeder Hinsicht.

Was die alten Feministinnen daran stören mag ist das Gefühl, das auch mich beschleicht: Dass nämlich die durch den Feminismus errungene Freiheit der Frau zu ihrer eigenen Einschränkung benutzt werden soll. Frau Schröder ist gegen die Frauenquote in Führungspositionen, denn auch hier soll nur die persönliche Kompetenz jeder einzelnen Bewerberin entscheiden. Weitere Unterstützung gesetzlicher Art wird ihrer Meinung nach nicht benötigt, vielen Dank. Wenn es nur 4 von 185 Dax-Vorständen gibt, die weiblichen Geschlechts sind, dann liegt es eben an der mangelnden Kompetenz der Frauen, basta. Das ist für Frau Schröder gelebte Gleichberechtigung, Frauen werden wie ihre männlichen Kollegen beurteilt und behandelt. Natürlich ist es völlig korrekt, dass zur wirklichen Freiheit der Frau auch gehört, sich zu kleiden, wie man will, eben kein Vorstand in einem Dax-Unternehmen zu sein oder hinter bzw. vor dem Herd zu bleiben. Vermutlich fürchtet Frau Schwarzer, dass die jungen konservativen Frauen die Freiheit der Frau dazu benutzen, das frühere weibliche Rollenmodell mit selbstbewusster Entscheidung wieder aufzugreifen und anzunehmen. Und das wäre nun wirklich etwas, was den Zielen des Feminismus zuwider läuft.

Auch dass Frau Schröder den oben zitierten Satz von Simone de Beauvoir aus dem Zusammenhang reißt und wörtlich nimmt, wird Alice Schwarzer verärgert haben. Denn natürlich hat die berühmte französische Feministin nicht bestritten, dass man biologisch als Frau geboren wird, wie Kristina Schröder es verstehen will. Doch durch die Gesellschaft wurden und werden teilweise den Frauen, aber auch den Männern, bestimmte Rollen zugewiesen, Aufgaben und Funktionen, deren Wirkungskreis man bitte nicht verlassen soll. Für junge und alte Konservative ist das selbstverständlich. Für ihr Verständnis von Realität gibt es nun einmal Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die man akzeptieren und nicht ideologisch verfremden oder verwischen soll. Oder um es in Kristina Schröders eigenen Worten zu sagen: „Für mich bedeutet Konservatismus, die Realität zu akzeptieren. Die Linken wollen die Menschen umerziehen. Wir erkennen an, dass es Unterschiede gibt, auch zwischen Mann und Frau.“ Simone de Beauvoir und die Feministinnen der siebziger Jahre hatten sicher das Ziel, die scheinbar Gott gewollte Ordnung der Geschlechterrollen zu durchbrechen. Ich glaube, dass dies das größte Dilemma dieses Feminismus ist. Da werden Frauen geboren und entscheiden dann im Erwachsenenalter selbstständig, dass sie den Feminismus nicht brauchen, dass sie lieber wieder mehr die Rolle einnehmen, die ihnen früher zugedacht war, dass sie von der Unterschiedlichkeit von Mann und Frau überzeugt sein wollen. Damit hat der Feminismus das Ziel der Freiheit der Frau erreicht, aber nicht das, von dem er annahm, was Frauen daraus machen müssten.

Und genau hier reihen sich dann auch die wenigen weiblichen Dax-Vorstände wieder ein in die Argumentation. Solange Frauen nicht dieselben Möglichkeiten haben wie Männer, solange hat der Feminismus seine Ziele eben nicht erreicht. Nicht nur die Entscheidungsfreiheit jeder einzelnen Frau kann das Ziel sein, sondern gleiche Möglichkeiten für biologisch unterschiedliche, aber gesellschaftlich gleichgestellte Lebewesen. Und in diesem Sinne hat Simone de Beauvoir nicht nur recht, ihr Satz hat auch nicht viel von seiner Aktualität eingebüßt in den letzten 40 Jahren. Mit Kinderbetreuung allein ist es nicht getan. Das mag wirtschaftlich ausreichend sein, gesellschaftlich ist es bei weitem nicht genug.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder zeigte sich den immer noch existierenden gesellschaftlichen Rollenungleichheiten der Geschlechter gegenüber eher gleichgültig. Auf die Frage, was sie von Alice Schwarzer halte, erklärte sie dem „Spiegel“: Ich habe viel von ihr gelesen – „Der kleine Unterschied“, später dann „Der große Unterschied“ und „Die Antwort“. Diese Bücher fand ich alle sehr pointiert und lesenswert. Etliche Thesen gingen mir dann aber doch zu weit: zum Beispiel, dass der heterosexuelle Geschlechtsverkehr kaum möglich sei ohne die Unterwerfung der Frau. Da kann ich nur sagen: Sorry, das ist falsch.“ Und weiter: „Es ist absurd, wenn etwas, das für die Menschheit und deren Fortbestand grundlegend ist, per se als Unterwerfung definiert wird. Das würde bedeuten, dass die Gesellschaft ohne die Unterwerfung der Frau nicht fortbestehen könnte.“ Übersehen hat Frau Schröder dabei, wie Alice Schwarzer in ihrem Antwortbrief auch deutlich feststellte, dass dieser Satz aus dem Jahre 1975 stammte. Was immer man über radikalen Feminismus sagen kann, die Zeiten waren damals andere. Zwar bin ich der Ansicht, dass es auch damals gute, funktionierende Beziehungen ohne Unterdrückung der Frau gab, doch noch viel häufiger als heute lebten Frauen in gesellschaftlicher Abhängigkeit von Männern. Gerade erst war der Schuldspruch bei Scheidungen abgeschafft worden, mit dem der schuldige Teil einer gescheiterten Ehe jedes Anrecht auf Unterhalt verlieren konnte. Und erst in jenen Jahren wurde das Familienrecht so reformiert, dass es dem Mann nicht mehr erlaubt war, beispielsweise das Arbeitsverhältnis seiner Frau ohne Absprache mit ihr zu kündigen. Beziehungen begannen gerade erst, nicht mehr das Verhältnis Abhängiger zu ihren Versorgern darzustellen. Gleichberechtigung zog erst langsam aus den Gesetzbüchern in den Alltag. Und hierbei wirkte der Feminismus mit, gerade auch die radikalen Strömungen, an denen man sich reiben konnte, die einen veranlassten, sich aufzuregen und seine eigene Position zu bestimmen und zu äußern. Dabei war der Satz Alice Schwarzers damals wohl eher analytisch gemeint gewesen, weniger als Kampfthese oder Schlagwort. Natürlich kann Kristina Schröder es nicht lassen, Alice Schwarzer diesen Satz vorzuhalten und daraus folgern, dass der Fortbestand der menschlichen Gesellschaft nur durch Unterwerfung möglich sei. Damit funktioniert sie ihn um, diesen Satz, zum Kampfmittel der jungen Konservativen, um zu beweisen, wie sehr die Linken die Menschen erziehen wollen, und wie wenig gesellschaftliche Veränderung noch notwendig ist, wenn man die Gott gegebenen Unterschiede zwischen Mann und Frau endlich akzeptiert.

Übrigens schreibt auch Alice Schwarzer in ihrem ansonsten eher unflätigen und inhaltsleeren Antwortbrief genau zu diesem Punkt eine Passage, die ich wichtig finde: „Sodann bürsten Sie mich ab, klar. Sie hätten zwar „viel gelesen“ von mir, aber… Mit Verlaub: Ich kann mir das kaum vorstellen. Sonst würden Sie nicht einen so hanebüchenen Unsinn behaupten wie den: Ich hätte geschrieben, „dass der heterosexuelle Geschlechtsverkehr kaum möglich sei ohne die Unterwerfung der Frau“. Ich vermute, Sie rekurrieren damit auf den 1975 (!) erschienenen „Kleinen Unterschied“. Darin wird in der Tat die Funktion von Sexualität und Liebe bei der (Selbst)Unterdrückung von Frauen analysiert. Das ist weltweit ein zentrales feministisches Thema. Denn noch immer verstehen manche Frauen unter Liebe vor allem Selbstaufgabe, und ist Sexualität noch viel zu oft mit Gewalt verbunden.“ Es geht also nicht so sehr um die bewusste Unterdrückung der Frau durch den Mann, die Alice Schwarzer hier beklagte. Es geht um die Selbstzensur der Frau, um die Selbstaufgabe in der Beziehung. Ein Umstand, der dem Mann nicht immer bewusst sein muss. Ein Umstand übrigens auch, den ich sogar heute bei den jungen, erfolgreichen Alleskönnerinnen wiederfinde. Die Sängerin Anuschka Zuckowski hat das Leben einer modernen Frau in ihrem Singlehit „Die große Freiheit“ wunderbar beschrieben: Die Frau ist Chaufeuse, Köchin, achtet mit Musik und Sport auf das Wohl der Familie, mag Kultur, ist nicht stur, eine Frohnatur, macht bei Powerjoga und Maraton immer eine gute Figur. Und dann die Zeilen: „Job und Haushalt zu organisieren krieg ich mit 4 Stunden Schlaf locker hin. Und (ich) bin nach Abwasch, Windeln und Tagesthemen leidenschaftliche Liebhaberin.“ So sehr dieses Lied auch andere Themen beleuchtet, die Selbstaufgabe dieser Frau ist inmitten der „großen Freiheit“ deutlich zu spüren. Und es sind die Anforderungen unserer Moderne, die den Frauen nicht nur die traditionellen Aufgaben, sondern auch neue gesellschaftliche und berufliche Pflichten abverlangen. Und in einer Beziehung wird eine Frau wohl oft immer noch, oder sogar wieder häufiger, danach beurteilt, ob sie diese Anforderungen meistert. Um attraktiv gefunden zu werden, scheint heutzutage Perfektionismus nötig, und das hat natürlich Einfluss auf ein Beziehungsleben.

Aber selbst in wirtschaftlicher Hinsicht, wo bei den Frauen der CDU ja eigentlich ein für ihre Verhältnisse fortschrittliches Geschlechterverständnis existiert – der Wirtschaft dürfen schließlich alle dienen -, schiebt die Ministerin die Schuld für die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen den Frauen selbst zu. Auf die Frage der Journalisten, ob die Bundesfamilienministerin nicht etwas gegen die geringere Bezahlung von Frauen bei gleicher Arbeitsleistung, den sogenannten „gender pay gap“, unternehmen könnte, erklärte Kristina Schröder: „Das ist schon längst durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verboten. Aber die Wahrheit sieht doch so aus: Viele Frauen studieren gern Germanistik und Geisteswissenschaften, Männer dagegen Elektrotechnik – und das hat dann eben auch Konsequenzen beim Gehalt. Wir können den Unternehmen nicht verbieten, Elektrotechniker besser zu bezahlen als Germanisten.“ Was bedeutet dies also im Klartext? Frauen: Wenn ihr gerecht bezahlt werden wollt, werdet elektrotechnikerinnen. Geisteswissenschaftler und Germanisten brauchen wir nicht. Was kümmert uns unsere eigene Sprache, wir lernen ohnehin alle englisch, um international wettbewerbsfähig zu sein. Was kümmern uns Philosophie, Ethik, Politikwissenschaft, Soziologie und all diese lästigen Dinge, wenn wir doch ohnehin nur alle der Wirtschaft dienen sollen? Da ist es nicht notwendig, die Menschen zu aufgeklärten kritischen Bürgern zu erziehen. Und wenn ihr blöden Frauen diesen Neoliberalismus nicht schlucken wollt, sollt ihr bitte auch weniger Geld dafür kriegen, es sei denn, ein Unternehmer ist selbst so blöd, Geisteswissenschaften gut zu bezahlen. Abgesehen vom mangelhaften Verständnis und der nicht vorhandenen Wertschätzung der Ministerin für Geisteswissenschaften und den daraus erwachsenden sozialen Bewegungen,, offenbart dieses Statement deutlich Frau Schröders Meinung über das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft. Lernt und tut, was die Wirtschaft braucht, lautet die kaum verhohlene Botschaft, der Rest ist überflüssig und sinnlos.

Dabei gibt es einen anderen Punkt, in dem ich die echte Fortschrittlichkeit unserer Familienministerin wirklich schätze: Sie kümmert sich um Jungen, die in der Schule zurück bleiben, denen im Elternhaus und in der Schule geordnete Verhältnisse und männliche Autoritäten und Identifikationspersonen fehlen. Möglicherweise würde die Ministerin hierfür auch den Beifall von Frau Schwarzer finden, doch auch die Männer- und Jungenpolitik der Familien- und Jugendministerin ist fest in ihr neokonservatives Weltbild eingebunden. Meiner Ansicht nach durchaus richtig bemerkt sie im Interview: „Ich fand schon immer, dass wir das Thema Jungen- und Männerpolitik sträflich vernachlässigen. Es ist doch so: Früher hatte das katholische Arbeitermädchen vom Land die größten Probleme in der Schule. Heute sind es die Jungs aus bildungsfernen Schichten.“ Nach konkreten Maßnahmen befragt, antwortet Frau Schröder: „Ich will zum Beispiel dafür sorgen, dass es mehr männliche Erzieher in Kitas und Grundschulen gibt. Jungs, die bei alleinerziehenden Müttern aufwachsen, bekommen oft, bis sie zwölf Jahre alt sind, weder in der Kita noch in der Grundschule einen Mann zu Gesicht.“ Dann aber kommt, was zumindest mir unangenehm aufgestoßen ist: „Wir müssen auch die pädagogischen Inhalte in Kitas und Schulen daraufhin prüfen, ob sie die Bedürfnisse von Jungs angemessen berücksichtigen. Mal überspitzt ausgedrückt: Schreiben wir genug Diktate mit Fußballgeschichten? Dafür interessieren sich auch die Jungs. Oder geht es immer nur um Schmetterlinge und Ponys?“ Zu deutsch: In Kindergarten und Schule werden die Bedürfnisse der Frauen zu stark berücksichtigt, man sollte bitte mehr Rücksicht auf Männer nehmen. Die Wortwahl der Ministerin zeigt deutlich, welche Themen sie für die bevorzugten Themen von Mädchen hält, und wie später bei der Berufswahl, wertet sie diese Themen durch ihre Formulierungen ab. Und außerdem wird von Frau Schröder vergessen, dass sich an dem Frauenüberschuss in Familie und lehrendem Beruf nichts ändern wird, wenn sich die Rahmenbedingungen für Frauen, Familien und die so oft beklagten bildungsfernen Schichten nicht ändern. Ohne Geistes- und Gesellschaftswissenschaften geht das aber nicht, verehrte Frau Ministerin.

Leider kann ich nicht viel aus dem Antwortbrief von Alice Schwarzer zitieren. Er ist unsachlich, stellt Äußerungen in einen nicht bestehenden Zusammenhang und macht der Ministerin Vorwürfe, die in der Form, wie sie in dem Brief stehen, ungerecht sind. Das ist vor allem deshalb bedauerlich, weil man dadurch den Eindruck gewinnen kann, der Feminismus habe tatsächlich abgehalftert. Und außerdem zeigt der Ton des Briefes, dass Alice Schwarzer inzwischen zur „Bild“-Reporterin geworden ist. Sie arbeitet mittlerweile als Gerichtsbeobachterin für dasselbe Medium, das sie jahrzehntelang bekämpft hat. Darunter leidet nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch ihr Stil.

Ein Beispiel für den neuen „Bild“-Journalismus der Alice Schwarzer ist der folgende Auszug aus ihrem Brief, nachdem sie Kristina Schröder die Reproduktion von Klischees vorwarf: „Zum Beispiel das Klischee, die Überzahl weiblicher Erzieher und Lehrer sei schuld an der Misere der „armen Jungen“. … Sie gehen dabei so weit, feministischen Pädagoginnen zu unterstellen, sie würden „Jungs bewusst vernachlässigen“, was „unmoralisch“ sei. Es ist diese Unterstellung, Frau Schröder, bei diesen Frauen, die einen sehr harten, sehr engagierten Job machen, die unmoralisch ist!“ So hatte die Familienministerin das aber nicht gesagt, sie hat den Pädagoginnen nichts unterstellt. Nachdem sie im Interview erklärt hatte, warum sie mehr Männer in den lehrenden Berufen befürworte und welche Änderungen es im Lehrplan geben müsse, erklärten ihr die Reporter, sie hätten den Eindruck gehabt, man sei bis jetzt auch ohne die Hilfe der Ministerin als Mann ganz gut klar gekommen. Antwort von Frau Schröder: „Ich fände es aber ganz mies, den Jungs zu sagen: Weil die Männer die vergangenen Jahrtausende unbestritten die Vorherrschaft besaßen, werdet ihr jetzt in der Schule nicht vernünftig gefördert. Einen Feminismus, der die Jungs bewusst vernachlässigt, halte ich für unmoralisch.“ Nein, es ist keine direkte Unterstellung in den Aussagen der Ministerin zu finden, eher eine etwas verblümte Kritik an der besonderen Förderung der Mädchen in der Schule, wie man sie ja auch in den vorherigen Aussagen von Frau Schröder lesen konnte.

Ansonsten strotzt der offene Brief der Altfeministin von kleinen Bösartigkeiten wie der Bemerkung, dass das einzig bemerkenswerte, was man in einem Jahr von Ministerin Schröder gehört habe, ihre Namensänderung von Köhler auf Schröder gewesen sei. Oder dass sie nicht verstehe, wie die Kanzlerin sie habe zur Ministerin ernennen können. Beendet wird der Brief, der ein Plädoyer für einen modernen Feminismus hätte sein können, mit den Sätzen: „Es ließe sich noch vieles sagen, Frau Schröder. Aber, darf ich offen sein? Ich halte Sie für einen hoffnungslosen Fall. Schlicht ungeeignet. Zumindest für diesen Posten. Vielleicht sollten Sie Presse-Sprecherin der neuen, alten so medienwirksam agierenden, rechtskonservativen Männerbünde und ihrer Sympathisanten werden.“ Fast verständlich, dass sich die Ministerin nicht weiter um diesen Brief kümmert.

Aber das Grundproblem ist geblieben und keinesfalls gelöst. Unsere Gesellschaft verdankt dem Feminismus und auch Frau Schwarzer eine Menge. Dabei geht es mir wirklich nicht um die wirtschaftliche Gleichstellung der Frau, um die Möglichkeit, jetzt auch besser und schneller Karriere machen zu können. Es geht mir um die gesellschaftlichen Errungenschaften. Dank des Feminismus erkämpften und erkämpfen sich Frauen ihre gesellschaftliche Gleichstellung. Dabei heißt Gleichstellung eben nicht Gleichmacherei, sondern Chancengleichheit und Freiheit der Lebensentwürfe. Es ist schwerer geworden, Frauen auf die gute Hausfrau, die fleißige Erzieherin und das willige Sexobjekt zu reduzieren. Aber sind wir in diesem Prozess schon am Ende angelangt?

Ich glaube nicht, und deshalb brauchen wir den Feminismus nach wie vor. Frauen sollten eben nicht nur die Entscheidung treffen, gesellschaftlich in einem bestimmten Rollenverständnis verharren zu dürfen, wie es die jungen Konservativen zurecht für sich in Anspruch nehmen. Ein Lebensentwurf einer Frau kann auch vollkommen anders aussehen. Sie kann, um nur eins der oben genannten Themen aufzugreifen, die sexuell dominante Person einer Beziehung sein. Damit meine ich jetzt eben nicht das, was in vielen Männerköpfen nun auftaucht, nämlich die peitschenschwingende Domina. Ich meine einfach eine sexuell aktive und führende Frrau, die eben nicht in einer Beziehung lebt, in der sie Selbstaufgabe praktiziert, sondern Selbstbewusstsein pflegt. Eine solche Frau wird immer noch als Vamp bezeichnet und steht gesellschaftlich leider in keinem hohen ansehen. Wenn Konservative das Recht haben sollen, ihre Lebensentwürfe gleichberechtigt zu leben, dann muss das auch für Frauen gelten, die aus dem traditionellen Rollenverständnis ausbrechen wollen. Und das ist bislang nicht nur bei Dax-Vorständen keine Selbstverständlichkeit. Zumal es gerade dort oft vermutlich eher so ist, dass sich die wenigen Frauen den Verhaltens- und Arbeitsweisen ihrer männlichen Kollegen anpassen.

Der Feminismus wird gebraucht, nach wie vor. Wir brauchen offene, selbstbewusste, freie und starke Frauen und Männer gleichermaßen. Denn eine echte Partnerschaft kann es nur unter Gleichen geben, wie Alice Schwarzer zurecht bemerkte. Leider hat sie mit ihrem Brief im Stil der „Bild“-Zeitung dieser gesellschaftlichen Gleichberechtigung keinen Dienst erwiesen. Die Medien singen im Chor, dass der Feminismus der siebziger Jahre sich überlebt hat. Ich, durchaus in meiner Eigenschaft als Mann, bin anderer Ansicht. Und es ist schade, dass man das Feld von weiblicher Seite den jungen Konservativen wie Kristina Schröder überlässt. Für sie hört der Feminismus auf, wo Frauen in der Lage sind, einen Job zu haben und sich für eine traditionelle Rolle entscheiden können. Ansonsten instrumentalisiert sie die im Ansatz richtige Jungenförderung zur Rückbesinnung auf alte Gesellschaftsbilder. Denn obwohl ich der Meinung bin, dass es biologisch begründete Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, sehe ich nicht ein, warum sich Jungen nicht für Pferde und Schmetterlinge, und Mädchen nicht für Fußball interessieren sollten. Immerhin sind wir Frauenfußballweltmeister. Es gab und gibt sogar Jungen, die gern mit Puppen spielen. Auch dies zulassen und zugeben zu können ist, genau wie der Vaterschaftsurlaub, ein Verdienst des Feminismus.

Für mich hat dieser Feminismus sein Ziel erreicht, wenn Frauen und Männer gleichermaßen Lebensentwurf, Familienstand, Berufstätigkeit und sexuelle Ausrichtung für sich selbst frei bestimmen können. Dann also, wenn das Geschlecht bei Gesellschaftsfragen keine Rolle mehr spielt. Dann, wenn man nicht mehr zum Mann oder zur Frau gemacht wird, auch wenn man als Mann oder Frau geboren ist, um die Aussage von Simone de Beauvoir noch einmal zu bemühen. Bis dahin werden wir trotz mancher Erfolge noch eine Strecke zu gehen haben.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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6 Antworten zu Brauchen wir noch Feminismus? – Zum Streit zwischen Alice Schwarzer und Kristina Schröder

  1. andijah sagt:

    Danke für diesen tollen Beitrag! Vor allem dieser Satz
    „Für mich hat dieser Feminismus sein Ziel erreicht, wenn Frauen und Männer gleichermaßen Lebensentwurf, Familienstand, Berufstätigkeit und sexuelle Ausrichtung für sich selbst frei bestimmen können.“ ist eine wunderbare Zusammenfassung.

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  3. Ela sagt:

    Wow,
    ein wirklich toller Beitrag mit einem sehr gelungenen Schlußsatz :O)

    LG Ela

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  5. Ute sagt:

    Dazu gab’s vor 6 Jahren schon mal einen sehr guten Blogeintrag auf Kaltmamsells „Vorspeisenplatte“:

    http://www.vorspeisenplatte.de/speisen/2004/05/was-mich-frau-bewegt.htm

  6. jamie sagt:

    Wir brauchen die junge Frau Schröder zumindest mal nicht um solche Dispute zu führen!

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