Die Hexenjagd auf Wikileaks

Den folgenden Kommentar veröffentlichte ich bereits am 07.12. auf www.ohrfunk.de, konnte ihn aus verschiedenen Gründen aber erst jetzt hier einstellen.Überall auf der Welt werden derzeit die Server von WikiLeaks abgeschaltet. Überall auf der Welt entstehen aber auch neue Mirrors, also genaue Spiegelbilder der abgeschalteten Seiten. Demokratische Länder wie Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Australien sperren nicht nur die Domains von Wikileaks ohne ein Gerichtsurteil, sondern löschen auch die Domaineinträge aus den Datenbanken der sogenannten Domain-Nameserver. Damit sind die Seiten dann nur noch über die unhandlichen und weithin unbekannten IP-Adressen zu erreichen. Inzwischen geht man dazu über, die eigentlichen Computer von Wikileaks zu beschlagnahmen bzw. Nutzungsverträge zu kündigen, um auch diese letzte Möglichkeit der Erreichbarkeit der sogenannten Enthüllungsplattform auszuschalten. Abgesehen von der Frage, warum die Regierungen so erpicht darauf sind, dass dieses Material unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit kommt, stellen sich für mich noch ganz andere Fragen. Z. B.: Warum ist es plötzlich in demokratischen Rechtsstaaten so einfach, Internetseiten zu zensieren, die ganz eindeutig nicht gegen die Bestimmungen des Jugendschutzes verstoßen? Warum ist es möglich, ohne Gerichtsverhandlung die freie Verbreitung einer Information zu stoppen, die nun einmal öffentlich geworden ist, so peinlich das auch sein mag? Und warum kann man zwar in Deutschland die Seite von Wikileaks ohne jedes Problem löschen und die Domain verschwinden lassen, egal wo sie gehostet wird, aber bei Kinderpornoseiten wagt man sich aus privatrechtlichen Gründen nur zu sperren? Warum behandelt man also Kinderschänder besser als die radikalen Liberalen von WikiLeaks?

Dass ich meine Probleme mit der Veröffentlichung der geheimen Dokumente hatte, so interessant ich sie auch finde, habe ich letzte Woche schon gesagt. Aber die Hexenjagd, die jetzt international auf WikiLeaks gemacht wird, ist außerhalb jeder vom Rechtsstaat gebilligten Proportion. Hier bestätigt sich genau das, was WikiLeaks-Gründer Julian Assange behauptet, dass nämlich auch die demokratischen Regierungen häufig autoritär sind. Noch bevor ein Gericht die Veröffentlichung verboten hat, wird überall auf der Welt auf Druck der USA die Infrastruktur von WikiLeaks zerschlagen. Wie so oft in solchen Fällen hat man aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn die Mirrors schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Informationen selbst sind nicht zu unterdrücken, so sehr die Regierungen es auch versuchen. Das ist vermutlich der Grund, warum man das Internet für so gefährlich hält. Experten wissen: Was einmal dort aufgetaucht ist, lässt sich nur selten wieder vollständig entfernen.

Eine Regierung, die Behauptet, Kinderpornoseiten seien nicht einfach zu löschen, weil man erst kompliziert international gegen die Betreiber vorgehen müsse, muss sich fragen lassen, warum es so einfach war, unkompliziert schnell gegen Julian Assange vorzugehen und ihn polizeilich jagen zu lassen. Dies ist eine unerträgliche Doppelmoral.

Und noch eine persönliche Ansicht: So sehr ich verstehe, wie sehr die Veröffentlichung der Dokumente einige Regierungen beschämt und trifft und das Vertrauen im internationalen diplomatischen Verkehr behindert, so sehr haben sich die Regierungen jetzt ins Unrecht gesetzt. Damit sind alle aufrechten Demokraten zur Wahrung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Informationsfreiheit aufgerufen. Für mich bedeutet das vermutlich, dass es in den nächsten Tagen einen neuen Spiegel der WikiLeaks-Seiten auf meiner eigenen Internetpräsenz geben wird.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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2 Antworten zu Die Hexenjagd auf Wikileaks

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