Goodbye Femke – ein politischer Nachruf auf eine rechtschaffene Politikerin

Wenn ich so die Tagesnachrichten und Schlagzeilen verfolge, wenn ich von Politikern höre, die wiedereinmal das Volk betrogen haben, die nicht zu ihrem Wort stehen, die Geheimnisse haben und miese Absprachen vertuschen, oder die den Bürgerinnen und Bürgern nicht ehrlich auch unbequeme Wahrheiten sagen, sondern nur bis zum nächsten Wahlkampf denken, dann wünsche ich mir einen neuen Typ von Politiker. Und allen Unkenrufen zum Trotz: Es gibt sie. Gerade hat wieder einmal eine der Wenigen die Segel gestrichen und ihre kurze, aber extrem erfolgreiche politische Karriere beendet.Sie nennt sich selbst eine linke, freisinnige Politikerin, wobei sie sich immer gegen Dogmatismus und Einengung der politischen Visionen gestellt hat. Politische Diskussionen über den Weg ihrer Partei führte sie öffentlich, nahm ganz bewusst unterschiedliche Ansichten in kauf und war als politische Führerin ihrer Partei unumstritten. Sie ist die beliebteste Twittererin der Niederlande und hat mehr als 120.000 Verfolger in diesem Kurznachrichtendienst. Und obwohl sie in einer Parlamentswahl einmal mehrere Sitze ihrer recht kleinen Partei einbüßte, wurde sie einstimmig als Parteiführerin wiedergewählt. Schon vor der Wahl hatte sie gesagt, dass sie in kauf nehme, dass ihre grünlinke Partei derzeit bei dem Geschrei von rechts keine Wahlen gewinnen könne. Die Jugendorganisation der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie ehrte sie als „Liberale des Jahres“, und für ihre politische Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit erhielt sie den höchsten politischen Preis der Niederlande, den Thorbeckepreis. Ich spreche von Femke Halsema, der ehrlichsten und aufrichtigsten Politikerin, die ich kenne. Leider hat sie, wie schon vor Jahren angekündigt, ihre politische Karriere vor wenigen Tagen beendet.

Es war in den spannenden Monaten zu Beginn des Jahres 2002, als ich mich richtig in die niederländische Politik vertiefte. Das Phänomen, das wir heute mit „Wutbürger“ bezeichnen, begann sich in den Niederlanden gerade abzuzeichnen. Traditionelle politische Bindungen lösten sich auf, die Unzufriedenen, und es gab viele davon, vor allem im Bezug auf hohe Einwanderung und hohe Arbeitslosigkeit, sammelten sich in einer Gruppierung namens „lebenswerte Niederlande“. Doch noch bevor diese Gruppierung so richtig zum Zuge kommen konnte, rannte ihr der exzentrische Spitzenkandidat davon. Dieser Soziologe mit den scharfen Zuspitzungen, den einfachen Lösungsformeln und dem brillanten Redestiel hieß Pim Fortuyn. Er baute seine eigene Liste auf und wetterte gegen den Multikulturalismus, gegen die Einwanderer, gegen das Diskriminierungsverbot, gegen den Islam. Die inzwischen schwache Regierung der Mitte unter Wim Kok hatte dem nicht mehr viel entgegenzusetzen, zumal Kok nicht mehr antrat. Der Spitzenkandidat seiner sozialdemokratischen Partei, Aad Melkert, konnte Fortuyn in keiner Hinsicht das Wasser reichen, und so wurde ein anderer Mann dessen Hauptwiedersacher bei den Fernsehdebatten, der Vorsitzende der grünlinken Partei, Paul Rosenmöller. Durch ihn wurde ich überhaupt auf diese Partei aufmerksam, die aus mehreren linken und Marxistischen Parteien und Umweltbewegungen hervorgegangen war. Sie versuchte politischen Pragmatismus, linke Alternativen und nachhaltige Umweltpolitik zu verbinden. Und bei den Gegnern Fortuyns profilierte sie sich.

Dann wurde Fortuyn 9 Tage vor den Wahlen ermordet. Alle anderen Parteien gerieten für Monate in den Hintergrund, alle starrten gebannt auf die relativ schnell gebildete und wieder zerfallende erste Regierung Balkenende, an der Fortuyns Partei teilnahm, die aber auch durch diese Partei stürzte, als die Fortuynisten sich selbst zerfleischten und in viele Einzelteile zerfielen.

Was man dann wieder von den Grünlinken hörte war, dass Rosenmöller überraschend seinen politischen Rückzug ankündigte. Eine junge Frau namens Femke Halsema wurde seine Nachfolgerin. Dieser Wechsel geschah mitten im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen vom Januar 2003, und Grünlinks verlor 2 Sitze. Trotzdem blieb Femke Halsema die Vorsitzende der verkleinerten Fraktion, vermutlich auch, weil man nicht schon wieder die Führungsspitze auswechseln wollte. Doch wer war die damals 37jährige Frau, die ihre politische Karriere begann?

Femke Halsema wurde 1966 in eine sozialdemokratische Familie geboren. Ihre Mutter war lange Jahre Arbeits- und Sozialdezernentin in Enschede. Femke arbeitete nach ihrem Abitur 1984 in einer Kneipe und begann 1985 die Ausbildung zur Lehrerin für Niederländisch und Geschichte in Utrecht. 1988 brach sie diese Ausbildung ab und studierte Sozialwissenschaften an der Universität von Utrecht. Ihr Fachgebiet wurde die Kriminologie. Sie absolvierte neben ihrem Studium ein Praktikum bei der Arbeitsgruppe „Polizei und Ausländer“ beim Innenministerium. Außerdem betätigte sie sich als wissenschaftliche Assistentin und studentische Hilfskraft und lehrte Statistik für Studenten der Sozialwissenschaften. Ab 1993 arbeitete Femke Halsema für das wissenschaftliche Büro der sozialdemokratischen Partei der Arbeit, die Wiardi-Beckman-Stiftung. Doch ab 1996 war sie auch als Redakteurin der Zeitschrift „De Helling“ tätig. Diese wurde vom wissenschaftlichen Büro der Partei Grünlinks herausgegeben. Außerdem leitete sie für das kulturpolitische Zentrum „Balie“ in Amsterdam das Projekt „Res Publica“ über die niederländische Verfassung in der modernen Gesellschaft. Verfassung, Bürgerrechte, Justiz, Kriminalität und Ausländerfragen sollten auch in ihrer späteren politischen Karriere einige ihrer Hauptthemen bleiben.

Politisch betrachtet war Femke Halsema einer der neuen Sterne am Himmel der Sozialdemokraten. Sie war Mitglied der Programmkommission für das Wahlprogramm ihrer Partei für die Parlamentswahlen 1998, und vermutlich hätte sie für die Sozialdemokraten ins Parlament einziehen können, aber es kam anders.

Anfang Oktober 1997 fand in Amsterdam ein europäisches Gipfeltreffen mit Vertragsunterzeichnung statt. Ein Reformvertrag der EU, der amsterdamer Vertrag, wurde geschlossen. Gegen dieses Gipfeltreffen gab es Proteste von Globalisierungsgegnern. Der sozialdemokratische Bürgermeister von Amsterdam, Schelto Patijn, ließ 500 potentielle Demonstranten vorsorglich festnehmen und während des Gipfeltreffens einsperren. Darüber war Femke Halsema so erbost, dass sie die Partei verließ und ihre Funktionen niederlegte. Stattdessen wurde sie Kolumnistin und Redakteurin bei verschiedenen Printmedien und Radiostationen. Doch einige Monate später fragte sie der damalige Fraktionschef von Grünlinks, Rosenmöller, ob sie nicht fürs Parlament kandidieren wolle. Sie sagte zu und kam auf Platz 3 der Liste ihrer neuen Partei. 11 Sitze konnte Grünlinks erringen, und Halsema wurde justizpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Bekanntheit erlangte sie wegen ihres Einsatzes für Asylsucher und ihren heftigen und nicht nachlassenden Widerstand gegen ein neues Einwanderungsgesetz der Regierung, das die Zuwanderung erschwerte.

Als Femke Halsema neue Fraktionsvorsitzende wurde, befasste sie sich zunächst weiterhin mit Alltagspolitik. Sie forderte eine Verfassungsänderung, die eine Art Verfassungsgerichtsbarkeit einführen sollte. Gerichte könnten dann unter bestimmten Umständen überprüfen, ob ein Gesetz mit der Verfassung in Einklang steht, vor allem ob die Grundrechte der Bürger gewahrt bleiben. Das Prinzip der richterlichen Überprüfbarkeit von Gesetzen ist in den Niederlanden unbekannt, und eine Verfassungsänderung ist nur nach einem extrem langwierigen Verfahren möglich. Jahrelang kämpfte Halsema, die führerin einer kleinen Oppositionspartei, für ihren Vorschlag, bis er schließlich von beiden Kammern des Parlaments angenommen wurde. Die erste Hürde hat er damit genommen. Hier zeigte sich Halsemas Beharrlichkeit. Sie kämpfte für ihre Projekte auch über die nächsten Wahlen hinaus, 10 Jahre lang, wenn es sein musste. Und sie redete niemandem nach dem Mund, sondern vertrat ihre Meinung ruhig aber deutlich und klar.

Ende 2003 nahm Femke Halsema einige Monate Schwangerschaftsurlaub, und auch während der folgenden Jahre sah man sie oft zusammen mit ihren Zwillingen. Trotzdem kehrte sie in die Politik zurück und begann dann mit einer tiefgreifenden öffentlichen Diskussion über den linken Kurs ihrer Partei und den sogenannten linken Frühling. Sie nannte sich eine linksliberale, und viele behaupteten, Halsema habe mit den sozialistischen Wurzeln von Grünlinks gebrochen. Dem hat die Parteiführerin immer widersprochen. Jahrelang versuchte sie, eine Allianz zwischen den drei linken Parteien in den Niederlanden zu schließen: Sozialistische Partei, Grünlinks und Sozialdemokraten sollten sich zusammen tun und nach den Wahlen von 2007 ein linkes Kabinett bilden. Aber Wouter Bos, der Führer der Sozialdemokraten, widersetzte sich diesem Plan. Er wollte eine mögliche Regierungsbeteiligung seiner Fraktion mit den Christdemokraten und den Liberalen nicht ausschließen. So scheiterte sowohl 2006 als auch 2010 das Projekt einer linksgerichteten Regierung.

Linke Politiker kenne ich oft entweder als dogmatisch und unbeweglich, oder als Chaoten. Herausragende Politiker mit Sachverstand, die trotzdem nicht abgehoben sind, begegnen mir selten. Femke Halsema ist da anders. Was sie sagt, kann jeder verstehen, auch sie benutzt eine recht einfache Sprache, obwohl man ihre Intellektualität fühlt. Sie bildet ein Gegengewicht zum rechten Populismus mit seinen einfachen Lösungen und polemischen Schuldzuweisungen. Ihre Meinung ist ausgewogen, durchdacht und klar, und man kann sich darauf verlassen, dass sie es ernst meint. Und obwohl sie den rechten Populismus verabscheut, steht sie fest und eindeutig zur Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt. Und so sehr z. B. Geert Wilders von der rechtspopulistischen Freiheitspartei sie angreift, so sehr verteidigt sie sein Recht auf freie Meinungsäußerung. Sie vertritt die Auffassung, dass man mit problematischen Meinungen viel besser umgehen kann, wenn sie frei geäußert werden, anstatt sie zu unterdrücken.

Ins absolute Rampenlicht trat Femke Halsema Mitte 2006. Wie schon geschrieben hatte sie sich immer für Asylsuchende eingesetzt und die multikulturelle Gesellschaft verteidigt. Eine der Politikerinnen, die sich vehement gegen den Multikulturalismus vergangener Tage aussprachen, war die rechtsliberale Abgeordnete Ayaan Hirsi Ali. Ihre heftige Kritik am Islam und ihr Einsatz für die Rechte muslimischer Frauen führten zu ihrem Film „Submission“ und zur Ermordung von Theo van Gogh. Die Polarisierung in der Gesellschaft nahm zu, und Rita Verdonk, ebenfalls eine Rechtsliberale, verschärfte als Integrationsministerin die Asylgesetze.

Im April 2006 wurde eine Abiturientin kurz vor den Prüfungen des Landes verwiesen, weil ihre Eltern bei ihrer Einwanderung falsche Angaben gemacht hatten. Ayaan Hirsi Ali, ansonsten durchaus auch für strengere Integrationsregeln zu haben, rief bei ihrer Parteifreundin an und meinte, sie solle das Mädchen im Lande behalten, sonst müsse sie auch sie, Ayaan, ausweisen. Auch sie habe komplizierte und möglicherweise falsche Angaben gemacht. Prompt entzog Verdonk Ayaan Hirsi Ali die niederländische Staatsbürgerschaft, obwohl schon viele Jahre bekannt war, dass sie bei ihrer Einwanderung Angaben gemacht hatte, die ihr ein Bleiberecht in den Niederlanden garantierten. Sie hatte diese fehlerhaften Angaben schon vor Jahren zugegeben. Die Entziehung ihrer Staatsbürgerschaft war also ein politisches Manöver, und nun mischte sich auch Femke Halsema in die Debatte ein. Sie entlarvte dieses Manöver, und das, obwohl sie politisch eine Gegnerin von Ayaan Hirsi Ali war. In den kommenden Wochen versuchte die Regierung mit allen Tricks, Ministerin Verdonk zu stützen und das Unrecht zu Recht zu machen. Es stellte sich nämlich heraus, dass streng juristisch Ayaan Hirsi Ali nicht gegen geltendes Recht verstoßen hatte, dass sie ihre falschen Aussagen längst selbst entlarvt hatte, und dass Verdonk sie zur Unterschrift unter ein Schuldeingeständnis gezwungen hatte. Vor allem Femke Halsema blieb so beharrlich, dass sie immer mehr Kolleginnen und Kollegen auf ihre Seite zog, bis ein Misstrauensantrag gegen die Ministerin möglich war, an dem sich sogar die kleinste Regierungspartei D66 beteiligte. Das Kabinett stürzte, Neuwahlen waren notwendig, und Ayaan Hirsi Ali durfte ihre niederländische Staatsbürgerschaft behalten. In einer sehr emotionalen Pressekonferenz dankte sie Femke Halsema mit persönlichen Worten für ihre Unterstützung.

2006 war auch das Jahr, in dem die Jugendorganisation der Partei Verdonks und Hirsi Alis Femke Halsema zur „Liberalen des Jahres“ wählte. Die Jugendorganisation einer wirtschaftsliberalen Partei wählt die Chefin einer grünlinken Konkurrenz zur „Liberalen des Jahres“? Warum? Es hat wohl mit der politischen Aufrichtigkeit Halsemas zu tun. Ihr zentraler politischer Begriff ist die Freiheit, sie bezeichnet sich ja auch als linksliberal oder freisinnig, was ihr lieber ist, um sich von den Rechtsliberalen abzugrenzen.

Freiheit, so sagt Femke Halsema, kann negativ verstanden werden, als ein Unterlassen. Damit ist die Freiheit in der multikulturellen Gesellschaft und im Bereich der Bürgerrechte bzw. des Rechtsstaates gemeint. Dort soll sich der Staat möglichst wenig einmischen, die Rechte der Bürger möglichst wenig einschränken und ihre Freiheiten gegenüber den staatlichen Organen garantieren. Es geht also um Freiheit gegenüber dem Staat, ein Liberalismus im klassischen Sinn, der aber nicht mit dem Marktliberalismus heutiger liberaler Parteien zu verwechseln ist. Die Positive Freiheit besteht, so Femke Halsema, im Herausführen der Bürger aus Armut und Bildungsrückstand. Sie möchte dieses Konzept auf den Sozialstaat und auch die Umweltpolitik angewandt wissen. Hier soll der Staat mehr Einfluss erhalten, um Menschen zu Bilden und ihre Armut zu bekämpfen. Dabei sollen die linken Parteien nicht dogmatisch sein, sondern die geringen Einflussmöglichkeiten der Politik nutzen, anstatt revolutionär aufzutreten und eine neue Herrschaft begründen zu wollen. „Links muss nicht in der hauptsache gerechte Prinzipien verfolgen, sondern gerechte Ergebnisse Produzieren“, sagt Halsema. Damit bleibt sie in Einzelfragen flexibel und kompromissbereit, hatt aber ein scharfes und erkennbares Profil.

Femke Halsema war keine Politikerin von großen Wahlversprechen. Man hat ihr das vorgeworfen, gerade in einer Zeit, in der es thematisch einseitige Wahlversprechen von der anderen Seite des politischen Spektrums hagelte. Sie konnte auch vor der Wahl unangenehme Wahrheiten über die Staatsschulden sagen und feststellen, wie klein der Spielraum für Geschenke nach der Wahl sein würde. Das enthob sie der Notwendigkeit, nachher oder vorher zu lügen, und offenbar honorierten das die Wähler. Allerdings noch nicht 2006. Wieder verlor Grünlinks bei den Wahlen 2 Sitze, aber man war in der Partei wohl der Meinung, dass dies angesichts des hohen Gewinns der rechten parteien ein kleiner Verlust war, den man Halsema nicht ankreiden konnte. Ohne sie wäre das Ergebnis wohl noch schlechter ausgefallen. Es war die Zeit, in der man überall im Land auf sie aufmerksam wurde, und in der man vor allem ihre Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit pries. Dem konnte ich mich nur anschließen. Bei all den Politikern, die über verschiedene Winkelzüge Macht erhalten wollten, war und blieb Femke Halsema die ehrlichste Politikerin. Für diese Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit wurde sie 2009 mit dem hoch angesehenen Thorbeckepreis ausgezeichnet und von Freund und Feind gelobt, mit Ausnahme von Geert Wilders.

Bei einem Interview kurz vor der Wahl 2006 sagte sie auch, wie lange sie noch Politik machen wollte. Fast nebenbei und ohne großes Aufsehen. Sie erklärte, dass ihr Freund und sie sich in der Kindererziehung abwechselten, dass er aber derzeit mehr für die Kinder da sein müsse als sie. Die Politik werde sie aber nicht ihr Leben lang begleiten. „Als Politikerin soll man Passantin bleiben“, sagte sie und fügte hinzu: „Man soll weiterhin von einem Leben außerhalb der Politik träumen. 12 jahre Politik sind für mich ein Lebenswerk. 2010 sind meine Kinder 7 Jahre alt und ich werde ihnen erklären, warum ich so hart gearbeitet habe.“ Daran hat sie sich gehalten, obwohl man diesen Teil des Interviews offenbar wieder vergessen hatte, denn ihr Rückzug im Dezember 2010 traf die politische und die Medienlandschaft überraschend.

„Wir verabschieden uns nicht von der multikulturellen Gesellschaft. Der Kampf gegen den Terrorismus darf nicht zur Repression führen. Das sind unsere Ziele, und wir akzeptieren die Konsequenz, dass wir im Moment nicht die populärste Partei sind.“ Auch diese Worte stammen aus dem Jahr 2006, aus jenem Interview mit der Zeitung „Volkskrant“ vor den Parlamentswahlen. Damit hatte Femke Halsema die Partei und die Öffentlichkeit auf den Verlust einiger Parlamentssitze vorbereitet. In den Jahren seit diesem Interview aber stieg die Popularität der Partei Grünlinks stark an, und zwar gerade wegen der politischen und persönlichen Klarheit und Rechtschaffenheit. Femke Halsema hat sich nie damit abgefunden, dass man in der Politik nur mit Lügen weiterkommen kann. Im Sommer 2010 hoffte sie, zusammen mit den Sozialdemokraten, den Linksliberalen und den Rechtsliberalen eine Regierung bilden zu können, denn bei den Wahlen im Juni 2010 konnten die Grünen die Anzahl ihrer Sitze um 3 erhöhen. Schließlich scheiterte das Vorhaben, weil es dem Wahlgewinner Mark Rutte von den Rechtsliberalen gelang, eine rechte Koalition mit den Christdemokraten und der Unterstützung des Rechtspopulisten Geert Wilders zu schmieden. Femke Halsema hatte während der Verhandlungen nicht einmal getwittert, was sonst nicht ihre Art war. Aber sie hatte sich zuvor entschuldigt, es sei eine Nachrichtensperre vereinbart worden. Im Interview vor 4 Jahren hatte sie gesagt, sie werde beim Zustandekommen einer linken Regierung im Parlament bleiben und nicht in die Regierung wechseln. Sie sei eine Vertreterin der parlamentarischen Gegenmacht. Als solche habe ich sie auch immer erlebt. Darum ist es kein Wunder, dass sie in ihrem Abschiedsbrief das Parlament aufruft, seine eigenen Rechte zu stärken, mehr Meinungsfreiheit zuzulassen und mehr Immunität des einzelnen Abgeordneten. Ausdrücklich möchte sie das auch Geert Wilders, dem Rechtspopulisten, zugestehen, so wie sie auch als nichtgläubige Politikerin immer eingetreten ist für die Religionsfreiheit als individuelle Entscheidung jedes Bürgers.

Femke Halsema ist ein gewichtiger Grund für mich, an eine tolerante, offene und rechtschaffene Politik weiterhin glauben zu können. Es ist für eine Person mit Durchsetzungsvermögen möglich, an die Spitze einer Partei zu kommen und einen von allen akzeptierten guten Politikstil zu pflegen, ohne dass sie ihre Überzeugungen aufgibt und zum Parteisoldaten wird. Ich bedaure zutiefst, dass Femke Halsema aufgehört hat, wie sie es sich vorgenommen hatte und trotz der sicherlich großen Verlockungen ihres Amtes. Für mich wird sie immer ein politisches Vorbild sein und bleiben.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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