Gedankenprotokolle zu Japan und Libyen 8 – Wieder in der Welt

Hier ist vermutlich das letzte Gedankenprotokoll.18.03.2011

Es ist, als würden die Ereignisse in Libyen plötzlich das unverwandte Starren auf die mögliche Atomkatastrophe in Japan beenden. Noch in der Nacht, als der Sicherheitsrat die Resolution fasste, eine Flugverbotszone einzurichten, begann auf Twitter die Trendwende. Ich benötigte einige Stunden, um mich auf die neue Situation einzustellen. Aber ich habe nicht mehr den ganzen Tag am Rechner gesessen und die neuesten Nachrichten verfolgt. Ich habe geschrieben, geplaudert, ein Buch gelesen und zwischendrin die Nachrichten verfolgt. Der Rest der Welt hat sich in Erinnerung gebracht. Dieselben Leute, die auf Twitter sonst gegen jedes militärische Eingreifen Deutschlands waren, warfen der deutschen Außenpolitik wegen ihrer Enthaltung bei der Libyen-Resolution Versagen vor. Die Situation in Japan geriet in den Hintergrund. Sicher: Sie verschwand nicht völlig aus dem Fokus der Nachrichten. Dazu war sie noch zu ernst. Obwohl rechtzeitig zur neuen Lage in Libyen zumindest eine Art gleichgewicht des Schreckens gefunden wurde. Die Situation verschlechtere sich nicht mehr, und inzwischen sind erste positive und hoffnungsvolle Nachrichten vom Fukushima-Reaktor eingetroffen. Leider nur vom Reaktor, nicht von der Situation der Millionen, die hungern und frieren müssen. Langsam beginnen sich auch Krankheiten auszubreiten, was in den ersten Tagen nicht der Fall war. Es ist so schlimm, dass man durch Spenden so wenig tun kann. Es ist nicht so sehr das Geld, das fehlt, sondern wirklich die Infrastruktur.

Libyen bewegt mich auch. Da sitzen demokratische Rebellen, zumindest nach unserem jetzigen Kenntnisstand, die anfangs große Erfolge erzielten. Dann schlug Gaddafi sie zurück, jetzt sitzen sie in Benghasi, und Gaddafi greift sie an. In der Nacht, nach der Resolution des Sicherheitsrats, haben sie gefeiert. Auch die Naiven auf Twitter waren der Meinung, jetzt sei endlich eine Resolution für die Bevölkerung gefällt worden. Ich bin skeptischer, und das tut mir weh. Erst morgen wird es in Paris ein vorbereitendes Treffen geben, danach erst könnte es zu Militäreinsätzen kommen. Bis dahin, so fürchte ich, hat Gaddafi die Rebellen in Benghasi besiegt. Er hat ja Zeit und muss nur seine Bomber los schicken. Und die politischen Führer der Welt wissen das. Sie können ihr Gesicht wahren und müssen doch nichts tun, sie verschleppen das Ganze einfach. Gaddafi ist nämlich ein stabiler Erdölpartner. Ich hasse politischen Zynismus, aber vermutlich läuft es doch so? Natürlich kann ich mich täuschen, aber das ist meine Befürchtung. Die Resolution kam, durchaus bewusst, viel zu spät, behaupte ich. Aber vielleicht ist es auch anders. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass die Weltgemeinschaft nach Afghanistan und Irak in noch einen langfristigen Krieg hinein will. Und Gaddafi war auch perfide. Erst lässt er durch seinen Außenminister einen Waffenstillstand verkünden, das beruhigt erst einmal die Gemüter, und dann greift er doch überraschend an, zumindest heißt es inzwischen, der Waffenstillstand werde gebrochen. Vielleicht ist morgen früh, wenn ich an den Rechner zurückkehre, schon alles vorbei.

Ich bin zurück in der Welt, und vielleicht sollte ich die Gedankenprotokolle an dieser Stelle einstellen und wieder auf normale Berichterstattung umschwenken. Es ist kein erleichtertes Aufatmen so nach dem Motto: „Gerade noch mal gut gegangen, große Katastrophe verhindert.“ Es ist das Wissen, dass wir eine große Katastrophe miterlebt und nicht verhindert haben. Ein wenig Radioaktivität aus Japan hat die USA erreicht, ganz wenig nur. Das zeigt aber, dass viel Radioaktivität ausgetreten ist. Noch immer kämpfen viele tausend Menschen darum, eine Katastrophe wie in Tschernobyl zu verhindern, gleichzeitig musste man zugeben, dass sie doch größer war, als anfangs behauptet wurde.

Vielleicht also sollte ich die Gedankenprotokolle einstellen und zu normaler Berichterstattung zurückkehren. Das hätte auch den Vorteil, dass es wieder Links in den Berichten gäbe. Bei den Gedankenprotokollen habe ich bewusst darauf verzichtet, weil mich das viel mehr Zeit gekostet hätte. Vielleicht aber müsste man jetzt Libyen auf dieselbe Weise beobachten, und vielleicht habe ich jetzt dazu ebenfalls vieles zu sagen und zu denken?

Ja, es ist eine Erleichterung eingetreten in mir. Der Kampf in Fukushima hat mehr Chancen. Es ist so, als wäre die Countdown-Uhr einer Bombe eine Sekunde vor der Explosion zum Stehen gekommen, ohne dass die Bombe freilich entschärft worden ist. Man hat ein wenig Zeit gewonnen. Das ist alles. Aber das ist viel. Es ist ein Grund für Dankbarkeit gegenüber den Menschen, die immer noch ihr Leben dafür einsetzen, und es ist auf jeden Fall kein Grund, den Weg der Atomenergie weiter zu beschreiten.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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