Wir bleiben hier, was auch geschieht!

12 Tage stand die Welt still. Nein, nicht für alle, sondern nur für mich. Ratko Mladic und die verseuchten Gurken sind einfach an mir vorbei gerauscht, ohne mich zu einem Kommentar anzuregen. Dafür weiß ich wieder, wer ich bin und was ich brauche, nach einer „Sentimental Journey Home“.Runter von der Autobahn, ein paar Kilometer die Landstraße entlang, dann rechts um die Ecke, ein kleiner Schlenker, und der Lärm der Straße blieb hinter uns zurück. Die Stille des Waldes umfing uns, schon vernahmen wir die ersten Vögel in den Bäumen über uns, schon lachte uns die Sonne. Vorbei an der Wiese mit den Ziegen und dem Pferd, von denen wir noch nicht wussten, dass sie unsere direkten Nachbarn sein würden. Dann, ich kannte immer noch jeden Meter Bodens, links das Büro, die Rezeption. Aussteigen, durchatmen, Glück fühlen. Wir waren zuhause angekommen, auf dem niederländischen Campingplatz Heelderpeel, wo meine Familie einst 24 Jahre ein Häuschen besessen hat, das wir im Jahre 2006 auf so tragische Weise verloren. Im Büro begrüßte uns die Frau, die schon seit 17 Jahren dort arbeitet. Wir kamen als Gäste, die für 12 Tage ein winziges Häuschen gemietet hatten, aber es war wie eine Heimkehr.

Stunden lang habe ich an diesem Nachmittag draußen vor unserem Ferienhäuschen gesessen, ohne mich zu rühren. Ich wollte nur ankommen, nur genießen, wieder an dem Ort zu sein, wo ein großer Teil meines Herzens für immer zurückgeblieben ist. Hinter dem Haus lag die Wiese, auf der ein Pony und 2 Ziegen grasten. Hin und wieder hörte ich das Schnauben und Rennen, das Galoppieren und Mäckern. Und weil wir mitten im Wald waren, hörte ich die Vögel…

Schon auf der ersten Runde trafen wir alte Bekannte, eine Frau, die früher eine langjährige Nachbarin bei unserem alten Häuschen gewesen war, ein Bauernehepaar aus der Umgebung, mit dem wir uns ein wenig angefreundet hatten, und die uns früher immer mit Kartoffeln, Gemüse, Eiern und Milch versorgten. Wir hatten befürchtet, sie würden nicht mehr leben, doch sie traten uns fröhlich entgegen. Und wir sogen den unverwechselbaren Duft von Wald und Feld ein.

12 Tage lang in der Heimat meiner Jugend belehrten mich, dass ich sie nie ganz aufgeben werde, auch wenn unser Häuschen nicht mehr steht. Wir können nicht von dem Ort lassen, und wir werden es nicht. Mindestens einmal im Jahr müssen wir hin und die Seele auftanken.

12 Tage ohne Telefon und Internet waren der reinste Himmel. Der Puls der Zeit bestand aus gelegentlichen Nachrichtensendungen, wenn wir Lust dazu hatten, oder wenn wir sie beiläufig hörten. Ansonsten bestand der Puls der Zeit aus den Vögeln am Morgen, erst den Amseln, dann den Spatzen, die uns den Tag über begleiteten. Außerdem am Nachmittag bis in die ttiefe Nacht aus den Fröschen des Sees, deren Quaken so heimelig war und tiefen Frieden in unsere Seelen pflanzte. Der Puls der Zeit waren das ausgedehnte morgentliche Frühstück, das Abendessen, manchmal in der Kantine, manchmal im Häuschen, manchmal in einem Restaurant in der Nähe.

Wir haben unsere Heimat besucht, aber wir haben nicht nur alt vertrautes gefunden. Der Besuch eines antillianischen Restaurants war wunderschön. Die „Platzdeckchen“ bestanden aus alten Langspielplatten, es roch wie in einem Esoterikladen, und das Essen war sehr sehr lecker. Auch haben wir endlich mal wieder, nach sehr langer Zeit, eines Abends einfach mit ein paar Nachbarn bei einem Glas Wein gesessen.

Aber das Vertraute war schon etwas Besonderes. Wege, die ich viele Jahre nicht mehr gegangen war, auch in den letzten Jahren in unserem alten Häuschen nicht mehr, begrüßten mich und weckten schöne Erinnerungen. Die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Menschen, die an unserem Häuschen vorbei gingen, zog mich wieder in ihren Bann. Der abendliche Gang über den Platz offenbarte mir, dass sich nicht viel geändert hatte. Fröhliche, feiernde Menschen, vertieft in Gespräche, am Grill- und Lagerfeuer sitzend, bestimmten das Bild. Hunde bellten, wenn wir vorüber gingen, die Besitzer beruhigten sie und begrüßten uns.

Eines Abends auf der Treppe vor dem Büro kam eine deutsche Familie an uns vorbei. Vor 15 Jahren, sagte die Frau, sei sie schon mal hier gewesen, und sie suche den See und die Kantine. Ich konnte ihr den Weg beschreiben, den sie vergessen hatte. Sie freuten sich, denn auch sie hatten diesen Ort offenbar geliebt und suchten ihn wieder auf. Und ich empfand dieses Glück mit ihnen.

12 Tage war ich dort, wo der Alltag von mir abfällt, wo ich ganz ich selbst war und bin. Dort, wo ich mich daheim fühle, wo meine Seele auftankt. Und wir haben beschlossen, meine Liebste und ich, dass das nicht alles gewesen sein kann. Auch wenn wir unser Häuschen nicht mehr besitzen, wir werden zurückkehren, in diesem Sommer schon, Ende August. 20 Quadratmeter Wohnraum mit wenigen Dingen, die man zum Leben braucht, machen mich glücklich und zufrieden.

Im Jahre 1992 habe ich mich mal als Komponist und Texter betätigt. Ich schrieb ein Lied über Heelderpeel. „Wir bleiben hier, was auch geschieht, welche dunkle Wolke über uns auch zieht. Manche Menschen gehen fort, und die Zeiten ändern sich, aber hier herrscht wirklich Frieden für dich und mich.“ So schrieb ich damals, vor fast 20 Jahren schon. Als wir 2006 unser Häuschen verloren, glaubte ich, wir würden nun doch für immer gehen müssen, und der trotzige Ruf „Wir bleiben hier“ wäre für immer verstummt. Aber dem ist nicht so. Wir sind endlich zurück, wenn auch nur kurz in jedem Jahr, wenn wir es uns leisten können, aber so oft es eben geht.

Ich wünsche allen einen Ort, mit dem sie so verbunden sind, und der ihnen Kraft gibt.

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Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Wir bleiben hier, was auch geschieht!

  1. kacepe sagt:

    Danke für den schönen Post. Das hat mich sehr berührt, im positivsten Sinn des Wortes.

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