Die Mumie mit dem bösen Blick

Warnung an alle Kulturvergleicher im allgemeinen und Religionswissenschaftler im Besonderen: Der folgende Beitrag ist weder ausgleichend, noch differenziert, noch sonstwie politisch korrekt, aber er ist menschlich und emotional. Weiterlesen erfolgt auf eigene Gefahr! Sie waren gewarnt!

Ja ich weiß, dass ihr eine der ältesten Kulturregionen der Erde seid. Mir ist bewusst, dass ihr schon philosophische Gespräche geführt und medizinische Geheimnisse gelöst habt, als wir in Europa noch voll im tiefsten Mittelalter steckten und tagtäglich damit beschäftigt waren, einander die Rübe einzuschlagen und mit den Fingern zu essen. Alles im Namen des Herrn Jesus oder so. Ich weiß, dass ihr eine uralte Kultur habt, die älter ist als jede heute bekannte Religion, und man hat mir schon oft gesagt, dass man sie achten und ehren und ernst nehmen muss. Alles klar. Mache ich in der Regel auch, und ich bewundere euch für früher und so, ich habe schließlich auch meinen Medicus gelesen, auch wenn der im Persien an der Wende zum 2. Jahrtausend spielt, und das ist mit dem Land, über das ich heute sprechen will, doch nur mittelbar zu vergleichen, was mir natürlich auch klar ist. Und man hat mir beigebracht, dass andere Kulturen nicht allein schon deswegen rückständig sind, weil sie unverständliche Sitten haben und die durch Religion erklären und rechtfertigen. All das habe ich verinnerlicht. Und begehre ich auch manchmal gegen einige dieser Annahmen auf, so aus einem menschenrechtlichen Kontext heraus oder so, so habe ich doch meistens meine Lektionen gut gelernt. Und die wichtigste Lektion der letzten Jahre war: Alles was in bestimmten Ländern gegen die Menschenrechte geschieht, hat nichts, aber auch gar nichts mit Religion zu tun, sondern basiert auf uralten, archaischen und wertvollen kulturellen Überlieferungen. Und wer sind wir, dass wir uns anmaßen, aus unserem verkommenen westlichen Moralverständnis heraus zu kritisieren, was irgendwo in Jahrtausenden überliefert und gewachsen ist? Das muss man verstehen und respektieren, sonst ist man Rassist und fremdenfeindlich. Um gottes Willen, das wollte und will ich nicht sein. Deshalb habe ich die folgende Geschichte sicher auch nur falsch verstanden, oder ich begreife ihren guten Kern nicht so recht. Verzeiht mir also, wenn mir die Galle hoch kommt.

Begeben wir uns also in eines der schönsten und kulturell interessantesten Länder der Erde, nach Saudi-Arabien. Das Land von Mekka und Medina, von wo aus der Prophet seine Friedensmissionen bis nach Afrika unternahm, bis in den Süden Europas und über Vorderasien, teile des indischen Subkontinents und natürlich über den Rest der arabischen Halbinsel. Begeben wir uns für einen Moment an die Wiege einer der ältesten und fortschrittlichsten Kulturreligionen der Menschheit, des Islam, unter dessen Banner der Friede all über all einkehrt, wo er herrscht, und wo jeder Mensch gleich ist, wenn er nur die grundlegenden Gebote der Barmherzigkeit, der Pilgerfahrt und des Gebets achtet. Das Land, in dem die Wahabiten, strenggläubige, gottesfürchtige und weise Lehrer leben, die auch darauf achten, dass selbst der König dieses großen Wüstenlandes sich an Allahs Gesetze hält, denn Allah ist groß, und Mohamed ist sein Prophet.

So fortschrittlich ist dieses Land, dass es in ihm eine Bürgerorganisation gibt, die sich „Komitee zur Förderung der Tugend und zur Verhinderung des Lasters“ nennt. Dort versammeln sich die Sanftmütigsten der Sanftmütigen, die Gläubigsten der Gläubigen, die Weisesten der Weisen. Und einer dieser weisen Männer erlebte eine Geschichte, die ihn ins Nachdenken brachte.

Auf der Straße einer nicht näher bezeichneten Stadt ging dieser Weise seiner Wege. Er war bescheiden, drum ging er zu fuß. Und auf einmal entdeckte er eine Frau. Das wäre weiter nicht schlimm gewesen, denn eine Frau ist in Saudi-Arabien nur dadurch als Frau zu erkennen, dass sie nicht als Frau zu erkennen ist. Er begegnete also einer schwarz verhüllten Gestalt mit Kopftuch, die durch die pralle Sonne der beeindruckenden Wüstenlandschaft ihrer Wege zog. Und obwohl sich die Frau ebenfalls gern und glücklich an die göttlichen oder kulturellen Bestimmungen hielt, die in weiser Voraussicht ihr diese Kleidung verordnen, geschah doch das Unglück. Der Weise Mann entdeckte nämlich ihre Augen. Und diese Augen, das einzige, was er von ihrem Gesicht sehen konnte, waren einfach himmlisch und liebreizend. Sie brachten des Weisen Blut in Wallung, so dass die Dämonen von ihm Besitz ergriffen und er sich mit dem Ehemann der schönäugigen, heißblütigen Wüstenblume um dieselbe zu schlagen begann, ganz gegen die Gebote des großen Gottes.

Nach kurzer Zeit, leider ist nicht überliefert, wer gewann, fand sich der weise Lehrer zerknirscht in seinem Komitee wieder. Vernunft und Tugendhaftigkeit waren zu ihm zurückgekehrt, er bereute im Gebet seine Sünden und reinigte sich von ihrer Schändlichkeit. Er hatte Hand an einen anderen Mann gelegt. Er, der für seine moralische Größe, Unerschrockenheit, Tugend, Weisheit und Festigkeit im Glauben landesweit bekannt war. Er, dessen Aufgabe es war, die Gebote des einen Gottes zu verkünden und auf deren Einhaltung zu achten. Was hatte ihn nur dazu bringen können, seine Ruhe, Ausgeglichenheit und Weisheit zu vergessen, um sich wie ein Brunfthirsch zu benehmen, der sein Revier verteidigt? Nach kurzer Zeit schenkte ihm Gott die benötigte Einsicht: Es waren die Augen. Die Augen unter dem Schleier, die Augen als Perlen und Edelsteine des Weibes, die es nach Gottes Geboten zu verbergen hat, auf dass der Mann, der kein Ehemann ist, sie nicht erblicke und Neid und Missgunst dem anderen Mann gegenüber empfinde und Dinge tue, die der barmherzige Allerbarmer sicher nicht gutheißen würde.

Und so brachte dieser weise Mann voller Reue einen Gesetzentwurf in sein Tugendkommitee ein, welcher nun öffentlich diskutiert wird, um das Land Gottes noch schöner, friedlicher, moralisch hochstehender, kulturell fortschrittlicher und allgemein gottesfürchtiger zu machen. Frauen, diese ständige Herausforderung des männlichen sexuellen Begehrens, sollen nun in der Zukunft auch die Augen verschleiern. Dann erst kann der Mann, der nicht der Ehemann ist, ruhig schlafen. Ein Problem sollte dieses Gesetz nicht darstellen. Ohnehin kann die Frau ja ohne den Ehemann nicht das Haus verlassen, und so wird es in der Zukunft seine Aufgabe sein, sie sicher an der Hand durch die Straßen der Stadt zu geleiten. Ein Fahrzeug zu führen ist ihr ohnehin nicht erlaubt, wofür sie die Augen gebrauchen müsste. Und solch unschöne Szenen, die zu ernsthaften Prügeleien und vielleicht sogar zu Verletzungen führen könnten, werden in der Zukunft unterbleiben. Und schon ist die Welt wieder ein Stück friedlicher.

So, und jetzt mal Tacheles: Vollverschleierung in Saudi-Arabien? Vollpfosten! Und sage mir jetzt bitte niemand, das habe alles nichts mit Religion zu tun, das sei alte kulturelle Überlieferung. Das mag sein, aber ehrlich gesagt ist diese Religion, der Islam, in dieser Kultur entstanden. Niemand kann mir erzählen, dass die kulturellen Gegebenheiten überhaupt keinen Einfluss auf die Entstehung der Religion hatten. Eine Frau soll ihre Reize nicht zeigen, sagt der Koran, und damit rechtfertigt die Religion die Verschleierung. In der einen Auslegung mehr, in der Anderen weniger. Aber wer sich heute hinstellt und so tut, als seien die Europäer, die sich für Menschenrechte auf der ganzen Welt einsetzen, nichts weiter als Kulturimperialisten, die das Schöne und Gute anderer Kulturen nicht zu würdigen wissen, der hat wohl den Schuss nicht gehört. Bloß weil wir in Europa eine verkommene politische Klasse haben, viele unserer Priester geile Böcke sind, die sich gern mal an Kindern vergreifen, sollen wir zu den systematischen Schändlichkeiten anderer Kulturen schweigen müssen? Ich bin kein Priester und kein Politiker, und ich sage nicht, dass der Islam verbrecherisch ist, dass alle Saudis Idioten sind und so weiter. Aber was ich sage ist, dass nichts und niemand es rechtfertigen kann, die Hälfte der Bevölkerung eines Landes blind zu machen, nachdem man ihnen schon die Bürgerrechte, die Lizenz zum Autofahren und die Reisefreiheit versagt hat. Und das alles mit der Begründung, sie seien für die Bürger, die Männer, gefährlich und störten ihre Gottesfürchtigkeit, sie seien die Herausforderung Gottes an die Tugendhaften.

Es gibt Muslime und auch Muslimas in Deutschland, die ein solches Vorgehen verteidigen. Sie verlangen Respekt vor ihrer Kultur. Was wäre, wenn wir Respekt der Welt vor Stalins Greueltaten, den Folterungen der CIA oder auch nur dem Nacktheitswahn deutscher Touristen in Saudi-Arabien verlangen würden? Kann man alles mit Kultur rechtfertigen und gleichzeitig die Religion, das absolut bestimmende Element dieser Kultur, von aller Schuld reinwaschen? Diese Religion durchdringt das Gesellschaftsleben in Saudi-Arabien vollkommen, sie hat riesigen Einfluss. Und ihr soll es nicht gelungen sein, in 1400 Jahren die Stämme zur Einhaltung fundamentaler Menschenrechte zu bewegen? Für wie dumm halten uns eigentlich die blinden Experten, die doch eigentlich sehen können müssten?

Ein schaler Beigeschmack bleibt, weil ich das Folgende auch sagen muss, da sonst viele Leute nicht mal den Versuch machen, diesen Beitrag richtig zu verstehen: Ich rechtfertige damit nicht die westliche Arroganz, den Imperialismus, die Hochnäsigkeit, den Postkolonialismus, den Rassismus und Faschismus. Ich sage nicht: Der Westen ist pauschal gut und der Islam ist pauschal böse. Und schon gar nicht beziehe ich irgendwas auf einzelne Menschen. Ich würde niemandem, absolut niemandem die Einreise nach Deutschland aufgrund dessen versagen, was ich gehört, gelesen und geschrieben habe. Aber so wie andere Menschen ihre Kultur haben dürfen, wie sie das Recht auf archaische Gesellschaftsformen selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, so sehr nehme ich das Recht auf eine eigene Meinung für mich in Anspruch, die ich laut Grundgesetz in Wort, Schrift und Bild verbreiten darf, ohne mir anhören zu müssen, damit eine Lunte an das friedliche Zusammenleben der Völker zu legen oder faschistische Ideologien zu vertreten. Meinungsfreiheit schließt auch die Kritik von Zuständen mit ein, die dem persönlichen Wertekanon als Unrecht dünken. Und in meinem Wertekanon heißtt es nun einmal: Frauen sind Menschen, gleich geschaffen, gleich geboren, mit gleichen, unveräußerlichen Rechten ausgestattet, berechtigt zum Streben nach Freier Entfaltung ihrer Person, nach Wohlstand, nach Glück. Gemeinsam leben wir auf dieser Erde, Männer und Frauen, und niemand hat das Recht, sie einzusperren oder blind zu machen, zu Unterdrücken oder für das sexuelle Begehren verantwortlich zu machen, das man selbst nicht kontrollieren will. Andere mögen das anders sehen. Sie mögen sagen, dass solche kulturell bedingten Einschränkungen mit dem Willen der Frau geschehen. Wenn dem so ist, dann braucht man dazu keine Vorschriften, keine Gesetze und niemanden, der ihre Einhaltung überwacht. Ich vermag nur schwer zu glauben, dass alle Frauen Saudi-Arabiens, hätten sie die Wahl, eine Vollverschleierung anlegen würden. Die aber, die es ohne Druck und Zwang, ohne Gesetz und Sittenpolizei freiwillig tun wollen, die sollen es tun und selbstbewusst begründen. Davor hätte ich Respekt, wenn ich es vielleicht auch nicht verstehen würde. Aber es wäre eine vollkommen freiwillige Entscheidung. So aber ist es nach meiner Auffassung nur Unterdrückung der Frau.

 

Hier der Link zu der Nachricht, die mich diesen Beitrag schreiben ließ.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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2 Antworten zu Die Mumie mit dem bösen Blick

  1. Hartmut Bock sagt:

    Ein excellenter Beitrag, dem ich vollkommen zustimme.

    1994 ist meine Frau verstorben. Sie wurde in Herdecke auch von einer Ärztin, mit Namen Heidemarie Kremer, behandelt. Bedingt, durch meine eigene WS-Erkrankung (Hochgr. Skoliose, 74 OP nach Harrington) kam ich mit Frau Kremer hierüber in ein längeres Gespräch. Hierbei erfuhr ich, daß sie gerade ein Buch mit dem Titel „Freiwillig unter dem Schleier“, veröffentlicht hatte. Gleich darauf hab ich das Buch in der Bücherstube am Krkh. gekauft. Das Buch habe ich dann mit großer innerer Anteilnahme gelesen. – Jetzt kommt der Bezug zu Ihrem Text. Frau Kremer beschreibt in diesem Buch, autobiographisch, ihre Erlebnisse im Iran, die sie einige Jahre zuvor, durch Heirat eines Einheimischen erfahren hat.
    Ihr sehr einfühlsamer Beitrag, Herr Bertrams, hat meine überaus positive Erinnerung an das genannte Buch, wiederaufleben lassen.
    Die ausserordentlich feinfühlig geschilderten Erlebnisse in diesem Buch beschreiben sehr ausführlich auch die Sichtweise von H. Kremer hinsichtlich der Verschleierung der Frauen im Iran.
    Dieses Thema wird wohl noch sehr lange, aus meiner Sicht ebenfalls klarer Verstoß gegen die Menschenrechte, die Medienwelt und damit die Öffentlichkeit bewegen.

    Gruß
    Hartmut

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