Herr Bundespräsident, bitte treten Sie zurück!

Lange habe ich zur Kreditaffäre des Bundespräsidenten geschwiegen. Warum sollte ich mich zu noch einem lächerlichen Skandal äußern? Doch die jüngsten Entwicklungen beschädigen mehr und mehr Amt und Ansehen des Bundespräsidenten insgesamt, völlig unabhängig von der Person Christian Wulff. Und gleichzeitig hat man den Eindruck, die Politiker lernen es nie, wie man sich in einem Moment verhält, in dem man zumindest moralischer Verfehlungen überführt wird.

Als Mitte Dezember die ersten Spekulationen über einen privaten 500.000-Euro-Kredit des Ehepaars Geerkens an den Bundespräsidenten aufkamen, hat mich das ehrlich gesagt nicht besonders interessiert. Zum einen ging es um einen Kredit in Wulffs Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident, es hatte also unmittelbar mit seiner Amtsführung als Bundespräsident nichts zu tun. Zum Anderen, dachte ich, muss man sich in der Politik und der Gesellschaft nicht wundern. Wenn die Bundespräsidenten aus der meist verdorbenen politischen Klasse kommen, wenn um ihre Benennung in Hinterzimmern geschachert wird, wenn nicht ihre Kompetenz, Integrität und Beliebtheit ausschlaggebend sind, sondern ihre Parteizugehörigkeit, ihre bisherige Laufbahn und ihr Ellenbogen, so muss man zwangsläufig bei jedem Bundespräsidenten Leichen im Keller finden. Wie kann man von einem, der sich durch die gesamte politische Landschaft gedient hat erwarten, dass er plötzlich im höchsten Staatsamt mit weißer Weste da steht, wo doch „Dreck am Stecken“ schon zur Voraussetzung eines erfolgreichen Politikers geworden ist? Insofern habe ich mir gedacht, dass der Christian Wulff das kleinere Übel ist. Besser, er bleibt im Amt und ruft uns milde unsere moralischen Pflichten in Erinnerung, fordert uns freundlich zu Toleranz, Multikulturalismus und Mitmenschlichkeit auf, als dass es wieder ein Geschacher um den Nachfolger gibt, komplett mit getürkter Kampfabstimmung und parteipolitischem Wahltaktieren hinter und vor den Kulissen.

Und was ist überhaupt passiert? Okay, der Herr Ministerpräsident Wulff hat sich den Kauf eines Eigenheims von einem befreundeten Geschäftsleuteehepaar teilfinanzieren lassen. So ein Ministerpräsident will schließlich auch mal protzen, vor seiner Frau und seinen Freunden angeben. Auf die übliche Weise wird das ganze verschleiert. Denn, so paradox leben wir in Deutschland, es ist zwar rechtlich durchaus erlaubt, einen Privatkredit aufzunehmen, aber für einen Ministerpräsidenten moralisch nicht geboten. Denn schließlich weiß man ja nicht, ob der Geschäftsfreund nicht irgendwelche Vorteile daraus zieht? Doch im Großen und Ganzen bin ich in dieser Beziehung mittlerweile unaufgeregt. Die Vorteile bekommen die Geschäftsleute ohnehin, die Wirtschaft ist es, der Markt, an den sich die Politik anpassen muss, sagte unsere Landesmutter einmal sinngemäß. Immerhin hat Wulff keinen mörderischen Waffendeal eingefädelt, keine Diktatur und keinen folternden Geheimdienst unterstützt. Zumindest wissen wir davon bislang nichts.

Natürlich hat sich Herr Wulff so verhalten, wie alle ertappten Sünder es tun, die etwas zu verlieren haben. Er hat nur Stück für Stück zugegeben, was ans Tageslicht kam, ergriff nie von selbst die Initiative, und musste erst mühsam zu einer Erklärung gedrängt werden, in der er sich kurz vor Weihnachten für sein ungeschicktes Handeln entschuldigte. Und in dieser Erklärung lobte er den investigativen Journalismus und die Pressefreiheit, die ein hohes Gut sei.

Und jetzt? Jetzt kommt heraus, dass der Herr Bundespräsident persönlich beim Chefredakteur der Bild-Zeitung auf den Anrufbeantworter sprach, um zu verhindern, dass die Zeitung über seine Kreditaffäre berichtete. Wulff drohte mit dem Bruch zwischen ihm und dem Springerkonzern. Wenn die Zeitung Krieg wolle, könne sie ihn haben, sagte der aus der CDU stammende Landesvater.

Und da kann ich nicht mehr schweigen. Der deutsche Journalistenverband auch nicht, er veröffentlichte eine Stellungnahme. Für mich steht aber neben der Unabhängigkeit oder Anbiederei der Presse, und neben der Selbstverständlichkeit, mit der Prominente glauben, die Presse für sich instrumentalisieren zu können, noch mehr auf dem Spiel. Das Amt und die Würde des Bundespräsidenten, des deutschen Staatsoberhauptes, ist gefährdet. Wir haben ein Staatsoberhaupt, das uns alle repräsentieren soll, das unser aller Befindlichkeiten in seinen Reden ausdrücken soll, für das wir uns schämen müssen. Jede Glaubwürdigkeit in moralischen Fragen ist verspielt, von sozialem Ausgleich kann schon gar keine Rede sein. Hinter den Kulissen dreht sich schon wieder das Gerüchtekarussell mit der Frage: Wer wird Nachfolger? Guttenberg oder von der Leyen?

Die Krise, die Wulff da heraufbeschwört, ist eine grundlegende Vertrauenskrise in die Institutionen dieses Staates, ja in seine grundsätzlichen Werte wie Demokratie und Pluralismus, Machtkontrolle und Macht auf Zeit. Sorglos geht die politische Klasse mit diesen Gütern um, die eigene Bereicherung, entweder materiell, finanziell oder machtpolitisch, ist ihnen mehr wert als die Festigkeit des Staatswesens selbst. Christian Wulff täte gut daran, träte er zurück. Allerdings sollte er es nicht wie Guttenberg machen. Er sollte seine Fehler klar benennen, sollte die Verantwortung übernehmen, sollte den Weg ebnen für einen Nachfolger, der in der Lage ist, sein Engagement glaubhaft zu machen. Dabei verlangt niemand, dass der Bundespräsident eine vollkommen weiße Weste hat, denn die hat kein Mensch. Hätte Wulff von Anfang an offen gesagt, dass er diesen Privatkredit aufgenommen hat, und hätte er es unterlassen, die Presse zu bedrohen, dann hätte ich vermutlich gesagt, dass sein Vergehen für einen Rücktritt als Bundespräsident nicht schwerwiegend genug ist. Sein Taktieren und Lavieren macht ihn für mich zu einem unhaltbaren Bundespräsidenten.

In den sozialen Netzwerken höre ich Stimmen, die für eine Abschaffung des Amtes plädieren. Ich bin dagegen. Durch eine Abschaffung des Bundespräsidenten wird unsere Demokratie auf rein funktionelle Aufgaben beschränkt, und es gibt keine Instanz mehr, die außerhalb des Ränkespiels der Parteien soziale Entwicklungen beobachten, aufgreifen und in den Fokus rücken kann. Gerade in der Zeit des Neoliberalismus und der systematischen Menschenverachtung brauchen wir aber eine solche Instanz. Doch gerade weil wir einen moralisch größtenteils unbeschädigten, zumindest aber offenen und ehrlichen Bundespräsidenten brauchen, ist Christian Wulff nicht mehr der Richtige für dieses Amt. Er schadet dem Ansehen des Staates, des Amtes und der Demokratie. Daher ist ein Rücktritt die einzig gebotene Reaktion. Auch dies schadet dem Ansehen des Bundespräsidenten, denn Christian Wulff wäre nur kurz im Amt gewesen. Es gibt aber keine Politiker mehr vom Fformat eines Theodor Heuss, Gustav Heinemann, Richard von Weizsäcker oder Johannes Rau.

Die Reform des Bundespräsidentenamtes allerdings wäre wichtig. Zum Einen sollte man ihn durch das Volk wählen lassen, ohne ihm mehr Macht zu geben. Zum Anderen sollten Personen, die bis drei Jahre vor der Wahl irgendein politisches Amt bekleidet haben, von der Wahl ausgeschlossen sein. Wer Bundespräsident werden will, sollte sich vorher aus dem Parteienstreit verabschiedet haben. Dann, wenn man sich einen wählen kann, dem man vertraut, und wenn nicht die Parteispitzen darüber entscheiden, hat das Amt des höchsten Repräsentanten, des Mahners und Volksombutsmannes vielleicht eine Überlebenschance.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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