Tagwerk vom 30.01.2012

Hier nach einigen Tagen mal wieder eine kurze und persönliche Kommentierrung mehrerer aktueller Ereignisse.

Endlich beginnen die Arbeiten an dem Projekt Stuttgart 21. So sehr ich Parkschützer und Protestdemonstranten verstanden habe, so sehr wurde der Krampf um den Bahnhof in den letzten anderthalb Jahren politisch instrumentalisiert. Spätestens seit der Volksabstimmung, die überraschenderweise scheiterte, muss man als Demokrat einfach einsehen, dass das Projektt legitim ist. Natürlich mag es immer noch gesetzliche Gründe wie die vielen kleinen Käfer geben, die den Bau vorübergehend zurecht aufhalten, aber im Großen und Ganzen sollten sich auch und gerade die demokratischen S21-Gegner dem Volksvotum beugen.

Die Diskussion über die Linke, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, bekommt langsam groteske Züge. In der Sendung Günter Jauch war gestern ein alter, ehemaliger Verfassungsschutzpräsident zu Besuch. Der tat mir fast leid, weil er den Fragen überhaupt nicht gewachsen war. Auf die Frage, warum man die zwickauer Terrorzelle nicht gefangen hatte, erzählte er von einer Hausdurchsuchung, bei der einer der Beschuldigten einfach weggefahren sei, wogegen man doch nichts habe machen können. Dafür erntete er nur noch Gelächter. Eine gute Figur machte für mich der SZ-Chefkommentator Heribert Prantl. Entweder der Verfassungsschutz habe von den Aktivitäten der Zwickauer nichts geahnt, dann sei er überflüssig. Oder er habe eine Ahnung gehabt, dann sei er gefährlich, sagte Prantl. Dem kann ich mich nur anschließen.

Die deutsche Linke und die Friedensbewegung tun sich nach wie vor schwer mit Kritik am Assad-Regime in Syrien. Während die UNO und die arabische Liga eingreifen will, und während Russland aus geostrategischen Gründen ablehnt und weder sich, noch dem syrischen Volk einen Dienst erweist, schweigen die deutschen Linken. Manche stellen sich sogar demonstrativ hinter Assad, der in den Vororten von Damaskus wieder Massenhinrichtungen durchführen lässt. Es ist wie so oft eine Sprachlosigkeit vorhanden, die immer dann eintritt, wenn man westlichen Meinungen zustimmen müsste. Dann besteht plötzlich die Angst, den Gegnern in die Hand zu spielen. Mehr Selbstbewusstsein, Gelassenheit und Standfestigkeit auch bei taktisch unbequemen Themen wären angebracht. Man wird nicht zum Freund der gesamten westlichen Politik, wenn man die Massenmorde in Syrien mit dem Westen gemeinsam verurteilt. Man wird nur menschlich.

Christian Wulff könnte es schaffen, doch noch im Amt zu bleiben. Je länger die Affäre dauert, die längst nicht mehr hauptsächlich um seinen 500.000-Euro-Privatkredit geht, desto größere Chancen hat er. Stand er zunächst selbst im Fadenkreuz der Ermittlungen von Presse und Polizei, so wurde mit der Durchsuchung des Büros seines Ex-Sprechers Olaf Glaeseker alles anders. Jetzt ist die Frage nur noch: Wieviel hat Wulff von den Machenschaften seines bösen Sprechers gewusst? Dabei galt Glaeseker vorher als absoluter persönlicher Vertrauter des Präsidenten, der nie etwas ohne dessen Zustimmung angefangen hätte. Vermutlich wird es gelingen, die Schuld auf den ehemaligen Sprecher abzuwälzen, Politiker der CDU beginnen schon damit. Wieder eine schmierige Affäre mehr in Deutschland, die nach Art von Helmut Kohl durch Aussitzen bewältigt werden könnte. Unserer Demokratie nutzt Wulff so jedenfalls nichts.

Die Kampfansage des CDU-Bundestagsabgeordneten Ansgar Heveling an die Netzgemeinde sorgt im Internet wegen ihrer schwülstigen und teils verfehlten Formulierungen für Gelächter. Am ersten und zweiten Tag mag das angehen, aber dann wird es notwendig werden, sich inhaltlich mit diesem Licht der christlichen Aufklärung mal etwas näher zu befassen. Die Kampfansage ist ernst, sie spiegelt das weit verbreitete Misstrauen des mächtigen Establishments gegen ein freies und unzensiertes Web wieder. Man will den verlorenen Boden der Meinungsführerschaft und des Zugangs zu Wissen aller Art wieder zurückgewinnen. Die Chancen stehen trotz des SOPA- und PIPA-Protesterfolges nicht schlecht. In Europa wird derzeit das vergleichbare Projekt ACTA beschlossen, und die öffentlich-rechtlichen Medien, die traditionellen Wissenslieferanten auch im Internet, depublizieren nach 7 Tagen ihre Informationen, um eine Chancengleichheit im Wettbewerb herzustellen. Da spielt es keine Rolle, dass die Konkurrenten an neutraler Information gar nicht interessiert sind, sondern einzig und allein ein gutes Konkurrenzangebot zerstören wollen. In diesem Licht betrachtet ist Herr Heveling ausführendes Organ einer Lobby, die den Zugang zu Wissen und Information unter einen großen Kostenvorbehalt stellen will, um ihre Gewinne zu maximieren, und politisch vielleicht auch, um missliebige Meinungen durch die Beschränkung des Wissenszugangs auf Vermögende zu unterdrücken. Wo kämen wir hin, wenn der Pöbel Zugang zum Weltwissen bekäme, ohne dafür horrende Preise zu bezahlen. Diese Kampfansage ist nicht witzig, sie ist äußerst gefährlich, und noch dürfen wir die Macht der Netzgemeinde, wer auch immer das im Einzelnen ist, nicht überschätzen.

Auf Twitter machte heute der sogenannte Hashtag #tl82 die Runde. Nachrichten, die mit diesem Tag als Suchbegriff versehen wurden, wurden so gestaltet, als befände man sich im Jahre 1982. Es kam ein äußerst spannendes und nostalgisches Mosaik unterschiedlichster Nachrichten von vor 30 Jahren heraus. Natürlich schlichen sich auch kleine Fehler ein, wenn in einer Nachricht das Lied „Purple Rain“ von Prince statt ins Jahr 1984 ins Jahr 1982 gesteckt wurde. Doch es versammelte sich nach und nach unter dem Begriff #tl82, Timeline 82, eine vielfältige und kreative Sammlung von kleinen Berichten aus der Vergangenheit. „Warte mit Spannung auf den dritten Teil der Saga „Krieg der Sterne““, lautete eine Nachricht. Ein anderes wiederkehrendes Thema war der Grand-Prix-Gewinn für Deutschland durch das Lied „Ein bisschen Frieden“ von Nicole. Auch ich steuerte einige Nachrichten zu dem „Mem“ bei, wie ein solches Konglomerat von eingefleischten Usern genannt wird. Ich erinnerte mich an das Ende der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt, den Falklandkrieg, die Fußballweltmeisterschaft mit dem meiner Ansicht nach getürkten Spiel Deutschlands gegen Österreich, und an den Erwerb eines Ferienhäuschens in den Niederlanden durch meine Familie. Manche Nachrichten lauteten auch schlicht und einfach: „Werde gerade gezeugt“. Interessant waren auch Meinungen aus der damaligen zeit wie: „Rocky 3 gesehen, das ist bestimmt der Letzte“, oder: „Diese Computer werden sich niemals durchsetzen.“

Der Winter hat endgültig Einzug gehalten. Anderthalb Monate zu spät purzelten die Temperaturen vielerorts auf -10 Grad. Dabei soll es aber nicht bleiben. In den nächsten Tagen sollen es teilweise -20 Grad werden. Da der Wind kalt und scharf aus dem Osten wehe, sagen die Wetterfrösche, seien die gefühlten Temperaturen noch niedriger. Na dann gute Nacht. Hoffentlich bleibt uns der Winter nicht bis Mai erhalten oder so, nur weil er später eingetrudelt ist. Das Wetter schlägt einem aufs Gemüt, zumindest mir, der ich ein Fan von Frühling und Sommer bin.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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