Griechenland am Abgrund

In Athen und ganz Griechenland brennt es, und zwar in jeder Beziehung. Wütende Bürger zünden Häuser an, ein Ausdruck der lichterloh brennenden Gesellschaft. Ein Land wird kaputtgespart, und im Ursprungsland der Demokratie gehen die Lichter aus.

Hinter hilflosen Floskeln verbirgt sich Wut und Verzweiflung. Griechenland braucht Geld, um einen drohenden Staatsbankrott aufzuhalten. Der träte ein, wenn das Land am 20. März seine fällige Schuldenrate nicht mehr zahlen könnte. Also will sich Athen Geld von der EU leihen. Die sogenannte Troika aus EU, europäischer Zentralbank und internationalem Währungsfond verlangt aber, dass Griechenland vor Auszahlung des Kredits noch große Sparbeschlüsse umsetzt. Welch eine absurde Idiotie. Da leiht die EU den Griechen Geld, damit sie ihre Schulden, unter Anderem bei der EU, aber auch bei privaten Banken, bezahlen können. Damit erhöht sich der Schuldenberg nur noch mehr, denn durch die erneute Kreditaufnahme fallen hohe und höchste Zinsen an. Gleichzeitig verbietet die EU, dass Griechenland Geld ausgibt, um die eigene Wirtschaft anzukurbeln. Daher steigt die Arbeitslosigkeit, auch die notwendigen Sozialausgaben, aber die Binnennachfrage sinkt, weil keiner mehr Geld hat, sich etwas zu kaufen. Unternehmen gehen pleite, weil niemand mehr ihre Produkte kauft. Natürlich zahlen die dann auch keine Steuern mehr, und weniger Geld wird in den Staatshaushalt gespült. Weniger Schulden können bezahlt werden, mehr Kredite müssen aufgenommen werden. Ein Kreislauf ins Verderben, eine Untergangsspirale ohne Ende. Verordnet von einer undemokratischen und verbrecherischen Finanztroika, der Leben und Wohlstand der Griechen völlig gleichgültig ist. Ihr geht es darum, möglichst viel Geld aus dem ausgebluteten Land zu ziehen, damit sie selbst ihr Top-Rating bei den US-amerikanischen Ratingagenturen behalten kann und weiterhin kreditwürdig bleibt. Die Mitglieder der Troika werfen Griechenland vor, mit 160 % des Bruttoinlandsproduktes in der Kreide zu stehen. Das stimmt, aber das ist kein Grund für eine die Wirtschaft schwächende und den nationalen Lebensnerv zerstörende Sparpolitik. In Japan beispielsweise beträgt der Schuldenstand 206 % des Bruttoinlandsproduktes, und niemand zwingt das Land zum Sparen. Dort käme auch niemand auf die Idee. Mit Staatsaufträgen wird die Wirtschaft angekurbelt, und Experten rechnen mit einem Aufschwung und der allmählichen Schuldenverringerung. Es ist diese europäische Doppelmoral, diese Erpressung gegenüber Griechenland und das bewusste Einsetzen halb rassistischer Klischees über die sogenannten faulen Griechen, was mich so maßlos ärgert. Dem Land wird die Pistole auf die Brust gesetzt. Spiele mit bei deinem eigenen Untergang, oder du fliegst aus der Eurozone raus. Als griechische Parlamentarier sich weigerten, das unzumutbare Sparpaket zu beschließen, wurden sie von ihren Fraktionen ausgeschlossen und durch linientreue Politiker ersetzt. So stirbt die Demokratie in ihrem Mutterland, und eine neoliberale, menschenverachtende Finanzdiktatur tritt an ihre Stelle.

Es gibt aber gerade aus Griechenland auch Anderes zu berichten. Die größte liberale Tageszeitung des Landes, „Eleftherotypia“, musste im Dezember ihr Erscheinen einstellen. Schon seit vielen Monaten waren die Redakteure und Mitarbeiter nicht mehr bezahlt worden und hatten ohne Lohn für den Verlag weitergearbeitet. Jetzt bringen sie ihre Zeitung ohne den Verlag wieder heraus und hoffen, die laufenden Unkosten durch die Verkaufseinnahmen decken zu können. Immer noch arbeiten sie ehrenamtlich. Viele Zeitungen mussten ihr Erscheinen einstellen, ein herber Schlag für die Meinungsvielfalt in Griechenland. Doch die sogenannten faulen Griechen geben nicht auf und bringen ihre Zeitung auf ehrenamtlicher Basis wieder heraus, weil sie an die „freie Presse“ glauben, wie das Blatt übersetzt heißt. Es war und ist die traditionsreichste liberale Zeitung, die sofort nach der Militärdiktatur erschien und den Wandel Griechenlands zu einer modernen Demokratie begleitet hat. Vielleicht begleitet sie das Land jetzt durch eine tiefe Krise zu einer neuen Selbstfindung.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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