Ein gefährliches Zukunftsmedium

In letzter Zeit schwört man in der Politik auf die Lebenserfahrung alter Männer. Sie bieten Ruhe und Sicherheit und Souveränität. Aber sie sind auch irgendwo stehen geblieben, wie dieses Beispiel zeigt.

Altkanzler Helmut Schmidt hält das Internet zwar für zukunftsfähig, aber gefährlich. Es verleite zur oberflächlichen Betrachtung komplizierter Zusammenhänge, meint der ehemalige Sozialdemokrat, der Parteipolitisch allerdings schon jenseits von Gut und Böse angekommen sei, wie er auf dem SPD-Bundesparteitag 2011 sagte. Auch für den Aufstieg der Piraten hat Schmidt eine einfache Erklärung: Die Sozialdemokraten hätten die Piraten groß werden lassen, weil sie sich viel zu lange nur um die Sozialpolitik gekümmert hätten.

 

Ach, lieber Helmut Schmidt, ich kann ja verstehen, dass Sie mit der heutigen Politik und Kommunikationsrealität nicht mehr so viel anfangen können. Dass Ihnen das Briefe Schreiben näher liegt als das Telefonieren oder gar das Surfen im Internet, ist eine persönliche Note, die Ihnen unbenommen sein soll. Wenn Sie sich aber immer wieder zu Themen äußern, und wenn Sie die Verantwortung noch spüren, die Ihnen immer so wichtig war, dann sollten Sie das Internet nicht deshalb abtun, weil es Ihnen persönlich nicht besonders liegt, oder weil es Ihnen zu schnell ist. In Einzelfällen haben Sie bei Ihrer Kritik sicher recht, wer liest vor einem Computerbildschirm schon noch komplexe Zusammenhänge? Allerdings muss man auch die andere Frage stellen: Wer schreibt schon noch interessant über komplexe Zusammenhänge? Alles muss schnell und in Häppchen angeboten werden. Nur ist das kein Merkmal des Internets allein, das eine Vielzahl unterschiedlicher Positionen und Kommunikationsmöglichkeiten bietet, die heute wirklich wichtig geworden sind. Und ehrlich gesagt: Diese Trends mag man bedauern, aber was ist am Internet an sich bedrohlich? Es bietet dem sogenannten „einfachen Bürger“ die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung mit einer Chance zur allgemeinen Verbreitung. Finden Sie das vielleicht bedrohlich? Haben Sie vielleicht Angst vor Volkes Stimme? Befürchten Sie, die Stammtische im Internet zu finden? Ein Greuel für einen Anhänger strikter repräsentativer Demokratie.

 

Der Hammer ist allerdings, was Sie über die Piraten und die SPD sagen, Herr Schmidt. Bei allem Respekt, den ich Ihnen nun wirklich nicht versagen will, aber die Behauptung, die SPD habe sich zu viel mit Sozialpolitik befasst, gerade in den letzten Jahren, ist nur noch lächerlich. Wäre dem so, dann hätte die immer größer werdende Zahl der Menschen in der sogenannten bildungsfernen Unterschicht endlich wieder einen Fürsprecher bei ihren sozialen Problemen. Das wäre eine Rolle, die der SPD anstünde. Doch sie ist weiter dennje von ihr entfernt. Dass Sie selbst auch eher ein Wirtschaftsliberaler sind, ist ja allgemein bekannt, aber Sie tun Ihrer ehemaligen Partei wirklich unrecht, wenn Sie sie für eine ewig gestrige Partei der Sozialromantik einer Umverteilung von oben nach unten halten.

 

Ich finde, Sie haben diesem Lande lang genug gedient. Ruhen Sie sich aus und schreiben Sie noch ein Buch über Ihre Lebenserfahrungen.

 

Hier der Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“, der mich zu diesem Beitrag veranlasste.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Ein gefährliches Zukunftsmedium

  1. Jörg sagt:

    Immerhin regt die Meinung des alten Herrn zum Widerspruch an. 😉

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