Das Tätervolk des Martin Hohmann

Vor wenigen Tagen erhielt ich die Aufforderung, künftig die Behauptung zu unterlassen, der Ex-CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann habe „die Juden“ als „Tätervolk“ bezeichnet. Nach einer kurzen Recherche sagte ich dies zu. Begleitumstände, Spitzfindigkeiten und die Vorgehensweise gegen mich riefen allerdings meinen Kommentierungsgeist auf den Plan, zumal von mir die Begleichung einer Anwaltsrechnung von 500 Euro verlangt wird, was mir wegen meines ALG-II-Bezugs praktisch unmöglich ist. Auch die Spenden für dieses Blog werfen nicht genug ab für eine solche Zahlung. 🙂 Trotzdem lesen Sie bitte den folgenden Kommentar.

Ein ganzer Berufsstand lebt davon, dass einige von uns sich nicht gütlich einigen können oder wollen, ja dass es gar nicht erst versucht wird. Sie streichen Geld dafür ein, dass sie anderen Menschen drohen, noch bevor sie auf friedlichem Wege auf eine Unkorrektheit hingewiesen haben. Diese Berufsgruppe sind die Rechtsanwälte, sofern sie sich mit Unterlassungsklagen befassen oder befassen müssen. In einer zivilisierten Gesellschaft sollte vor die Tat, die Böswilligkeit unterstellt und nach monetärer Wiedergutmachung verlangt, das Wort treten. Aber so zivilisiert sind wir nicht.

Ich hätte den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann eigentlich längst wieder vergessen, wenn er sich mir nicht mit Hilfe einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für eine Anwaltskanzlei in Erinnerung gerufen hätte. In meinem Beitrag: „Die seltsamen Geschichtsthesen der Erika Steinbach“ hatte ich die sogenannte Hohmannaffäre herangezogen, um zu verdeutlichen, dass die Union im Gegensatz zu damals heute die Eskapaden von Erika Steinbach widerspruchslos duldet. Ich behauptete, tatsächlich fälschlicherweise, Martin Hohmann habe die Juden in einer Rede zum Tag der deutschen Einheit im Jahre 2003 als Tätervolk bezeichnet. Das hat er nicht getan. Aber ach: Hätte er mir doch einfach nur einen Brief mit der Bitte um Klarstellung geschickt, vielleicht mit dem entsprechenden Auszug seiner Rede, dann hätte ich mich entschuldigt und die Passage einfach geändert. Sein Anwalt hat dies in eloquenter, versierter und freundlicher Art und Weise auch getan, gleichzeitig aber mit einer 5000-Euro-Strafe gedroht und mich zur Zahlung der Anwaltskosten seines Mandanten verpflichtet. Deswegen muss Herr Hohmann nun hinnehmen, dass ich mich ausführlicher mit seinen Thesen befasse, selbst wenn es ihn kaum kümmert. Der arme Anwalt, den ich angesichts seiner Wortwahl für einen aufmerksamen und intelligenten Menschen halte, muss nun zäh um sein Geld ringen, weil man einem nackten Mann nun einmal nicht in die Tasche greifen kann. Ich unterstelle zu seinen Gunsten, dass er sich auch besseres vorstellen kann, als dauernd größtenteils vorgedruckte Unterlassungserklärungen zu verschicken, wo ein einfacher Anruf genügt hätte. Herrn Hohmann wird auch dies nicht kümmern, für ihn ist die Sache erledigt. Denn natürlich werde ich nie wieder behaupten, Martin Hohmann habe die Juden als Tätervolk bezeichnet. Er hat lediglich gesagt, man könne auch die Deutschen nicht als Tätervolk bezeichnen, weil bei der grausamen und brutalen russischen Oktoberrevolution sowohl in den Führungsgremien der Bolschewiki als auch bei den Erschießungskommandos des sowjetischen Geheimdienstes überdurchschnittlich viele Juden mitgewirkt hätten, die auch keiner als Tätervolk bezeichne. Kritiker werfen dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten eine geschickte Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen vor. Der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, Wolfgang Benz, führte wörtlich aus: „Das ist Goebbels pur, das kann man nicht anders sagen. Mit dem Stereotyp des jüdischen Bolschewismus haben die Nationalsozialisten Propaganda gemacht. Mit denselben Vorwürfen, die in der Rede von Herrn Hohmann als Tatsachenbericht vorkommen.“ Mehr muss man dazu wohl nicht sagen, oder?

Doch, man muss! Wir müssen endlich begreifen, dass wir auch und gerade jetzt die Rede von Martin Hohmann nicht vergessen dürfen, auch wenn ich sie beinahe vergessen hätte. Aber das ist falsch. Angesichts der Mordserie der zwickauer Terrorzelle und weiterer rechtsextrem motivierter Gewalttaten ist die Rede Teil des Nährbodens eines gesellschaftlichen Klimas, in dem Deutschland immer mehr und häufiger als Opfer ausländischer Begehrlichkeiten und ewiger, nicht enden wollender Schuldzuweisungen wegen 12 Jahren seiner Geschichte verstanden wird. Dieses Klima macht die Verbrechen des NSU zwar nicht erst möglich, aber es macht sie in größeren Gesellschaftskreisen ansatzweise Akzeptabel. Natürlich ist weder Martin Hohmann noch sonst eine Einzelperson des gesellschaftlichen Lebens Schuld an den Morden der Rechtsterroristen, zumal einige der Gewalttaten bereits vor der Rede Hohmanns begangen wurden. Doch diese Rede tritt der Ermüdung gegenüber den Schrecken von Gewalt- und Terrorherrschaft nicht so wirkungsvoll entgegen, wie man es von demokratisch gewählten, verfassungsttreuen Politikern und ihren Äußerungen erwarten darf und muss. Ja sie verschärft den Unmut in Teilen der Bevölkerung und nimmt eine Aufheizung des sozialen Klimas zumindest billigend inkauf. Die Rede stachelt nicht zu Taten an, sie ist zulässig, nicht verfassungsfeindlich und in keiner Weise ein Rechtsbruch. Sie zeigt nur eine Geisteshaltung, und zwar auf durchaus subtile und geschickte Art und Weise. Eine Geisteshaltung, die zumindest weg will von der These der Einzigartigkeit deutscher Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus. Und sie schürt Unmut, diese Rede, einen Unmut, der nicht nötig wäre, denn niemand, der ernstzunehmen ist, bezeichnet das deutsche Volk als Tätervolk. Nicht alle waren Mörder, nicht alle waren Mitläufer oder auch nur Sympathisanten. Eine Mehrheit warwohl, wie so oft, eine schweigende Mehrheit, solange sie ihre direkten persönlichen Bedürfnisse nach Kleidung, Brot und Arbeit befriedigen konnte. Dies mag man moralisch verachten, ein Verbrechen ist es hingegen nicht. Natürlich ist das deutsche Volk kein Tätervolk, da gibt es nichts zu relativieren, es bedarf keiner Gründe, warum man das jüdische Volk, wenn man denn wollte, ebenfalls als Tätervolk bezeichnen müsste, was ja niemand will, Gott bewahre!

Man muss diese Rede, die vor 9 Jahren gehalten wurde, vollständig lesen, um zu verstehen, dass es um viel mehr geht als die immer wieder zitierte Passage. Es geht z. B. darum, dass Martin Hohmann sich als Reaktion auf die wirtschaftliche Schwäche Deutschlands für die Verringerung der Entschädigung an jüdische Zwangsarbeiter und Überlebende des zweiten Weltkrieges einsetzt. Das könnte man noch als den Versuch zu sparen missinterpretieren, aber gleichzeitig fordert er, verpackt in eine Anfrage an die damalige Bundesregierung, Eine Entschädigung für deutsche Zwangsarbeiter aus Polen, Tschechien, der Slowakei und anderen Staaten Osteuropas. Es geht nicht um die schwache Wirtschaft, sondern um einen missverstandenen Gerechtigkeitsbegriff und mieses Aufrechnen. All dies drückt eine Geisteshaltung gegenüber deutscher Schuld und deutschem Nationalismus aus, die ich für bedenklich halte.

Martin Hohmann hat mich anwaltlich dazu aufgefordert, nicht mehr zu verbreiten und zu behaupten, er habe behauptet, das jüdische Volk sei ein Tätervolk. Dem komme ich gern nach. Er hat lediglich behauptet, und zwar im Rahmen einer Zwischenüberlegung, wie sein Anwalt ausführt, dass man „Juden mit einiger Berechtigung“ als Tätervolk bezeichnen könnte, was natürlich völlig absurd sei: „Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase (gemeint ist die erste Zeit nach der bolschewistischen Oktoberrevolution – Anmerkung von Jens Bertrams) nach der ‚Täterschaft‘ der Juden fragen. Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als „Tätervolk“ bezeichnen. Das mag erschreckend klingen. Es würde aber der gleichen Logik folgen, mit der man Deutsche als Tätervolk bezeichnet.“ Ich hoffe, Sie sind nun schlauer. Ach ja, Auch der Schluss, den Martin Hohmann zieht, soll Ihnen nicht verschwiegen werden: „Daher sind weder ‚die Deutschen‘ noch ‚die Juden‘ ein Tätervolk. Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts…“

Eigentlich müsste ich jetzt Anzeige gegen Herrn Hohmann erstatten. Ich bin Atheist, in seinem Sinne also gottlos. Ich bin 1969 geboren, war also zumindest 13 Jahre des 20. Jahrhunderts lang ein erwachsener und eigenverantwortlich handelnder Mensch. Martin Hohmann bezeichnet somit auch mich „mit vollem Recht“, wie er behauptet, als dem Tätervolk des 20. Jahrhunderts zugehörig, und zwar ohne dass er mir eine individuelle Schuld auch nur nachzuweisen versucht hätte. Aber ich gehöre eher zu den zivilisierten Menschen in diesem Land und erspare mir den Gang zum Anwalt, auch wenn es mir für dessen Geldbeutel leid tut.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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4 Antworten zu Das Tätervolk des Martin Hohmann

  1. Paula Grimm sagt:

    Hallo Jens,

    ich sag‘ einfach nur mal alles erdenklich Gute für den Verlauf der juristischen Angelegenheiten, wünsche viel Erfolg und Vergnügen bei der Arbeit!

    Liebe Grüße

    Paula Grimm

  2. Same here.
    Ich hatte zum Glück die FAZ an meiner Seite.

  3. Dieser Versuch, einen Kritiker zu knebeln, ist unverschämt und dreist. Das gilt umso mehr, als derjenige, der da so viel Wert auf seine „Wahrheit“ legt, selber mit den Wahrheiten der Geschichte sehr dreist umgegangen ist.
    Großer Respekt gilt dem Mut, dieses dreiste Vorgehen zu kommentieren. Der Anwalt, der sich für solch eine Vorgehensweise hergegeben hat, sollte sich schämen!
    Glücklicherweise gibt es auch andere VErtreter der Anwaltszunft.
    fjh

  4. alles Gute für die juristische Klärung, ich hatte diesen Ex-Abgeordneten schon längst vergessen, manchmal geht das Erinnern seltsame Wege. …

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