Im nahen Osten nichts Neues

Plötzlich tun alle so, als sei mit dem Gazakonflikt der letzten Tage ein neues Hochplateau der Eskalation im nahöstlichen Dauerkrieg erreicht, als strebe die Entwicklung einem dramatischen Höhepunkt entgegen. Das mag für die Medien spannend sein und hohe Gewinnquoten versprechen, es ist aber ebenso falsch wie moralisch verwerflich, eine solche Behauptung aufzustellen.

Wenn man sich den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern anschaut, dieses ewige Mahnmal politischen und menschlichen Versagens, diese Wunde, die unzählige andere weltpolitisch bedeutsame Auseinandersetzungen verursacht hat und bis heute prägt, dann muss man zu einer traurigen Erkenntnis gelangen: Dieser Konflikt ist nicht einfach lösbar. Einen Höhepunkt, der dann eine radikale Veränderung der Situation bewirken könnte, gibt es nicht, allenfalls viele traurige Höhepunkte aus Leid, Tod und Vernichtung, zynisch kommentiert von Politikern, Experten und Stammtischbesuchern, die alles immer schon besser wussten. Sie alle kaschieren nur die eigene Ratlosigkeit, ich selbst eingeschlossen. Ist der Leidensdruck unter der Bevölkerung nicht längst hoch genug, fragt sich der mitfühlende Mensch haareraufend, müsste man nicht längst zu einer Einigung kommen? Auf diese verzweifelte Frage kann man den gebildeten Zynikern getrost die Antwort überlassen: Der Krieg bietet allen machtvollen politischen Akteuren der Region und ihren Hintermännern Vorteile. Israels kriegstreibende Regierung sichert sich mit der äußeren Bedrohung die Wiederwahl und kann sich dafür bei der radikalislamischen Hamas bedanken, die Hamas selbst schweißt die Palästinenser in Gaza unter ihrer Führung zusammen, sichert sich die Unterstützung der umliegenden arabischen Staaten und kann unter der Flagge der gewollten Vernichtung Israels ihr politisch-militärisches Spiel fortsetzen und die eigene Bevölkerung beherrschen, ohne dass diese zum Nachdenken käme. Die Geldgeber im Iran, Syrien, Qatar und auf der anderen Seite in den USA werden ihre Rüstungsgüter los, nehmen Geld ein und tun in den Augen ihrer Bevölkerungen ein gutes Werk. Leidtragende sind lediglich die, die unter den Raketenangriffen aus Gaza und Tel Aviv leiden, die daran sterben und ihre Verzweiflung ungehört in die Welt schreien. Ihre Stimme ist weder laut noch mächtig genug, weiß der Zyniker.

Alle paar Jahre wieder, meistens vor Wahlen in Israel oder bei politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Palästinenser, wiederholt sich das Spiel. Raketen werden auf Israel abgefeuert, die Israelis antworten mit einem Bombenterror und gezielten Tötungen, schließlich vermutlich mit einer Bodenoffensive, Grausamkeit und Brutalität gegen den unschuldigen Teil der Zivilbevölkerung. Irgendwann wird es vermutlich zu einem Waffenstillstand kommen, einem Waffenstillstand, der das Papier nicht wert ist, auf dem er aufgeschrieben werden könnte, einem Waffenstillstand, der den Status vor Ausbruch der Kämpfe wiederherstellt. Bis zum nächsten Mal. Figuren und Gruppierungen sind dabei austauschbar, der Mechanismus der Gewalt aber bleibt unverändert.

Für uns Außenstehende scheint es oft so, als wolle niemand aus der Vergangenheit und den Erfahrungen lernen. Begreift Israel denn nicht, dass es diesen Krieg durch mehr Gewalt nicht gewinnen kann, weil das genau der Logik des Gegners entspricht und ihn nur bestätigt? Verstehen die Palästinenser denn nicht, dass es ihnen besser gehen würde, wenn sie mit Israel Frieden schließen würden? Und, eine speziell deutsche Frage an Israel: Warum habt ihr nichts aus der Judenverfolgung im dritten Reich gelernt und geht mit euren Gegnern so brutal um? Diese Fragen sind nicht zielführend, wie es im neudeutschen Managerjargon heißt. Den Nahostkonflikt kann man nicht mit einfacher Alltagsvernunft lösen. Es ist wesentlich mehr Wissen, Fingerspitzengefühl und Vertrauensbildung erforderlich, um überhaupt eine Veränderung zu bewirken. Am wichtigsten ist aber der politische Wille. Solange der nicht auf allen Seiten und bei allen beteiligten Parteien gleich groß ist, solange werden wir immer wieder neue spannende Sensationsmeldungen und angsteinflößende Prognosen ertragen müssen, wie es sie schon vor 40 Jahren gab.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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