„Die Queen“ und andere Gedanken

Ich bin ein Hörfilmfan. Mit Hörfilmen kann ich das Fernsehen genießen. Da ich dieses Wochenende allein bin, weil meine Liebste auf einem Konzertbesuch in NRW weilt, habe ich mal geschaut, ob ich mein Hörfilmrepertoir erweitern kann. Ein Film fiel mir auf: „Die Queen“ aus dem Jahre 2006. Offiziell ist der Film eine Satire und beschreibt das Verhältnis der britischen Königin Elisabeth II. zu Toni Blair zu Beginn seiner Amtszeit. Vor allem geht es um die Woche nach dem Tod von Prinzessin Diana.

Der Film ist fiktiv, trotzdem wird der Konflikt zwischen Blair und der Monarchin beschrieben. Blair, der moderne Medienmann, erkennt sofort nach Dianas Tod, welche Wellen er schlagen wird, er spricht von der „Prinzessin des Volkes“, der „Prinzessin der Herzen“ und trifft damit die Stimmung. Die Königin, die auf dem Protokoll beharrt, nach dem Diana schon kein Mitglied der Königsfamilie mehr war und deshalb eine Reaktion ihrerseits unnötig ist, versteht den Hype um die tote Prinzessin nicht, muss aber schließlich nachgeben.

Soweit der Inhalt in Kurzform. Neben der interessanten und gegensätzlichen Charakterstudie der Queen und Blairs waren es vor allem die Bilder der trauernden Menschenmassen, die in mir aufstiegen. Was haben die Medien Prinzessin Diana doch zu einer Ikone gemacht, und niemand konnte sich dem entziehen. Die ganze Welt trauerte mit, denn es waren die Medien, die sich sozusagen selbst die Schuld an ihrem Tod gaben, um damit Schlagzeilen und einen Skandal und Hype zu produzieren. Erst später stellte sich unbemerkt heraus, dass 2 Promille Alkohol und Medikamente im Blut des Fahrers den Unfall verursachten, bei dem die Prinzessin am 31. August 1997 in Paris ums Leben kam.

Ich kann mich noch an diese Trauerhysterie erinnern, und ich war selbst ein Teil davon. Wieder schlug meine Begeisterung für geschichtliche Augenblicke zu. Reihenweise wurden uralte Traditionen hinweg gefegt: Auf dem Buckingham Palace wehte eine Halbmastfahne, die Wachablösung musste verlegt werden wegen der vielen Blumen und Kränze, die Königin musste eine Fernsehansprache halten und am Trauergottesdienst für eine fast einfache Bürgerin teilnehmen. Einige sagten, die uralte britische Monarchie werde fallen. – Aber zwei bis drei Monate später, nachdem sich Elton Johns Lied „Candle in the Wind 1997“ so hervorragend verkauft hatte, sind wir alle aufgewacht und haben uns gefragt, was da eigentlich passiert ist. Wir wurden uns bewusst darüber, dass wir von Prinzessin Diana eigentlich nicht viel wussten außer den Skandalen, die die Medien verbreiteten, und dass sie für uns, seien wir nun Briten oder nicht, kaum eine Bedeutung gehabt hat. An ihr Engagement gegen Landminen wird sich die Geschichte erinnern, aber sonst? Damals glaubte man, Dianas Grab werde zum Wallfahrtsort, aber so weit ich weiß, ist es heute keine ständig besuchte nationale Gedenkstätte mehr.

An all das erinnerte mich der Film, an den Hype, von den Medien produziert und irgendwann wieder beendet, an die Manipulierbarkeit der Menschen, an unbegründete Trauer, an das Spiel mit der Macht von Wort und Bild. Und ich sah, wie die Queen im Film fassungslos dabei stand und die Beständigkeit und Kontinuität, also die Sicherheit wahren wollte. Und was ich damals bitter kritisierte, konnte ich heute besser verstehen, so wie sich auch Blairs Verhältnis zur Monarchin im Film langsam ändert.

Es ist Herbst, vielleicht kommen mir deshalb trübere Gedanken, wenn ich an diesen Film und diesen Hype denke. Wie manipulierbar sind wir eigentlich? Und: Wie viel Kraft und Macht hätten die Medien, wenn sie uns zum allgemeinen Aufruhr ermuntern würden? Sind sie es gewesen, die den NSA-Skandal nicht wirklich hochkochen lassen wollten?

Und immer wieder die Frage: Was bewegt uns? Für was interessieren wir uns? Die Frage, wie der neue Moderator „Wetten, dass…“ moderiert, oder ob der neue Boxweltmeister der alte Boxweltmeister ist, ist für viele von uns viel spannender als die Tatsache, dass in unserem Namen, um unseren Wohlstand zu sichern, hunderte von Flüchtlingen aus armen Ländern durch Nichtstun umgebracht werden, von unseren Grenztruppen, die mit der EU noch vor kurzem den Friedensnobelpreis bekamen.

Was mache ich aus diesen Widersprüchen? Wie gehe ich mit der Manipulierbarkeit um? Bin ich selber denn über diese Dinge erhaben? Nein, ganz und gar nicht. Als am 6. September 1997 über 2 Millionen Menschen in London trauerten, habe auch ich am Radio gesessen, ein paar Wochen später hatte dieses Ereignis für mich keine Bedeutung mehr. Aber eben nicht nur dieses Ereignis, auch Prinzessin Diana nicht, die als eine so besondere Person beschrieben wurde.

Reicht es, gegen Manipulierbarkeit anzuschreiben, anzudenken? Reicht es, im Nachhinein die Macht der Bilder und der Worte zu erkennen? Man müsste sich distanzieren, aber man darf nicht abstumpfen gegen das Leid der Welt. Und wer das nicht aushält, diesen paradoxen Widerspruch der heutigen Medienwelt, der vereinfacht sein Leben und sucht schnelle Lösungen für komplexe Probleme. Und vielleicht wählt er dann rechte Ideologien.

Es ist beunruhigend, nur unzureichende Lösungen zu haben, und gleichzeitig ist es zutiefst menschlich. Vielleicht ist meine eigene Medienarbeit im Ohrfunk so wenig erfolgreich, weil ich keinen Hype mitmachen will, weil ich sachlich bleiben will. Vielleicht bin ich selbst, auch in meinen Blogs, zu allergisch gegen Überfliegerei, Hypes und Sensationelles. Man kann kaum gefühlsmäßig Anteilnehmen an dem, was ich politisch so von mir gebe. Aber das ist mir lieber, als kurzfristigen Hypes nachzulaufen.

Als im Jahre 2011 die Katastrophe in Fukushima in war, kamen in meiner Heimatstadt viele Menschen zu Anti-AKW-Demos. Ein paar Wochen später, als die Medien das Thema abgeschaltet und durch die Vorgänge in Libyen ersetzt hatten, kam keiner mehr. Waren die Menschen keine AKW-Gegner mehr, oder waren sie es vielleicht nie? In Baden-Württemberg waren die Grünen über Nacht die stärkste Partei geworden, aber an dem Ergebnis der Bundestagswahl lässt sich ablesen, dass mit dem Ende des Themas Fukushima auch die Ähra grüner Regierung bald wieder vorbei sein wird. Eine von Medien gemachte grün-rote Regierung? Denken die Menschen jetzt nicht mehr grün, sondern wieder konservativ? Oder dachten sie nie anders und schlossen sich nur einem Hype an? Das Thema Fukushima ist zwar in den Medien abgefrühstückt, nicht aber in der Realität.

Ich weiß das alles und ich schreibe dagegen an, wieder und wieder, bis es den Leserinnen und Lesern zum Hals heraus kommt. Und dann, wenn ich weiß, dass es doch nichts ändert, nehm ich halt die Finger von der Tastatur, lese ein gutes Buch oder schaue einen interessanten Hörfilm: Einen Tatort beispielsweise, am liebsten die aus Münster oder Köln, oder eine ernsthafte Halbsatire. Neulich habe ich erst wieder so einen geguckt, er hieß: „Die Queen“…

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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