Die Affäre edathy

Seit mehr als einer Woche wird die Republik mehr und mehr vom „Fall Edathy“ und von der „Affäre Edathy“ heimgesucht. Zum einen handelt es sich dabei um die Frage, ob ein bekannter Bundestagsabgeordneter Kinderpornografie besaß, was nach deutschem Recht strafbar ist, zum Anderen geht es darum, ob er vor Ermittlungen gewarnt wurde, ob Regierungsmitglieder Geheimnisverrat und andere Politiker Strafvereitelung begangen haben. Und die über allem stehende Frage lautet: Wird die große Koalition es überleben? Dieser Fall ist so komplex, dass ich mich ihm in mehreren Beiträgen widme. Im ersten Beitrag behandelte ich den rechtlichen „Fall Edathy“, im zweiten wird es um die politische „Affäre Edathy“ gehen.

Als ob der Vorwurf an einen durchaus bekannten sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten, er besäße kinderpornografisches Material, nicht schon genug Staub aufwirbeln würde, kommt nun auch noch eine handfeste Regierungskrise hinzu. Selbst wenn sich die Wogen langsam glätten sollten, bleiben schwere Vorwürfe und ungeklärte Fragen im Raum. Wer hat warum Geheimnisverrat begangen? Wurde Sebastian Edathy selbst gewarnt? Wird die Affäre benutzt, offene Rechnungen zu begleichen, oder um politisches Kapital aus ihr zu schlagen?

2011 wurde die Internetfirma, bei der Sebastian Edathy sogenannte FKK-Bilder von Jungen bestellt hat, was in Deutschland an sich nicht strafbar ist, von den kanadischen Behörden ausgehoben, weil sie Teil eines kriminellen Netzwerkes zur Herstellung und Verbreitung kinderpornografischen Materials war. In den kommenden anderthalb Jahren wurden die Kundendaten gesichtet, ausgewertet und über Interpol an die Strafverfolgungsbehörden der einzelnen Länder weitergegeben. So kam das BKA in den Besitz von Kundendaten von 800 deutschen Kunden, deren Bestellungen nachvollzogen werden konnten. Im Oktober 2013 hatte die für das BKA arbeitende Zentralstelle Internetkriminalität der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ihre Vorermittlungen abgeschlossen und gab die Erkenntnisse über das BKA an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiter, im Falle von Sebastian Edathy an die Staatsanwaltschaft Hannover. Auch die Landeskriminalämter wurden informiert, und ebenso das Bundesinnenministerium. Ende Oktober teilte Bundesinnenminister Friedrich bei einem Gespräch zur Anbahnung der großen Koalition dem SPD-Vorsitzenden Gabriel mit, dass Sebastian Edathy auf einer internationalen Liste aufgetaucht sei. Friedrich behauptet, er habe keine Angaben über den Straftatbestand gemacht, weil er damit das Dienstgeheimnis verletzt hätte. Sigmar Gabriel stellt den Innenminister etwas auskunftsfreudiger dar. Egal, wer nun recht hat: Warum hat Hans-Peter Friedrich seine Informationen überhaupt an Sigmar Gabriel weitergegeben? Er musste doch befürchten, dass Sebastian Edathy von seinem Parteichef gewarnt worden wäre. Offenbar betrachtete Friedrich es als seine Pflicht, die SPD zu warnen. Edathy galt zu diesem Zeitpunkt als Kandidat für einen Minister- oder Staatssekretärsposten. Als Innenminister durfte Friedrich nur über seine Erkenntnisse sprechen, wenn es im öffentlichen Interesse gelegen hätte. Dass Deutschland eine stabile Regierung erhielt, lag sicher im öffentlichen Interesse. Man kann also im günstigsten Falle unterstellen, dass Friedrich sich nicht bei seinem künftigen Koalitionspartner einschleimen, sondern wirklich Schaden von der Regierung und von Deutschland abwenden wollte. Aber war in diesem Falle die Information an Gabriel der richtige Weg? Wenn man als Parteipolitiker denkt, dann ja. Die SPD suchte ihre Kandidaten für die Regierung selbst aus, und in der Praxis widerspricht der designierte Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin den Wünschen der Koalitionäre nicht. So musste man also die SPD warnen, Edathy gar nicht erst ins Kabinett zu berufen. Hätte Friedrich jedoch als Staatsmann gedacht, hätte ihm ein anderer Weg offen gestanden. Er hätte Angela Merkel informieren können, und die hätte bei der Bestellung der Minister und Staatssekretäre ihr Veto gegen Edathy eingelegt mit dem Hinweis, sie dürfe nicht weiter darüber sprechen. Oder der Bundespräsident hätte dies übernehmen können, der ja zumindest auch formell den Leumund künftiger Regierungsmitgliederprüft. Doch haben wir uns längst so sehr an das Parteiengeschacher gewöhnt, dass wir es kaum noch schaffen, außerhalb dieser Bahnen zu denken.

Ob der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in strafrechtlicher Hinsicht tatsächlich Geheimnisverrat begangen hat, lässt sich nicht so einfach klären. Dafür ist entscheidend, was er Sigmar Gabriel genau mitgeteilt hat, und zu welchem Zeitpunkt.

Innerhalb der SPD wurde die Information von Sigmar Gabriel an den damaligen Fraktionschef Steinmeier und den damaligen Fraktionsgeschäftsführer Oppermann weitergegeben. Dies an sich stellt keine Straftat dar, auch nicht, dass Oppermann im Dezember seine Nachfolgerin Christine Lambrecht informierte. Sie waren zu diesem Zeitpunkt keine staatlichen Amtsträger. Trotzdem könnte ihnen allen ein Ermittlungsverfahren drohen, denn die Vermutung steht im Raum, dass sie die Information über drohendes Ungemach an Sebastian Edathy weitergegeben haben, wodurch er Zeit gefunden hätte, beweiskräftiges Material zu zerstören. Diese Vermutung scheint sich durch die Tatsache zu erhärten, dass seit ende November ein Rechtsanwalt im Auftrag Edathys versuchte, bei verschiedenen Staatsanwaltschaften informationen über ein möglicherweise bevorstehendes Ermittlungsverfahren gegen ihn zu erlangen. Doch mögliche Quellen gab es mehr als genug. Da war der niedersächsische SPD-Innenminister, der auch schon bescheid wusste, da gab es Parteifreunde in Polizei- und Justizapparat. Es gibt aber noch eine, wenn auch unspektakuläre, Erklärung für das Wissen des Beschuldigten über ein bevorstehendes Verfahren. Mitte November gingen die kanadischen Behörden mit ihrem Fahndungserfolg an die Öffentlichkeit. In diesem Zusammenhang wurde auch von deutschen Medien darüber berichtet. Einiges spricht dafür, dass diese Medienberichte Edathys Quelle waren, denn kurz danach taucht sein Anwalt bei verschiedenen Staatsanwaltschaften auf. Nicht schon vorher, was durchaus möglich gewesen wäre, wenn er von Gabriel oder Oppermann informiert worden wäre. Auch die Tatsache, dass er sich überhaupt rührte, anstatt still alles Material zu vernichten und sich einfach als Mann mit einer sauberen Weste zu präsentieren, spricht für sein Erschrecken nach den Medienberichten aus Kanada. Wenn dem so wäre, dann hätten zumindest die SPD-Führungskräfte nichts unrechtes getan.

Anfang Januar meldete sich Edathy krank, und genau an dem Tag, an dem die Staatsanwaltschaft Hannover einen Brief an Bundestagspräsident Lammert schickte, um um die Aufhebung von Edathys Immunität zu bitten und über die Einleitung von Ermittlungen zu informieren, am 6. Februar 2014, teilte Edathy Lammert seinen Mandatsverzicht mit. 4 Tage später wurden Privat- und Büroräume Edathys durchsucht. Die SPD sprach von schwerwiegenden Vorwürfen, aber Edathy war kein Amtsträger in der Regierung geworden, alles hätte hier, bis auf ein paar Medienberichte, beendet sein können.

Warum gab SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am 13. Februar öffentlich bekannt, dass der damalige Innenminister Friedrich Sigmar Gabriel schon im Oktober rechtswidrig über den Verdacht gegen Edathy informierte? Warum setzte er sich und seine SPD-Kollegen dem Verdacht aus, Edathy gewarnt zu haben? War es, um Hans-Peter Friedrich eins auszuwischen? Um ihn loszuwerden? Um die CDU in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen? War es eine Art verquerer Wahlkampftaktik? – Wenn ja, dann ist sie gründlich nach hinten losgegangen. Nicht nur geriet die SPD-Führung unter scharfen Beschuss aus den Reihen der CSU, man warf Oppermann, Steinmeier und Gabriel Geschwätzigkeit vor, sondern die Union verlangte eidesstattliche Erklärungen, dass die drei Großen der SPD Edathy, bei dem kaum etwas verwertbares gefunden wurde, nicht gewarnt haben. Friedrich musste wegen Geheimnisverrat zurücktreten, Angela Merkel duldete keine offensichtlichen Rechtsverstöße, aber in der Union verlangt man nun auch einen Kopf aus den Reihen der SPD. Thomas Oppermann bietet sich da geradezu an, weil man ihm ein weiteres Fehlverhalten nachsagen kann. Auch das hätte unter dem Teppich bleiben können, wenn Oppermann es nicht selbst berichtet hätte. Er habe sich von BKA-Präsident Jörg Ziercke die Verdachtsmomente gegen Edathy bereits letzten Oktober bestätigen lassen, teilte Oppermann in seiner geschwätzigen Presseerklärung vom 13. Februar mit. Warum tat der Volljurist Oppermann das? Er hätte wissen müssen, dass ihn das angreifbar macht, auch übrigens seinen Parteifreund Ziercke, der sofort widersprach: Er habe Oppermann zwar zugehört, sich aber während des Gespräches zur Sache nicht geäußert, sagte Ziercke, wie es sein Amt verlangt. Vermutlich wird man nicht herausfinden, ob das stimmt. Es ist kaum vorstellbar, dass die beiden, die sich offenbar recht gut kennen, nicht zumindest persönlich über den Fall Edathy gesprochen haben. Was also sollte dieser Fauxpas des SPD-Fraktionsvorsitzenden, der weder als Wahlkampfhilfe, noch als Beliebtheitsspritze und schon gar nicht als Vorwurf gegen die Union taugt?

Offenbar kalkulierte man in der SPD mit einem üblichen Verhaltensmuster. Wenn ein Politiker auch nur in den Verdacht gerät, als könnte er etwas unrechtes getan haben, dann muss er meistens zurücktreten, lange bevor es erwiesen ist. Nicht einmal Hans-peter Friedrich, bis letzte Woche Landwirtschaftsminister, hätte wirklich zurücktreten müssen, wenn man den Grundsatz des Rechtsstaates ernst nehme, demzufolge jeder Beschuldigte bis zum Beweis des Gegenteils unschuldig ist. Eine bloße Vermutung reicht für einen Schuldspruch nicht aus. So wie der Kinderpornovorwurf Sebastian Edathys persönliche und politische Karriere zerstörte, ohne dass bislang ein Gerichtsurteil gegen ihn vorliegt, so zerstörte der Verdacht des Geheimnisverrats die Ministerstellung Friedrichs. Vielleicht wollte die SPD so viel Lärm um Friedrich machen, dass niemand auf die Idee käme, zu fragen, ob die Großen der Partei Edathy gewarnt haben. Frei nach dem Motto: Beschädige das Image deines politischen Gegners, damit dein eigenes nicht beschädigt werde. Vielleicht denke ich aber auch nur zu kompliziert.

Während sich die Vorwürfe gegen Sebastian Edathy zu erhärten scheinen, spätestens nachdem er nach seinem Mandatsverzicht seinen Dienstrechner als gestohlen meldete, der auch bislang nicht wieder auftauchte, spricht kaum noch jemand über die Opfer, die Kinder nämlich, deren persönliche Existenz schon in sehr jungen Jahren massiv zerstört wurde. Es geht jetzt um das Überleben der und um das Vertrauen in der großen Koalition. Mittlerweile sagen Parteifreunde, Edathy habe ganz klar von bevorstehenden Ermittlungen gegen ihn gewusst, oder es zumindest geahnt. Das rückt die Frage nach der Quelle der Information wieder in den Mittelpunkt. Zusammen mit der forderung nach eidesstattlichen Erklärungen oder nach Oppermanns Kopf ist das eine ungute Melanche aus Problemen für die Genossen. Gerade auch weil sich nie klären lassen wird, ob überhaupt jemand, und wenn ja, wer, geplaudert hat. Fest steht jedenfalls, dass niemand aus dieser Affäre mit einer weißen Weste herausgehen wird. Das Vertrauen ist nicht nur innerhalb der Koalition erschüttert, sondern auch, wiedereinmal, zwischen Bürger und Regierung, oder, noch schlimmer, zwischen Bürger und Politik an sich.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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