Die Superlinken, die Fußballrassisten und ich

Ganz Deutschland ist im Weltmeisterfieber. – Ganz Deutschland? – Nein! Eine kleine, äußerst aggressiv polemisierende Gruppe linker Miesmacher und Spaßbremsen betrachtet die Feier zum Gewinn der Fußballweltmeisterschaft als eine nationalistische, faschistische und zur Gehirnwäsche ausgerichtete Propagandaveranstaltung. Manchmal glaube ich, sie wissen gar nicht, was Faschismus und Nationalismus wirklich bedeutet, sie werfen nur mit Schlagworten um sich, und ihre Sprache ist dabei mindestens so gewaltsam wie das System, das sie verdammen. Und ich frage mich, worüber solche Leute sich wohl freuen würden, und bei welchen Veranstaltungen sie wohl in Jubel ausbrechen.

Seit 2006, seit der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland, sprechen viele Medien hierzulande von einem neuen, unverkrampften Wir- und Nationalgefühl. Unverkrampft deshalb, weil nicht jede Freude über den Sieg einer deutschen Sportmannschaft wegen der Nazi-Greuel verboten ist, sondern weil man auch mal die deutschen Farben zeigen kann, ohne gleich in Verdacht zu geraten, bei der nächsten Wahl die NPD zu wählen oder den Holocaust zu leugnen. In anderen Ländern, so sagen diese deutschen Medien, geht man mit den eigenen Erfolgen viel unverkrampfter um, freut man sich viel hemmungsloser, lobt die eigene Nation über den grünen Klee, ohne sich dafür schämen zu müssen, und ohne andere Nationen gleichzeitig zu erniedrigen. Die Deutschen hätten während des Sommermärchens 2006 endlich gelernt, das ebenfalls zu tun und Sport nicht mehr mit Politik zu vermischen. Schon damals gab es aber auch kritische Stimmen. Je weiter man links im politischen Spektrum stand, desto eindeutiger und radikaler lehnte man die Freude über eine gelungene sportliche Leistung der Nationalmannschaft ab. Bei einigen
Internetaktivisten, die ich seit damals wegen ihrer kritischen und oft treffenden Berichterstattung über politische Themen lese, beobachte ich seither einen äußerst aggressiven und teils militanten Ton, wenn Deutschland im Fußball gewinnt. Der Sieg bei der Weltmeisterschaft 2014 ist für diese Leute ein rotes Tuch, sie sehen den Faschismus auf dem Vormarsch. Der Empfang der Weltmeistermannschaft auf der berliner Fanmeile ist für sie ein Naziaufmarsch wie auf dem nürnberger Parteitag, und die Berichterstattung in der ARD, die zugegeben aus jeder Bewegung eines offenen Busses eine Sensationsmeldung machte, gilt ihnen als nationalistische Veranstaltung zur Gehirnwäsche. Mit diesem Sieg soll ihrer Meinung nach das Wir-Gefühl einer faschistischen, rassistischen, egomanen Nation beschworen werden, und gleichzeitig werfen sie der Regierung vor, den nationalistischen Taumel für ihre Zwecke zu nutzen, um neue, volksschädliche Maßnahmen im Eilverfahren durch die Parlamente zu bringen, ohne dass sich der Protest der aufrechten Demokraten regen könnte. Und die einzig aufrechten Demokraten in diesem Land sind selbstverständlich diese linken Kräfte, die sich natürlich nie über einen Sieg im Fußball freuen und nie die plumpe Proletenkumpanei der Unterschicht teilen würden. Für diese linken Demokraten zeigt Deutschland im Fußballtaumel seine wahre, militante und nationalistische Fratze.

Natürlich kann man sich darüber streiten, was die Erfolge der Nationalmannschaft heutzutage wert sind. Die Fifa scheffelt Milliarden, es gibt auch im Sportmanagement Korruption und Kriminalität. Außerdem gibt es tatsächlich Themen, die man bei dem ganzen Siegestaumel einfach nicht vergessen darf. Der Nahost-Konflikt, der Ukraine-Konflikt, die NSA-Katastrophe, die NSU-Katastrophe, die Menschenrechtslage in China, Nordkorea, Russland, den USA, Israel, Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien, der Krieg im Irak, der Krieg in Afghanistan, der Tod der Demokratie in der EU und die Flüchtlinge vor Lampedusa sind einige, aber nur einige Beispiele dafür. Doch was ist das für eine Ideologie, die keine Freude mehr erlaubt, solange solche Probleme bestehen? Außer der heimlichen Freude natürlich, wenn ein Repräsentant der verhassten westlichen Ordnung entführt oder getötet wird. Man kann sich auch über den Sieg einer deutschen Mannschaft bei einem internationalen Sportwettkampf freuen, ohne dabei zu glauben, dass „wir deutsche“ die Herrren der Welt sind.

1954, beim Wunder von Bern, hatte die deutsche Nachkriegsgeneration erstmals wieder einen Grund zur Freude. Man konnte sich mit Sportlern identifizieren, nicht mit Politikern und Soldaten. Man konnte sich freuen, den Alltag verschönern, der damals auch in Deutschland nicht gerade einfach war. Dass die deutschen Fans nach der Siegerehrung in Bern laut und deutlich die erste Strophe des Deutschlandliedes sangen gilt vielen linken Kritikern bis heute als Beweis für einen sofort wiedererstarkten Nationalismus. Für mich ist es der Beweis dafür, dass die neue Hymne bei den Menschen, die ihren Alltag bewältigten, noch nicht im kollektiven Gedächtnis angekommen war. Und natürlich gab es noch genug Rassisten, die gar nichts anderes singen wollten. Aber für viele Menschen war dieser Sieg nichts anderes als ein Grund zu einfacher, unideologischer Freude. Eine Fußballmannschaft aus Amateuren hatte einen großen Sieg errungen. Die Spieler verdienten keine Millionen, viele von ihnen sind verarmt gestorben. Sie spielten aus Liebe zum Sport.

60 Jahre später ist man in Brasilien, einem armen Land Südamerikas, voll des Lobes für die deutsche Fußballnationalmannschaft und für ihre Betreuer. Die Deutschen, so sagt man dort, hätten sich wirklich für das Land interessiert, hätten mit den Brasilianern gemeinsam gefeiert, wären wunderbare und achtungsvolle Sieger gewesen, hätten für alle Dienstleistungen lokaleUnternehmen und Personen angeworben und sie anständig bezahlt, hätten in der Nachbarschaft ihres Camps Schulen und andere Infrastrukturmaßnahmen unterstützt und würden dies nach der Weltmeisterschaft fortsetzen. Die argentinischen Endspielgegner bescheinigten dem deutschen Team Fairness; Das Team habe für die in Würde unterlegenen Argentinier Spalier gestanden bei der Siegerehrung. Das alles zeugt für mich nicht von nationalistischer und rassistischer Überheblichkeit, und mit Faschismus und Eroberungsmentalität hat es meiner Ansicht nach schon gar nichts zu tun.

Militant, überheblich und aggressiv ist lediglich die Sprache jener Aktivisten, die zu miesepetrig sind, um selbst Lebensfreude über ein politisch unbedeutendes Ereignis empfinden zu können, die alles und jedes durch die ideologische Brille sehen müssen, und die ihre Angst vor dem Faschismus mit faschistischer Aggressivität, Überheblichkeit und Ignoranz unter die Menschen bringen wollen. Sie halten sich selbst für die einzig klar denkenden Menschen in Deutschland und stellen sich damit in grenzenloser Überheblichkeit über den Rest. In einem Satz: Sie tun, was sie den anderen Menschen vorwerfen. Und sie verharmlosen die Greuel des Naziregimes selbst in unverantwortlicher Weise, wenn sie sie mit dem verrückten, naiven, schlimmstenfalls weltfremden Taumel von Menschen gleichsetzen, die eine Fußballmannschaft empfangen, auch wenn dieser Empfang minutiös im Fernsehen übertragen und kommentiert wird.

Keine Frage: Es wäre wunderbar, wenn sich die Menschen außer für Fußball auch für den Protest gegen Ungerechtigkeit, für Demokratie und Frieden einsetzen würden, wenn auch diese Themen solche Massen auf die Straße brächten. Es ist ernüchternd, wenn nur der Fußball oder eine andere derartige Volksbelustigung Menschen noch bewegt. Es sagt viel aus über den Zustand der Gesellschaft, in der wir leben. Doch die richtige Art, damit umzugehen, ist nicht, den Sieg der DFB-Auswahl und den pompösen Empfang der Spieler als Nationalismus zu brandmarken, sondern nach Wegen zu suchen, wie sich die Menschen auch für andere Themen begeistern lassen! Man könnte nämlich die Teilnahmslosigkeit der Massen an den Protesten der humor- und freudlosen Linken auch als deren Versagen interpretieren.

Meine Leseempfehlung:
Die Zukunft, der Fußball und ich

Nachtrag: Dass Fußballfans bei einer Siegesfeier sich darüber freuen, dass die Gegner geschlagen vom Platz gingen, ist für mich kein Rassismus. Ob es schön ist, ist eine andere Frage, nämlich die Frage des guten Geschmacks. Interessant ist, dass die Leute, die sich jetzt darüber aufregen, dies in anderen Ländern oft für völlig normal halten, oder zwischen Vereinen innerhalb einer Nation.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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5 Antworten zu Die Superlinken, die Fußballrassisten und ich

  1. Stefan Steib sagt:

    Ich sehe die Bilder, schalte um sehe das Gleiche, die Leute jubeln , sind auf den Straßen. Die Weltmeister kommen.

    Ja, schön. Noch schöner wäre es wenn diesen gleichen Leuten ihr eigenes Leben nicht offensichtlich vollkommen egal wäre, denn ihre Freiheit, ihre Rechte und ihre eigene Gesundheit und Zukunft für sie , ihre Kinder und alle nach uns steht auf dem Spiel. In Europa tobt Bürgerkrieg in der Ukraine, in Syrien ist Bürgerkrieg. in Israel werden die Palästineser hingemetzelt.

    Egal, Hauptsache Deutschland ist Fußball Weltmeister. Dafür haben die Leute Zeit.

    Jubeln ist doch so viel schöner als sich wehren…..

    Das letzte Mal als die Deutschen so gejubelt haben, waren danach ca 20 Mil Menschen gestorben und ganz Europa verwüstet.

    Na viel Spaß noch…..

  2. Vater Seidenzopf sagt:

    Bei den Deutschfeinden ist nebenbei verwunderlich, dass sie ueberhaupt noch hier abhaengen und sich ueberhaupt noch mit Deutschen abgeben um nicht zu sagen gar noch deutsche Freunde haben – sehr widerspruechlich das, aber mal kukken ob sie vielleicht nicht doch noch irgendwann ihrem Land nachwein… STOPP! … fast haette ich es wieder getan… 🙂
    Leider hatte ich ja auf der Seite von FJH versprochen Euch beiden meine speziellen Kommentare, Links und Videos zukuenftig zu ersparen.
    Sehr schade – ich haette etwas zur NSU-Katastrophe – mehr als nur ein NSU-Klops – aus Kambodscha sozusagen – Radio/TV/Zeitung interessiert das eh nicht mehr sonderlich und wie das Sprichwort sagt: „Wer nicht fragt bleibt dumm“, obwohl ich bedingt daran zweifele, das die Medien wirklich so dumm sind, sondern wohl eher die drei Affen spielen – und Google taugt ja auch nix mehr – aber gut, versprochen ist nun mal versprochen. 🙂
    Na ja, bleiben wir eben beim Fussball. 🙂
    Jogi Loew soll ja eine Quenelle gemacht haben. Es kursieren entsprechende Bilder. Sehr lustig das! 🙂

  3. mozart2006 sagt:

    Also in der Siegesfeier die ich gesehen habe wurden ein Sohn polnischer Eltern als bester Mann gefeiert und ein anderer feierte seine Stadt, Köln. Ein Sohn eines ghanaischen Vaters verkündete seinen Stolz darüber Berliner zu sein. Nicht zuletzt die Söhne tunesischer und türkischer Eltern, als Teil unserer, der deutschen Nationalmannschaft, wurden von unserem homosexuellen Bürgermeister in unserer buntesten und wiedervereinten Stadt gefeiert. Das ist nicht weltoffen? Das ist nicht tolerant? Also mich macht es stolz! Lasst sie feiern und in die Bücher eintragen zu denen ihr niemals Zugang haben werdet!

  4. Llarian sagt:

    Eins vorab: Ich mag Fußball nicht. Ich bin, soweit es geht, der WM ausgewichen.

    Aber ich sehe eine solche Veranstaltung auch nicht ganz unpolitisch, denn sie kann Menschen verbinden. Ich freue mich für die, die die Spiele genossen haben. Wie du geschrieben hast, wurde die deutsche Mannschaft sehr gelobt wegen ihres Interesses für Land und Leute, wegen der Unterstützung, die sie geleistet hat. DAS ist sehr positiv. Sportlich-fairer Wettkampf, verbunden mit positiven Aktionen für das Gastland, reißt die Fans ebenfalls auf positive Art und Weise mit und erzeugt eine Stimmung, die einem negativen, abgrenzenden Nationalismus entgegenwirkt.

    Ja, die extreme Linke sieht wieder das Gespenst des Faschismus. Aber das sehen sie ohnehin hinter jedem Strauch. Sie ergötzen sich daran, Nazis zu sehen, wo keine sind. Sie brauchen die Rechten zur Abgrenzung, zur eigenen Identitätsfindung. Dabei merken sie nicht einmal, daß ihre eigenen Methoden selbst schon deckungsgleich mit denen der Faschisten der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts sind. In dieser Hinsicht scheinen etliche an einer dissoziativen Störung zu leiden.

  5. Sabienes sagt:

    Naja, sagen wir mal so: der Auftritt der Jungs war wahrscheinlich nicht das feinsinnigste und intellektuellste, was es an diesem Tag gleich nach dem Auftritt von Helene Fischer zu sehen gab.
    Aber ich gebe dir in allen Punkten Recht. Und wer hier von Rassismus redet, hat nicht begriffen, was Rassismus überhaupt bedeutet. Wahrscheinlich leistet man damit dem rechten Flügel sogar Vorschub.
    Liebe Grüße
    Sabienes

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