Wir müssen die Politik von den Parteien zurückfordern

Am Sonntag gab es 2 Landtagswahlen, nun wird darüber geredet und gestritten. Business as usual heißt das, denn die Sprechblasen der Politiker sind mir und vielen Bürgern bekannt, bevor die Mächtigen den Mund öffnen. Und die Mächtigen wissen es, aber es stört sie nicht, auch nicht mit der AFD im Rücken.

Kann man eine Partei wie die AFD ignorieren? Stört es irgendwen, dass nur noch die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger zur Wahl geht? Wäre eine linke Regierung, die dank unseres Wahlsystems in Thüringen möglich wäre, eine Alternative für die Zukunft? Das wären für mich drei zentrale Fragen nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen am vergangenen Sonntag. Doch nichts davon ist ernsthaft Thema in Erfurt, Potsdam oder Berlin. Der Wahlausgang war ebenso vorhersehbar wie die niedrige Wahlbeteiligung, das gute Abschneiden der AFD und die Reaktionen der Politiker auf allen Ebenen. Nichts ist überraschend, und auch dieser Beitrag ist es nicht. Oder doch?

Ich mag keine Verschwörungstheorien. Wer demokratie, Fair Play und Chancengleichheit in der Politik einfordert und ernst nimmt, muss sich gegen die Geschichten wehren, die meist aus der rechten Ecke kommen und zu Zorn, Hass und manchmal zu Gewalt aufrufen. Aber heute habe ich eine Verschwörungstheorie anzubieten, und die geht so:

Heutzutage sind Parteien wie Konzerne. Sie wollen an die Macht, denn Macht bedingt Geld. Um Geld geht es, nicht um Ideale. Wer an der Macht ist, kann seine politischen Köpfe, die Shareholder der Partei, mit Gewinnen versorgen, auf Kosten des Gemeinwesens versteht sich. Eine Partei, die ein funktionierendes Geschäftsmodell, also eine momentan gut ankommende Ideologie, für sich entdeckt, hat bei Wahlen gute Chancen und kann Geld einfahren. Die AFD ist so ein Beispiel. Sie kam aus dem Nichts, ihre Erfinder trafen den Nerv der Zeit, jetzt sitzen sie bereits in einigen Landtagen, und wenn sie es besser als die Piraten schaffen, ihren Hype noch ein paar Jahre aufrecht zu erhalten, sitzen sie 2017 im Bundestag. Dann sind sie angekommen, könnten sich an der Bundesregierung beteiligen und nebenbei noch ein paar ideologische Punkte machen, obwohl jeder weiß, dass eine Partei, wenn sie erst einmal an der Regierung ist, in der Wählergunst absackt. Es sei denn, sie tut gar nichts, aber dieses Geschäftsmodell hat schon die CDU mit Angela Merkel gepachtet und als Patent beim Wähler angemeldet.

Ganz schlecht geht es da den Sozialdemokraten, denn deren Geschäftsmodell Schröder ist gescheitert, und die Konzernspitze wirkt farblos und verbraucht, hat überhaupt keinen Sexappeal und kann in keinem Politikfeld punkten. Gleiches gilt für die FDP. Das könnte man so jetzt noch ein weilchen fortsetzen, aber ich bin noch nicht fertig.

In diesem Zusammenhang sind Wahlen zwar notwendig, aber es ist vollkommen egal, wieviele Menschen zur Wahl gehen. Es geht nicht wirklich darum, für die Bevölkerung die bestmöglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen, sondern es geht um Macht und Geld. Wer als Idealist in die Politik geht, hat nach wenigen Jahren den Burn-Out. Deshalb kann eine Ministerpräsidentin, wie nach der thüringer Wahl geschehen, auf Fragen von Journalisten einfach nicht eingehen, sondern ihren vorbereiteten Text abspulen, egal wie die Frage lautete; Deshalb kann die SPD sich über die rot-rot-grüne Option einfach hinwegsetzen, obwohl sie aus taktischen Gründen im Wahlkampf damit geliebäugelt hat. Sie wollte mit Unentschlossenheit Stimmen und damit Geld fangen, und sie hat es falsch angefangen.

Früher spiegelten Parteien verschiedene Strömungen innerhalb der Bevölkerung wider. Sie kanalisierten und bündelten diese Strömungen und versuchten, möglichst viele Menschen für ein Programm zu begeistern. Am Ende stand immer schon der Wille zur Macht, aber dieser Wille hatte zumindest teilweise noch Inhalte. Heute ist das anders geworden. Aber vielleicht spiegelt auch das den Zustand einer unpolitischen, ängstlichen, schikanierten Arbeitsbevölkerung wider, und die resignierende Gleichgültigkeit derer, die zu alt sind, um an unpolitische Karriereoptionen zu denken, und deren Hoffnungen sich wieder einmal nicht erfüllten.

Wenn dem aber so ist, dann ist das Prinzip der Demokratie in Deutschland gescheitert, Nicht nur praktisch, sondern auch geistig. Die Reaktionen der Politiker nach den Landtagswahlen, die sich fast alle vorhersehbar als Gewinner in irgendeiner Weise sahen, zeigen das deutlich. Den Wähler und dessen Willen zu ignorieren, einfach die vorbereiteten Sprechblasen abzusondern, das Theater einfach weiterzuspielen mit den ewig gleichen Platitüden der Macht, das ist schon keine Postdemokratie mehr, das ist mediale und ökonomische Oligarchie.

Und doch! – Doch kann man nicht aufhören, für Mitbestimmung, für Demokratie, für die Mündigkeit der Bürger zu streiten. Doch bleibt die soziale Frage seit ewigen Zeiten das zentrale Thema aller Politik, doch muss sich der Mensch als Mensch immer und immer wieder mit lauter Stimme in den Mittelpunkt politischen Handelns drängen. Jeder Einzelne und alle zusammen, durch Wahlen und Abstimmungen, durch Demonstrationen und Diskussionen, durch Ortsvereine und soziale Netze, durch Bildung, Anteilnahme und Wachsamkeit; Und vor allem durch Mitmenschlichkeit, Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen.

Wir müssen die Politik von den Parteien zurückfordern!

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Wir müssen die Politik von den Parteien zurückfordern

  1. Walter sagt:

    Das Fazit trifft vollkommen zu. Es wird keine Politik mehr gemacht, also die Zukunft gestaltet, Rahmenbedingungen für das Wohl der Bevölkerung geschaffen, das sind die sozialen Aspekte aber auch wirtschaftliche Grundzüge. Daneben tritt der Aspekt der Verantwortungslosigkeit der Politiker für ihre Handlungen in ihren Funktionen und bei ihren Posten, welches abgeschafft gehört. Steuerverschwender gehören genauso belangt, wie Steuerhinterzieher. Politische Massnahmen sollten dem gesunden Menschenverstand entsprechen und nicht nur mit Scheinargumenten durchgeführt werden. Probleme sollten in ihren Ursachen gelöst werden und nicht nur bei den Symptomen.

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