Kinder an die Macht

Bei den Kindern und Jugendlichen erfreut sich Rot-grün mitten im Wahlkampf immer noch großer Beliebtheit. Bei den u-18-Wahlen gab es einen klaren Sieg für die amtierende Regierung.

Nach dem heute veröffentlichten vorläufigen amtlichen Endergebnis dieser Abstimmung, an der sich rund 46000 Jugendliche beteiligten, kam die SPD auf 38,80 %, die CDU-CSU auf 16,47 %, die Grünen auf 14,01, die Linkspartei auf 11,49 und die F. D. P. auf 5,83 % der abgegebenen Stimmen. So weit, so gut. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries freut sich denn auch zurecht über dieses gute Ergebnis für rot-grün und vermerkt das in ihrem Wahlblog. Aber hier bleibt sie, wie es im Wahlkampf üblich ist, plötzlich stehen. Eine wichtige Zahl nämlich hat die Bundesjustizministerin offenbar nicht gelesen, obwohl ich sie fast noch wichtiger finde als den rotgrünen Wahlerfolg. Könnten die Jugendlichen heute mitwählen, so würden 6,69 % von ihnen die NPD wählen. Die rechtsradikale Partei wäre mit rund 40 Abgeordneten im Kinderbundestag vertreten, wenn es ihn denn gäbe. Diese Zahl ist wirklich erschreckend.

Ich komme aus Solingen, jener Stadt, die 1993 durch den fürchterlichen Brandanschlag auf die türkische Familie Genc so traurige Berühmtheit erlangt hat. In einigen Stadtteilen, vor allem in Ohligs, gibt es unter Kindern und Jugendlichen einen immer größer werdenden Anteil von rechtsradikalen und Neonazis. Dieses Phänomen sollte man nicht unterschätzen. Sicher spielen dabei die Lebensumstände der Familien eine gewaltige Rolle. Arbeitslosigkeit, Gewaltbereitschaft und ähnliches. Es ist meistens nicht so sehr eine Ideologie, die die Kids zum rechten Rand treibt, vielmehr der Wunsch nach Opposition, nach Gewalt, nach Ordnung und Führung. Diesem Wunsch wird durch das gelebte Gegenteil Ausdruck verliehen. Ich habe das in meiner eigenen Familie bei Jugendlichen bemerkt. Solange sie ohne Führung waren, hingen sie rechtem Gedankengut an. Wenn aber jemand, wie meine Mutter es hervorragend konnte, die Führung übernahm, vertrauten sie sich ihr an, solange es nicht wirklich zu spät war. In unserer Familie haben die rechtsgerichteten Kinder beim Tod meiner Mutter fast am meisten um sie geweint, die sie eher linksorientiert war, aber einen klaren, festen, freundlichen Führungsstil hatte. In den Schulen fallen oft Stunden aus, die Kids sind sich selbst überlassen, die Lehrer werden der Bewaffnungssituation, dem multikulturellen kriminellen Treiben auf dem Schulhof nicht mehr Herr. Und nun bin ich nicht etwa dafür, die Prügelstrafe wieder einzuführen. Aber ich denke, dass mehr Personal, kleinere Klassen, wirkliche Beschäftigung mit Einzelschicksalen der Kinder, Vertrauen schaffen, Ideenvermittlung zum Thema Freizeitgestaltung, vermitteln sinnvoller gesellschaftlicher Tätigkeiten ein Lösungsansatz wäre, den man verfolgen könnte. Heute suchen fast sieben Prozent der Kinder und Jugendlichen Halt bei rechtsradikalen, ordnungsliebenden und auf dem Führerprinzip aufgebauten Parteien. Bald mögen es viel mehr sein. Wehret den Anfängen und nehmt die Kinder und Jugendlichen wieder an die Hand, führt sie, schafft vertrauen und erzieht sie zu selbstständigen, demokratischen und verantwortungsbewussten Mitgliedern unserer Gesellschaft, auch wenn es ein wenig Arbeit und Geld kostet! Sie werden es euch danken.

Und der erste Schritt, Frau Ministerin Zypries, wäre, darüber zu sprechen!

Copyright © 2005, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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2 Antworten zu Kinder an die Macht

  1. Das Nest sagt:

    Außer dem, was Du schon geschrieben hast, drängt sich immer mehr auch noch ein anderes Phänomen bei der Hinwendung von Jugendlichen zu rechtsradikalen Parteien in den Vordergrund: Etwas, das wunderbar zur Spaßgesellschaft paßt: eine rechte Rockkultur. Politik ist nicht trocken, sondern singbar und macht Laune! Und außerdem haben die rechten aus alten Fehlern gelernt und beziehen auch die Frauen und Mädchen in ihr Kalkül ein. Da sehe ich die Hauptgründe, nicht in erster Linie beim Wunsch nach Ordnung, wobei auch das natürlich eine Rolle spielt.

  2. Die rechte Rockkultur? Mag sein, aber die äußert doch Dinge, die man sich in seinem Kopf auch denkt, zurechtgelegt hat. Und was die Inhalte angeht, die haben sehr viel mit Ordnung und Führung, aber auch und ganz oft mit Perspektivlosigkeit zu tun, was letztlich wieder auf Ordnung und Führung hinausläuft.

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