Update – Radio im festen Sendeformat

Seit September 2005 mache ich regelmäßig Internetradio. Aber an den beiden letzten Tagen habe ich erstmals erlebt, wie die Redaktion einer Sendung abläuft, die ich nicht selbst in tagelanger Kleinarbeit gestalten kann.

Als ich im letzten September bei Milina-Radio anfing, hatte ich eine wöchentliche Sendung. Das Infocafé war und ist wieder ein vertiefendes Magazin zu ein bis höchstens drei Themen, und es hat zwei Stunden Länge. Ich war und bin selbst für die Sendung verantwortlich. Ich suchte mir ganz allein die Interviewpartner aus, führte die Interviews bei Zeiten und konnte es mir oft leisten, die Sendung vorzuproduzieren. Das war und ist ein angenehmes, langsames und vertiefendes Arbeiten.

Seit ich nun bei Ohrfunk bin, hat sich einiges geändert. Jeden Tag, also zumindest von Montags bis Donnerstags, gibt es Abends das Magazin „Update“. Nun sind wir alle ehrenamtlich arbeitende Leute. Wie kriegt man innerhalb von 24 Stunden eine Sendung voll? Als ich am Donnerstagmorgen anfing mit meiner Arbeit, gab es praktisch noch nichts, und trotzdem waren abends sechs schöne Beiträge vorhanden. Wie geht das?

Donnerstag, 23.02.06, 9 Uhr: Meine Sendetechnik bekommt den letzten Schliff. In den letzten Monaten habe ich mir einen schnellen Rechner besorgt, mit dem man auch vernünftig senden kann. Nur die Flatrate ist noch sehr niedrig, aber das wird sich auch noch ändern. Leider gibt es einige Probleme, den ich sitze letztendlich noch knappe drei Stunden an der Sendetechnik. Langsam wird mir mulmig.

11:45 Uhr: Axel, der Kollege, der mir auch mit der Technik weitergeholfen hat, schickt mir ein paar Meldungen, die über das Presseportal verbreitet wurden. Es handelt sich dabei um O-Töne, sendefertig, mit einem dazugehörigen Beitragstext, der nur noch aufgesprochen werden muss. Ein Beitrag über Sophie Scholl erregt meine Aufmerksamkeit, und ich möchte ihn bringen. Aber es gibt ein neues Problem: Wer soll den Beitrag wie sprechen? Ich habe den Text in der Mail. Entwede ich oder meine FReundin Bianca lernen den Text auswendig und sprechen ihn, oder wir müssen ihn noch schnell in Punktschrift umwandeln, also abschreiben. Aus einer Mail lesen, das ist nicht einfach, zumindest nicht, wenn man nur eine Sprachausgabe hat und blind ist, sodass man nicht vom Bildschirm mit den Augen lesen kann. Meine Freundin hat aber einen Laptop mit Braillezeile. Ich schneide also den Beitragstext aus und schicke ihn ihr. Sie soll den Beitrag sprechen, denn das sollte ja nicht der Moderator der Sendung tun.

12:30 Uhr: Eberhard, der Chef vom Dienst, versorgt mich mit weiteren Beiträgen. Es handelt sich um Pressemeldungen verschiedener Organisationen. Darunter eine der deutschen Hörfilm gGmbH über die Hörfilme auf der Berlinale. Auch ein guter Beitrag, aber es stellt sich dasselbe Problem wie eben, und hier ist der Text sehr lang. Eberhard weiß Rat. Er ist in leitender Funktion in der berliner Hörbücherei tätig, und er ist ein alter Radiohase. Schnell produziert er mit einer Mitarbeiterin den Beitrag professionell und sendet ihn mir. Es kann nur gehen, wenn man sich gegenseitig hilft.

13 Uhr: Meine Freundin Bianca liest die in gedruckter Form vorliegenden Hörspieltips fürs Wochenende auf. Dann setze ich mich hin und unterlege sie mit Musik. Dazu muss ich das Instrumentalstück verlängern, die Hörspieltips sind erheblich länger als das Stück.

13:45 Uhr: Es handelt sich um meine erste Sendung bei Ohrfunk. Ich ziehe mir die Jingles und das Indikativ der Sendung, also den Anfang, und höre es mir durch. Da meine jetzige Sendetechnik es mir nicht erlaubt, in ein Musikstück einzublenden, um zu moderieren, muss ich solche Stellen vorproduzieren. Den Anfang kann ich aber erst produzieren, wenn ich weiß, welche Beiträge ich nun tatsächlich haben werde. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, ob Eberhard es geschafft hat, mir den Bderlinalebeitrag zu vertonen. Ich fange also mit dem Schluss der Sendung an und produziere ihn vor.

14:20 Uhr: Bianca liest mir den Beitrag über Sophie Scholl auf. Den muss ich bearbeiten, schneiden und mit den O-Tönen versehen, die ich habe. Das dauert eine Weile.

15:45 Uhr: Ich erhalte Eberhards Beiträge. Natürlich muss ich sie mir vor der Sendung anhören, denn sie verdienen ja eine gute Anmoderation.

16:30 Uhr: Ich führe ein Interview mit Karin Evers-Meyer, der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Das ist eigentlich für das Infocafé gedacht, das am kommenden Sonntag ab 17 Uhr auf dem Ohrfunk läuft, aber einen kleinen Ausschnitt habe ich doch schon für diese Sendung vorgesehen.

16:50 Uhr: Ich schneide ein paar wichtige Sätze aus dem Interview heraus und bearbeite sie für die heutige Sendung.

17:15 Uhr: Jetzt habe ich sechs Beiträge: Hörspieltips, Hörfilmtips, einen Surftip, den Beitrag über Sophie Scholl, den Beitrag über die Berlinale mit den Hörfilmen und den Auszug aus dem Interview mit Karin Evers-Meyer. Jetzt kann ich den Anfang der Sendung produzieren, was ich dann auch tue.

17:40 Uhr: Jetzt ist das Wetter dran. Ich besorge mir eine Wettervorhersage und formuliere sie mir im Geiste vor, spreche sie auf und unterlege sie mit Musik. Das ist wieder nicht ganz einfach, ich will ja bei den Formulierungen nicht stottern. Und ohne Braillezeile oder Punktschriftmaschine muss es eben aus dem Kopf gehen.

18:05 Uhr: Und jetzt die Musik. Später einmal, wenn alles richtig aufgebaut ist, ist die Musik kein Problem mehr. Unser Musikredakteur baut ein gutes Archiv auf, und für die Magazinsendung kann man sich daraus oper Zufallsgenerator bedienen. Aber heute muss ich das noch selbst machen, das Musikarchiv steht erst kurz vor der Vollendung. Also begebe ich mich in die Tiefen meines eigenen Musikarchivs mit knapp 20000 titeln. Dabei fällt mir ein, das Weiberfastnacht ist, also muss ich das auch entsprechend würdigen.

18:35 Uhr: Zum letzten mal schaue ich, ob es neue Nachrichten gibt. Unser Nachrichtenredakteur produziert sie fast täglich: nachrichten aus der Behinderten- und Sozialpolitik. In diesem Falle habe ich die neuesten Nachrichten schon bei mir auf dem Rechner, jetzt geht es an das Erstellen einer Playliste. Der Anfang der Sendung ist klar, aber nachher weiß man nicht, wie lang die Moderationen werden, und darum kann man auch nicht genau einschätzen, wieviele Musikstücke man braucht. Aber das bin ich schon gewohnt. Ich wähle 20 Titel aus, davon werde ich später 16 brauchen.

18:55 Uhr: Ich bin fünf Minuten vor sieben fertig geworden, hatte noch keine Zeit, mich auszuruhen, mich mental auf die erste Sendung einzustellen, da ist es auch schon so weit. Um sieben Uhr übernehme ich den Stream, und erstaunlicherweise läuft diese Sendung recht gut ab, ohne größere Pannen oder Schnitzer.

Wie gesagt, es ist ein ganz anderes Arbeiten als sonst. Man muss mit der zeit ringen, man ist bis zur letzten Sekunde redaktionell beschäftigt. Aber es ist ein spannendes Arbeiten und macht großen Spaß. Eins ist abder für mich unerlässlich: Es muss wieder eine ganze, funktionierende Punktschriftmaschine ins Haus.

Hört doch auch mal rein bei ohrfunk.de.

Copyright © 2006, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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