Spannendes Polit-Spiel geht in die Verlängerung

11-Meter nach Foul von Verdonk an Hirsi Ali, van der Laan wird ausführen! Schuss van der Laan, abgefälscht Balkenende, Nachschuss van der Laan, und …

Da sah es doch fast so aus, als sei die Kuh vom Eis, als könne Rita Verdonk mit ihrem groben Foul gegen die Bürgerrechtlerin Ayaan Hirsi Ali durchkommen. Nachdem die Angelegenheit selbst geklärt war, wie ich in meinem zugehörigen Blogeintrag schrieb, versuchten es die beiden größeren Regierungsparteien in den Niederlanden mit Deeskalation. Es sei alles gesagt, die Ministerin Verdonk habe sich nunmehr korrekt verhalten, die Sache sei geklärt. … Weit gefehlt!

Rita Verdonk hatte nämlich jetzt Ayaan Hirsi Ali die Staatsbürgerschaft belassen, weil sie befugt war, den Namen zu führen, aufgrund des somalischen Namensrechtes. Das hätte sie aber auch schon wissen können, als sie die Staatsbürgerschaft aberkannte. Deshalb sprach die Koalitionspartei D66 gestern während einer heftigen Debatte im Parlament von Machtsmissbrauch. Gesternnacht, die Debatte, die eigentlich keinen Wert mehr hatte haben sollen, ging bis halb sechs heute Morgen, teilte die Fraktionsvorsitzende von D66, Lousewies van der Laan, mit, dass entweder Rita Verdonk die Regierung verlassen muss, oder ihre Fraktion würde der Regierung die Unterstützung aufkündigen.

Heute Mittag beratschlagte die Regierung, und man kam übereinstimmend zu dem Schluss, dass Rita Verdonk im Kabinett bleiben könne, solange es keine Mehrheit im Parlament für einen Misstrauensantrag gäbe. Ob man gedacht hatte, Lousewies van der Laan mache nicht ernst? Falsch gedacht. In einer knappen, präzisen Erklärung heute Nachmittag im Parlament zog sie die Unterstützung für die Regierung ein. Ob das nun das Ende des Kabinets Balkenende bedeutet, muss sich in den nächsten Stunden weisen.

Warum ist das für uns hier in Deutschland spannend? Ganz einfach. Die Niederlande führten eine überaus strenge, teilweise unmenschliche Integrationspolitik durch. Eine junge Kosovarin, die vollständig in den Niederlanden integriert war, wurde wenige Wochen vor ihrem Abitur konsequent abgeschoben, auch wegen falscher Angaben in Dokumenten, die übrigens nicht von ihr, sondern von ihren Eltern vorgenommen worden waren. Jetzt könnte es sein, dass diese furchtbare Politik mit einem Sturz Balkenendes und Verdonks ein Ende findet. Vielleicht hält das auch den erneuten Radikalisierungsprozess auf, der sich in der niederländischen Gesellschaft vollzieht, wie schon einmal vor 4 Jahren, als plötzlich und unerwartet der sogenannte Rechtspopulist Pim Fortuyn auf der Bildfläche erschien. Wenn die Katastrophe um Ayaan Hirsi Ali diese Ministerin Verdonk zu Fall bringen sollte, können viele in Europa, die für Menschenrechte und menschliche Behandlung jedes Einzelfalles einstehen, endlich wieder ein wenig Hoffnung schöpfen.

In einigen Stunden wissen wir vermutlich etwas besser, wie der Regierungskrimi in den Niederlanden ausgeht.

Copyright © 2006, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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3 Antworten zu Spannendes Polit-Spiel geht in die Verlängerung

  1. Das Nest sagt:

    Was mich an dieser ganzen Sache wirklich mal interessiert ist, wie die Bevölkerung die ganze Sache mit Ayan Hirsi Ali sieht. Immerhin haben ihre nachbarn, wenn ich mich recht erinnere, damit Recht bekommen, daß sie forderten, HIrsi Ali müsse ausziehen, da sich die Nachbarn in ihrer Nähe nach der Ermordung Theo Van Gogs nicht mehr sicher fühlten. Und es gab doch auch nach dem Film „Submission“ einige kritische Stimmen und auch ein sehr aggressives Lied von Marokkanern gegen sie. Bei allem politischen Hickhack: Ist die Bevölkerung in Holland an ihrem Schicksal interessiert? Das frag ich mich schon ne Weile.

  2. Hallo Nest,

    die Frage, wie die Bevölkerung das ganze beurteilt, ist sehr spannend, und ich muss sagen, dass es darauf keine eindeutige Antwort gibt. In einer Blitzumfrage, die Maurice de Hond, der bekannteste Meinungsforscher der Niederlande, am Tag des Kabinettsfalls durchführte, zeigte sich, dass die Niederländer das politische Hickhack nicht verstanden. Es gäbe wichtigeres, als sich aus taktischen Gründen tagelang um die Koalition zu streiten, war die aussage der allermeisten. Rund 50 Prozent empfanden die Behandlung von Ayaan Hirsi Ali als Schande, die anderen, ebenfalls rund 50 Prozent, gaben Ministerin Verdonk recht, dass man keinen Unterschied machen dürfe zwischen berühmten Persönlichkeiten und einfachen Leuten und dass Ayaan Hirsi Ali das Land hätte verlassen oder zumindest die Staatsbürgerschaft hätte niederlegen müssen. Man ist in dieser Frage wirklich gespalten, was ich an sich schon etwas erschreckend finde. Zum Einen, weil es um das Schicksal einer mutigen Bürgerrechtlerin geht, zum anderen aber, und das finde ich mindestens genauso schlimm, weil das Zeigt, wie sehr verunsichert die niederländische Gesellschaft ist.

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