Kommentar zum 20. Juli

Den folgenden Kommentar habe ich am 20. Juli für ohrfunk.de geschrieben. Er wurde am 20. Juli 2009 in der Sendung „17-20, der Soundtrack zum Tag“ veröffentlicht.

Und wiedereinmal ist der 20. Juli. Und wieder gedenken wir der mutigen Männer des militärischen und zivilen Widerstands, die vor 65 Jahren versuchten, mit einem Bombenattentat das Hitler-Regime zu beseitigen und ein einiges, ehrenvolles, demokratisches Deutschland aufzurichten. Zentrale Figur dieser Heldenverehrung ist der Oberst Klaus Schenk Graf von Stauffenberg, der die Bombe am 20. Juli 1944 in Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze zündete. Es gelang ihm, nach Berlin zurückzukehren und einen geplanten Staatsstreich einzuleiten. Doch die Nachricht, dass Hitler das Attentat praktisch unverletzt überlebt hatte, ließ den Aufstand zusammenbrechen, und vier sogenannte Hauptverschwörer, darunter auch Stauffenberg, wurden noch in der Nacht standrechtlich erschossen. Damit ging die aufrechte Hoffnung eines moralisch unbefleckten demokratischen Deutschland zugrunde, und es kam zum vollständigen Zusammenbruch. Eine schöne Geschichte eines Helden für ein besseres Deutschland. Je länger das Attentat zurückliegt, desto güldener erscheint der Graf in seiner prunkvollen Heldenrüstung, vor sich das Banner eines kultivierten, friedliebenden, demokratischen Deutschlands hertragend, gefeiert von allen, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberalen, Konservativen und Nationaldemokraten. Eine wundervolle Geschichte, nur leider überhaupt nicht wahr.

Als ich klein war, galt Stauffenberg selbst in meiner sozialdemokratisch geprägten Familie als Landesverräter. Nicht, weil er Hitler hatte töten wollen, das ging in Ordnung, sondern weil er eine Bombe zündete, die 5 vermeintlich unschuldige Mitarbeiter des Diktators tötete. Mein Vatersagte immer: „Stauffenberg gehörte zu den Offizieren, die in Gegenwart des Führers Waffen tragen durften. Er hätte sich vor ihn hinstellen und sagen sollen, deine Zeit ist um. Hätte er ihn dann erschossen, wäre er zurecht ein Held gewesen.“ Diese Aussage zeigt überdeutlich, wie wenig man über Stauffenberg wusste. Bei einer schweren Verwundung hatte er das linke Auge, die rechte Hand und 2 Finger der linken verloren. Er war gar nicht in der Lage, mit einer Schusswaffe umzugehen. Außerdem war man sich in den Widerstandskreisen einig, dass man auch die Führungsspitze mit Hitler töten musste, wenn der Umsturz Erfolg haben sollte. Es lohnt sich, mal einen kurzen Blick auf diesen mutigen adligen Offizier zu werfen, der sich des Risikos, selbst dabei das Leben zu verlieren, durchaus bewusst war.

Staufenberg war von adliger, bayerisch-schwäbischer Herkunft. In den 20er und 30er Jahren machte er eine Karriere in der Reichswehr durch, vor allem in der Kavalerie. Privat gehörte er mit seinen älteren Zwillingsbrüdern Bertold und Alexander einem erlesenen Kreis von Menschen an, der sich um den Dichter Stefan George gebildet hatte. Georges Dichtung war maßgeblich vom sogenannten Reichsmystizismus geprägt. Er verklärte ein mittelalterliches, kultiviertes deutsches Reich, das eine Führungsmacht in Europa darstellen sollte. Gegen Rassenmischung, gegen die Hektik der Großstädte, gegen den Parlamentarismus wandte sich diese Mittelalterverklärung, die als Modell für eine bessere Zukunft nach der weimarer Republik angesehen wurde. Von diesem Denken waren auch die Brüder Stauffenberg geprägt. Daher begrüßten sie die Nationalsozialisten Anfangs aus vollem Herzen. Die Politik der Revidierung von Versailles und der deutschen Expansion billigte Stauffenberg aus tiefster Überzeugung. Während des Polenfeldzuges bezeichnete er die dortige Zivilbevölkerung als mit Juden durchsetztes Mischvolk, das sich nur unter der Knute wohlfühle. Er sah die Aufgabe der deutschen Eroberungen in der Kultivierung der eroberten Gebiete, er wollte Heil und Segen bringen. Zwar hatte er nichts gegen die Verfolgung der Juden, solange diese sich auf zivile Maßnahmen beschränkte. Als er aber von den Millionen Ermordungen und der Ausrottung ganzer Bevölkerungsschichten erfuhr, wandte sich Stauffenberg in einem langen und schmerzlichen Prozess mehr und mehr vom Nationalsozialismus ab und einem konservativen Widerstand zu. Um diese Widerstandsbewegung von einer möglichst breiten Front tragen zu lassen, sorgte er dafür, dass auch Sozialdemokraten zum engeren Kreis der Verschwörer gehörten. Die Vorstellungen der Widerständler für die Zeit nach dem geplanten Umsturz waren allerdings bestenfalls nebulös. Auf eine Staatsform hatte man sich nicht einigen können, nur auf einen vorläufigen Aktionsplan. Darin sind Friedensverhandlungen mit den Alliierten aufgeführt. Man wollte Deutschland in den Grenzen von 1914 einschließlich Österreichs und des Sudetenlandes behalten. Das Denken Stauffenbergs war von elitärer Arroganz geprägt. Ein Friedensvertrag auf dieser Grundlage hätte Deutschland immer noch als die stärkste Macht in Europa etabliert. Die Alliierten zeigten ohnehin keine Neigung, auf die Pläne der Verschwörer einzugehen, sie verlangten die vollständige und bedingungslose Kapitulation Deutschlands. Ein Eid, den Stauffenberg für den Widerstand entwarf, zeigt ebenfalls, welche Geisteshaltung dem Grafen innewohnte. Er bekannte sich darin zu einem Ständestaat, der von allen Volksangehörigen getragen werde. Die sogenannte Gleichheitslüge wurde allerdings abgelehnt, jeder sollte in dem Rang dem Staate dienen, den ihm die Natur zuweise. Somit kann man mit gutem Recht als Tatsache behaupten, dass Klaus Schenk Graf von Stauffenberg ein Antidemokrat und Nationalist war. Historiker streiten sich darüber, ob man ihn auch als Antisemiten bezeichnen muss. Das ändert nichts daran, dass Stauffenberg ein mutiger Mann war und zu tun beabsichtigte, was getan werden musste, und sei es auch nur, um der Welt zu zeigen, dass es auch Widerstand in Deutschland selbst gab. In diesem Sinne sollte man den 20. Juli begehen, nicht aber, um einen Mann als Vorkämpfer der Demokratie zu feiern, die er in Wahrheit zutiefst verachtete.

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Autor: Jens Bertrams

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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3 Antworten zu Kommentar zum 20. Juli

  1. Das Nest sagt:

    ich glaube, viele von uns, und vielleicht die am meisten, die zu dieser zeit gelebt haben, haben schon gedacht: Alles wäre besser und anders gekommen, wenn Hitler getötet worden wäre… ich glaube nicht, daß das zwaangsläufig so gewesen wäre. Wenn Ihr dazu mal einen auch noch spannenden roman lesen wollt, um mal ein paar Denkanstöße zu erhalten, lest mal „Geschichte machen“ von Stephen Fry. Lohnt sich. Er mag charismatisch gewesen sein, aber ein Man trägt keine Bewegung, auch nicht Hitler. Er kann meiner Meinung nach nur durch etwas groß werden, auf dessen boden er wächst.

    Zum Thema Stauffenberg direkt: es ist interessant, etwas über eine Person zu erfahren, und ich nehme mich nicht aus, wenn ich sage, daß menschen das fabulieren darüber Spaß macht und daß das ja auch ein legitimer Zugang zur Geschichte ist, aber es bleibt immer subjektiv. Solche Erkenntnisse können immer nur mehr oder weniger stichhaltige Indizien bleiben in der Nachschau, finde ich.

    Und drittens: Ich finde es in jeder Beziehiung unglücklich, den Tag eines Attentats oder in anderen Ländern den einer geglückten Ermordung zum Feiertag zu erklären. Befreiungen werden für mich durch so etwas allenfalls gelegentlich angestoßen, können aber nur dann funktionieren und wirklich „Befreiungen“ genannt werden, wenn die befreiten in der lage sind, die in diesen Taten ausgedrückte und vielleicht notwendig gewesene Gewalt zu überwinden und in etwas konstruktives zu verwandeln. Und wenn das geglückt ist, sollte man doch lieber einen Feiertag für das geglückte konstruktive Ergebnis erfinden. Warum feiern wir keinen Tag des Grundgesetzes?

  2. Das ist interessant. Wir haben nämlich schon den Feiertag des Grundgesetzes. Dieser wurde dieses Jahr sogar mit einem Volksfest begangen. Und wir haben den Tag der deutschen Einheit. Insofern ist diese deine Forderung bereits erfüllt. Der 20. Juli ist auch kein Feiertag, sondern ein Erinnerungs- und Gedenktag.

    Aber zum ersten Punkt möchte ich dir widersprechen. Der Roman „Geschichte Machen“ geht der Frage nach, was wäre, wenn Hitler nie geboren wäre. Das ist eine andere Frage als die, was gewesen wäre, wenn das Attentat kurz vor Ende des Krieges geglückt wäre. Das hätte nämlich, hätten alle an einem Strang gezogen, durchaus etwas Positives bringen können. Wenn, und da gebe ich dir recht, Hitler nicht geboren wäre, hätte es irgendeine ähnliche Bewegung trotzdem gegeben.

    „Geschichte Machen“ ist übrigens wirklich ein hervorragender Roman!

  3. Pingback: Mein Wa(h)renhaus » In Erinnerung gerufen – Mein Kommentar zum 20. Juli 1944

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