Klare Verhältnisse – Kommentar zum Ausgang der Bundestagswahl

Den folgenden Kommentar habe ich für die Sendung „17-20, der Soundtrack zum Tag“ auf ohrfunk.de geschrieben und dort am 28.09.09 veröffentlicht.

Trari, Trara, die Post ist da. Ah, die Quittung. Ausgestellt vom Deutschen Volk. Der Preis: Verlust der Macht und die Einziehung des Prädikats „Volkspartei“. 11 Jahre sind genug.

Die Spatzen pfiffen es von den Dächern, niemand kann sagen, dass das gestrige Wahlergebnis der Bundestagswahl eine Überraschung war. Wenn es stimmt, dass die SPD in den letzten Tagen wesentlich mehr Menschen mobilisieren konnte, dann möchte ich nicht wissen, wie das Ergebnis ohne diese letzte Kraftanstrengung ausgefallen wäre. Jedenfalls haben wir jetzt im Bund stabile Mehrheiten jenseits einer großen Koalition, und das kann man getrost als positives politisches Zeichen werten. Sorge macht dagegen die für Bundestagswahlen extrem geringe Wahlbeteiligung, die aber in Deutschland im Gegensatz zu manch anderem Land der europäischen Union oder gar den Vereinigten Staaten noch sehr hoch ist. Immerhin 72 Prozent der Bundesbürger gingen noch wählen. Allerdings sollte man Wahlkampf und Medienberichterstattung nicht noch weiter auf amerikanische Verhältnisse umstellen. Dann bekommt man irgendwann auch eine amerikanische Wahlbeteiligung. Als gesternabend die Berliner Runde im Fernsehen zu sehen war, und zwar mit allen Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien, da sagten hunderte Teilnehmer des Twitternetzwerkes auf einmal: „In dieser Runde ist mehr Feuer als im ganzen Wahlkampf. Warum veranstaltet man nicht solche Duelle wieder vorher?“ Das ist auch meine Frage. Das Kanzlerduell war mit vier Journalisten und 2 Teilnehmern eine Farce, die Elefantenrunde gestern war ein politischer Schlagabtausch, der zwar immer noch nicht an die Qualität früherer Auseinandersetzungen anknüpfen konnte, aber wesentlich mehr Einsicht in die gegenwärtige Lage bot.

Aber jetzt ist der Zeitpunkt, um einen Blick in die Zukunft zu werfen. Die Koalitionsverhandlungen dürften nicht besonders schwierig werden, man war sich bei CDU und FDP schon lange über viele Dinge einig. Interessant wird es bei den Sicherheits- und Antiterrorgesetzen. Es gibt eine Gruppe in der FDP, vor allem sind das alte Justizliberale und sozialliberale Kräfte, die diese Gesetze ablehnt. Aber wie viel Einfluss hat die Bürgerrechtsbewegung in der FDP? Im Wahlkampf waren sie gut, denn sonst hätte vielleicht die Piratenpartei mehr und die FDP weniger Stimmen bekommen. Allgemein gilt ihr Einfluss im Tagesgeschäft aber als sehr gering. Wir werden es wissen, wenn es mehr Überwachung und weniger Datenschutz in Zukunft geben sollte.
So wird nach genau 11 Jahren das Experiment rot-grün und die unsägliche große Koalition zuende sein.

Die Erfolge der kleineren Parteien sind natürlich hauptsächlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass es in den letzten 4 Jahren eine große Koalition gab. Aber die Linkspartei kann mit Sicherheit davon profitieren, dass alle anderen Parteien an den Gesetzen zur Agenda 2010 beteiligt waren. Kein Volk fühlt sich wohl, wenn es kollektiv überwacht und zu Terrorverdächtigen gestempelt, und gleichzeitig als Sozialschmarotzer beschimpft wird. Wenn dies auch noch maßgeblich von einer sozialdemokratischen Partei kommt, muss diese Partei sich über den Stimmenverlust wohl kaum beschweren. Trotz des harten Abwehrkampfes der etablierten Parteien sieht der Souverän, also wir Wählerinnen und Wähler, die Linkspartei offenbar als eine mögliche Alternative an. Darüber gilt es in den folgenden 4 Jahren nachzudenken, wenn die neue Regierung, die in Bundestag und Bundesrat die Mehrheit hat, ihre Pläne umsetzt. Steuersenkungen für Mittelstand und Großverdiener, mögliche Kürzungen der Sozialleistungen und ähnliche Vorhaben könnten in 4 Jahren nach hinten losgehen.

Zunächst einmal haben CDU und FDP jetzt die Chance, ihre Vorhaben auf Bundesebene durchzusetzen. Für die Opposition können so klare Verhältnisse aber auch eine Chance sein. Unter einer stabilen, eindeutig positionierten Regierung kann sich auch die Opposition eindeutig positionieren. Sie kann tatsächlich gut aufzeigen, wo die Regierung ihre Fehler macht, ohne an diesen Fehlern selbst beteiligt zu sein. Auch die SPD, die jetzt offenbar jeglichen Halt verloren zu haben scheint, könnte sich unter diesen Umständen wieder etwas sammeln.

Am Wahlabend habe ich mit mehrheitlich linksgerichteten Personen zusammengesessen und intensiv und konstruktiv über die Politik und die Wahlen debattiert. Eigentlich hatte ich erwartet, dass nach dem eindeutigen Wahlsieg von schwarz-gelb eine gedrückte, niedergeschlagene Stimmung herrschen würde. Aber das geschah nicht. „Wir werden weiterkämpfen und uns engagieren“, lautete die Antwort, jetzt, wo man weiß, wo und wer der Gegner ist. Und wer weiß: Vielleicht kann sich die SPD ihren Platz als fortschrittlich-linke Alternative zur sogenannten bürgerlichen Mitte ja zurückerobern.

© 2009, ohrfunk.de

Autor: Jens Bertrams

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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2 Antworten zu Klare Verhältnisse – Kommentar zum Ausgang der Bundestagswahl

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  2. Olaf sagt:

    Also am Wahlabend war ich hin und hergerissen zwischen Befürchtungen, dass nun die soziale Seite vöölig untergehen wird und aber auch einer gewissen Erleichterung, dass die Verhältnisse klar sind.
    Das Zweite beginnt nun langsam immer mehr zuzunehmen.
    Irgendwie hab ich das Gefühl „Ich weiß nicht obs gut oder schlecht wird, aber es wird wenigstens in eine mehr oder weniger klare Richtung gehen die eben von schwarz-gelb schon längere Zeit immer propagiert wird“.
    Wahrscheinlich gehöre ich auch zu denen, die eben von der SPD enttäuscht sind – nach vielen Jahren rot-grün und dann rot-schwarz sind irgendwie die sozialen Probleme eigentlich nie richtig gelöst worden.
    Auch das Thema Umweltschutz (damals habe ich die Grünen hoffnungsvoll gewählt) ist nicht so besonders gut behandelt worden. Kraftwerke werden kaum sauberer, die Autos strotzen nur so von PS Zahlen und eigentlich enorm hohen Kraftstoffverbrächen, die Landwirtschaft ist ein reines Kostenminimierungsprogramm geworden – ich seh nicht wirklich etwas von Umweltschutz. Die SPD hat es nicht geschafft irgendwas gegen die Schere zwischen „arm“ und reich zu machen – die eigentlich vernünftige Idee von Mindestlöhnen wurde nie wirklich durchgesetzt und die Industrie hat die Möglichkeit immer billiger werdende Arbeitskräfte zu finden – der Staat wird dann schon „aufstocken“. Da hätte ich von der SPD wirklich einen Aufschrei und eien andere Richtung erwartet.
    Ich hoffe, dass daher vielleicht ein Rückbesinnung zu Grundwerten bei den Parteien eintritt, die Oppositionsrolle bietet ja eine Chance dazu.
    Auch dass eine Partei wie die Linke, die von allen anderen Parteien und den Medien so verteufelt wurde, dazu mit der SED Vergangenheit auch immer etwas „problematisch“ gesehn wird, dann dennoch so hohe Wählerzahlen erreicht, sollte doch zu denken geben. Da ist doch ein Grundbedürfnis der Bürger vorhanden, das eben die Grünen und die SPD schon lange nicht mehr abdecken.
    Daher also hoffe ich, dass diese Wahlergebnisse für alle eine Chance bieten – hoffe auch, dass schwarz-gelb nicht allzuviel „kaputtmachen“ kann und dass es möglich sein wird in diesem Land wieder Politik für den Staat und für die Bürger zu machen die eine lebenswerte Zukunft ermöglicht.

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