Zum Königinnentag in den Niederlanden – Über Republik und Monarchie

Den folgenden Kommentar habe ich am 30.04.2010 auf ohrfunk.de veröffentlicht, aber er bekommt durch den Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten eine weitere Note.In den Niederlanden ist der 30. April ein Feiertag, der 1. Mai hingegen nicht. Man feiert dort den Geburtstag der Königin, ganz allgemein, denn die heutige Königin Beatrix hat am 31. Januar Geburtstag. Aber weil der 30. April so ein schöner Frühlingstag sein kann, hat sie den Geburtstag ihrer Mutter Juliana beibehalten und besucht an diesem Tag zwei Städte oder Dörfer, um mit ihren Untertanen, oder besser Mitbürgerinnen und Mitbürgern, wie sie selbst sagt, zu feiern. Da spielen Kinder aus dem Dorf mit den kleinen Prinzessinnen des Hauses Oranje, die Königin selbst, eine rüstige Dame von 72 Jahren, nimmt an Sport- und Geschicklichkeitsübungen teil, unterhält sich mit meist sozial engagierten Mitbürgerinnen und Mitbürgern und gibt sich volksnah. Und ganz ganz selten, einmal alle paar Jahre, tritt sie sogar ans Mikrofon und sagt zwei Sätze, mit denen sie sich für das Fest bedankt. Die Menge, die meistens Tausende, hin und wieder zigtausende Menschen umfasst, quittiert dies mit ohrenbeteubendem Applaus und einem fröhlichen Lied, mit dem man in Holland ein Geburtstagskind hochleben lässt. Letztes Jahr hat es am Königinnentag einen Anschlag auf die Königsfamilie gegeben, sieben Menschen, die einfach nur feiern wollten, kamen dabei ums Leben. Trotzdem wird das Volksfest entgegen aller Befürchtungen auch in diesem Jahr wieder gefeiert, trotz der Sicherheitsmaßnahmen und der Trauer, die immer noch spürbar ist.

Die Niederlande sind meine zweite Heimat. Ich gebe zu, dass ich, müsste ich nicht arbeiten, die Feierlichkeiten am Radio verfolgen würde, so wie ich es jahrelang tat, wenn ich Zeit hatte. Viele Menschen können das nicht verstehen. Einige tun das Ganze einfach als eine volksverdummende Medienshow ab, andere fragen mich, warum ich als Demokrat Schauspiele ansehe, die einer Monarchin und ihrer Familie gelten. Meine Antwort überrascht viele meiner Gesprächspartner: Für mich schließen sich Demokratie und Monarchie nicht per se aus. Es kommt darauf an, wie tief die Monarchie im Volk verwurzelt ist, und es ist wichtig, dass der König oder die Königin keine eigentliche politische Macht hat. Jeder Staat braucht nämlich Symbole, mit denen sich seine Bürger identifizieren können. Und jeder Staat hat auf die eine oder andere Weise eine Repräsentationsfigur, die über das politische Tagesgeschäft hinaus das Wesen und Trachten einer Nation verkörpert. Bei uns ist es der Bundespräsident. Er ist, deutscher Tradition gemäß, eine Art Wahlkönig. Er hat nicht viel zu sagen, aber er repräsentiert den Staat nach außen. Dass er ganz selten ins politische Geschehen eingreifen kann, will ich hier bewusst einmal nicht erörtern. Tatsache ist: Der Bundespräsident kann zu gesellschaftlichen Vorgängen Stellung nehmen, seine einzige Waffe ist das Wort. Er setzt diese Waffe so selten ein, dass man ihm genau zuhört, wenn er es denn einmal tut. Der Bundespräsidentt will die Institution sein, die für alle Bürgerinnen und Bürger da ist, ganz gleich, welche Partei sie gewählt haben. Das ist auch die Aufgabe eines Monarchen in einer parlamentarisch-demokratischen Monarchie wie den Niederlanden. Allerdings hat der Bundespräsident einen Schönheitsfehler: Er kommt in der Regel aus einer Parteihierarchie, hat lange als Politiker gearbeitet und Meinungen vertreten, die eben nicht allen Deutschen entsprechen, und um seine Wahl gibt es ein dreiviertel Jahr lang ein derartiges Parteiengeschacher, dass es das Amt und die Funktion des Bundespräsidenten jedesmal aufs Neue beschädigt. Viele Deutsche sagen: Mein Präsident ist er nicht, und oft braucht der Bundespräsident Jahre, um sich das Vertrauen seiner Landsleute doch noch zu verdienen, wenn er es denn schafft. Diese Probleme haben die Oranjes in den Niederlanden nicht. Wer sie nicht mag, lehnt sie aus Prinzip ab, ist Republikaner und würde jeden ablehnen, der den Titel König oder Königin trägt. Das hindert ihn aber nicht daran, zu beurteilen, ob Königin Beatrix ihre Arbeit gut macht. Und dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob er ein Sozialist, Liberaler, Konservativer oder orthodoxer Christ ist, oder welche Partei er sonst wählt.

Ein großer Vorteil ist es in den Niederlanden, dass die politische Gesinnung der Monarchin keine Rolle spielt. Sie hat nie im Parteienstreit gesteckt, sie lässt sich jede Woche vom Ministerpräsidenten über die Tagespolitik informieren, sie kann als gelernte Staatsrechtlerin hier und da verfassungsrechtliche Hilfestellung liefern, sie kann durch Ratschläge an die Regierung dafür Sorge tragen, dass das Land als Ganzes im Ausland und bei den eigenen Bürgerinnen und Bürgern würdig vertreten wird. Sie kann Anliegen von Landsleuten an die Regierung herantragen. All dies im von Generation zu Generation weitergegebenen Interesse des Gemeinwohls. Natürlich kann auch dies einmal scheitern. Das Amt des Königs oder der Königin ist aber nicht reizvoll für Leute, die Macht haben wollen, sie bekommen keine. Es ist nur reizvoll für Leute, die sich für ihr Land einsetzen wollen und bereit sind, eine Menge Opfer zu bringen. Wer das nicht will, verzichtet eben auf den Thron. Die einfachste Möglichkeit dazu ist, ein bürgerliches Leben zu führen und ohne Parlamentszustimmung zu heiraten. Dann verliert man nämlich den Thronanspruch. Dass Königin Beatrix die Nation verkörpert, glauben viele Niederländer eben genau deshalb, weil sie sich aus den politischen Streitigkeiten heraus hält, eben weil sie selten öffentlich in Erscheinung tritt. Aber wenn Katastrophen eintreten, wenn Hilfe nötig ist, ist Königin Beatrix sehr schnell da und leistet unbürokratisch Hilfe. Und in ihren Weihnachtsansprachen analysiert sie mit Herz und Verstand die Lage im Land. Sie spricht über Umwelt, soziale Kälte, Einsamkeit, Krankheit, aber auch über die Werte, die ihrer Nation innewohnen. Gerade deshalb kommen am Königinnentag so viele Niederländer aller Schichten, Generationen und Gegenden zusammen, um ihrer Königin zu gratulieren. Ich glaube nicht, dass ein solches System für Deutschland mit seinen preußisch-militaristischen Traditionen derzeit praktikabel ist. Wir wollen eben nicht unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben. Aber in die Niederlande rufe ich aus vollem Herzen hinüber: „Leve de Koningin!“

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Zum Königinnentag in den Niederlanden – Über Republik und Monarchie

  1. Das Nest sagt:

    Es ist ja nicht das erste mal, daß ich dich über den Königinnentag reden höre, aber ich finde es jedesmal toll, wie viel Begeisterung aus Deinen worten zu spüren ist, wie viel Wärme und Zustimmung. Da möchte man fast selber wieder eine Königin in Deutschland. Und besonders bemerkenswert finde ich, daß das auch in diesem jahr noch klappt, denn der Schock vom Attentat imletzten sitzt auch mir noch in den Knochen. ich kann mich noch sehr genau daran erinnern und bin froh, daß sie sich nicht unterkriegen lassen, daß die Freude auch an diesem Tag, der für mich, da ich mit Deinem blog manchmal nicht so schnell nachkomme, nun schon eine Weile her ist, erneut dasszepter in die hand genommen hat. endlich mal wieder eine positive nachricht!

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