Zum Rücktritt von Horst Köhler

Den folgenden Kommentar zum Rücktritt des Bundespräsidenten habe ich am 04.06.10 auf ohrfunk.de veröffentlicht.Es ist nicht das erste mal, dass ein Bundespräsident vorzeitig sein Amt erledigt, wie es im Grundgesetz heißt. Schon Heinrich Lübke hatte einige Monate verfrüht seinen Rücktritt erklärt, zugegeben aber nicht mit sofortiger Wirkung. Was Horst Köhler, den Bürgerpräsidenten, nun zu diesem unerwarteten Schritt bewog, wird seit Beginn der Woche heftig diskutiert. Immer wieder spielen dabei Köhlers Äußerungen zu Bundeswehreinsätzen eine Rolle. Auf der Rückreise von einem Truppenbesuch in Afghanistan wurde er vom Deutschlandfunk interviewt. Auf die Frage nach dem gesellschaftlichen Stand der Diskussion über Sinn und Unsinn von Bundeswehreinsätzen im Ausland hatte der Bundespräsident sinngemäß geantwortet, dass man sich in Deutschland langsam darüber klar werde, dass Militäreinsätze angesichts der Abhängigkeit vom Außenhandel im Notfall geboten seien, um Handelswege zu sichern und die Instabilität ganzer Regionen zu verhindern. Vermutlich glaubte Köhler zu diesem Zeitpunkt noch, nichts Besonderes gesagt zu haben, aber nach zwei oder drei Tagen erhob sich, angefacht von einigen linksorientierten Blogs und zunehmend von den klassischen Medien aufgegriffen, ein entrüstetes Geschrei. Die gegen den Präsidenten geschleuderten Vorwürfe gipfelten in der Aussage, Köhler habe Bundeswehreinsätzen das Wort geredet, die nur Wirtschaftsinteressen dienten und vom Grundgesetz nicht gedeckt seien. Vermutlich verstand der zunehmend von der Politik enttäuschte Präsident die Welt nicht mehr. In einem ruhigeren politischen Klima wären seine Äußerungen nämlich überhaupt nicht aufgefallen. Keineswegs hat Köhler etwas gesagt, was nicht allgemein bekannt gewesen wäre oder nicht von den politischen Eliten befürwortet wurde. Denn schon jetzt ist die Sicherung der Handelswege ein Teilaspekt der aktuellen Bundeswehrmissionen. Wandel durch Handel ist bei den Kommandeuren in Afghanistan ein geflügeltes Wort, und zum Beispiel die Mission zum Schutz vor Piraterie am Horn von Afrika bezieht die Sicherung der Handelswege ausdrücklich ein. Im entsprechenden Bundestagsbeschluss heißt es wörtlich: ”Zum anderen soll die Operation den zivilen Schiffsverkehr auf den dortigen Handelswegen sichern, Geiselnahmen und Lösegelderpressungen unterbinden und das Völkerrecht durchsetzen.”

Bleibt also zu klären, ob solche Einsätze allgemein vom Grundgesetz gedeckt sind. Und wenn nicht, warum wehrt man sich dann zwar gegen Köhlers Worte, nicht aber gegen die Einsätze allgemein? Es ist eine heuchlerische Schmierenkomödie, dem Präsidenten eine Äußerung vorzuwerfen, die jeder andere Politiker ungestraft und unter Berufung auf frei zugängliche Bundestagsdrucksachen hätte tun können. Da entsteht doch tatsächlich der Eindruck, als habe man Köhler los werden wollen, und irgendjemand habe gezielt eine Pressecampagne lanciert. Über Eines müssen wir uns im klaren sein: Schon jetzt führt die Bundeswehr Auslandseinsätze durch, die der „Sicherung von Handelswegen“ und der „Verhinderung der destabilisierung ganzer Regionen“ gelten, wie Köhler sagte. Daran ist nichts außergewöhnliches. Und dieselben Politiker, die Köhler grundgesetzferne Statements vorwerfen, haben die Missionen beschlossen, auf die er sich bezog. Offenbar hält man sie nicht für grundgesetzwidrig, weil sie durch NATO, EU oder UNO gedeckt sind und der Sicherheit dienen. Dass Horst Köhler sich im Stich gelassen und verraten fühlt, ist aus dieser Perspektive nur allzu gut zu verstehen.

 

Und im Übrigen bin ich der Meinung, das Christian Wulf verhindert werden muss.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
Dieser Beitrag wurde unter erlebte Geschichte, Politik veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar