Zurück zur Religion? – Ein Plädoyer für den Erhalt der Menschenwürde

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, sagt das Grundgesetz in seinem Artikel 1. Ich weiß nicht, ob es Ihnen so geht wie mir, aber für mich sorgt dieser Satz dafür, dass ich mich trotz aller Skandale, trotz aller sozialen Ungerechtigkeit und trotz allen politischen Betrugs immer noch im Grundsatz sicher fühle in diesem Land. Nun aber ist seit 8 Jahren ein Juristenstreit darüber ausgebrochen, welchen Stellenwert dieser Satz eigentlich hat, und das ist mehr als ein Fachgeplauder für Theoretiker. Dazu muss man der Frage nachgehen, was die Menschenwürde eigentlich ist, welche Rolle sie in unserer Verfassung spielt, und wie man die Verfassungswirklichkeit ändern kann, ohne den Text des Grundgesetzes anzurühren. All das möchte ich im Folgenden in möglichst einfachen Worten versuchen, und noch ein wenig mehr. Ich möchte ein Plädoyer halten für den Erhalt der Menschenwürde, ohne gleich verkrustete und rückständige religiöse Moralvorstellungen akzeptieren zu müssen.

Schon als ich den Satz von der Unantastbarkeit der Menschenwürde mit 13 Jahren erstmals im Grundgesetz las, gehört hatte ich ihn natürlich schon viel früher, überkam mich ein Gefühl, dass es ein besonderer Satz war. Dabei konnte ich nicht sagen, was ihn so über andere Sätze hinaus hob. Er klingt fast wie eine Worthülse. Was ist die Menschenwürde eigentlich? Was darf man mit einem Menschen in keinem Falle tun? Solche Verfassungsgrundsätze bedürfen der Konkretisierung, wurde mir schnell klar. Sie lassen an sich viel Raum für Interpretationen, und das ist auch so gedacht. Denn schließlich entwickelt sich eine Gesellschaft ja weiter, und man will nicht alle 5 Jahre eine neue Verfassung schreiben müssen. Also muss man das Grundgesetz immer neu im Licht der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen und Befindlichkeiten interpretieren. Andererseits sollten Grundsätze wie die Menschenwürde auch nicht bloße Erklärungen sein, die je nach Belieben verändert werden können. Deshalb gibt es die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es versucht, in seinen Urteilen und Entscheidungen die Verfassungsprinzipien auszulegen. Und natürlich gibt es da noch die Grundgesetzkommentare. Hier befassen sich die besten Staatsrechtler mit den Bestimmungen des Grundgesetzes und definieren und interpretieren sie, quasi als Hilfe für das höchste deutsche Gericht. Diese Kommentare schaffen kein Recht, aber sie bewirken oft im Laufe von Jahrzehnten die Veränderungen in der Sichtweise auf einen Artikel des Grundgesetzes.

Um zu verstehen, worüber sich die Juristen streiten, muss man erst einmal sagen, was diese „Würde des Menschen“ überhaupt ist. Und dabei stoßen wir auf eine große Schwierigkeit: Es gibt keine einfache Definition. In der Antike hatte der Mensch deshalb eine besondere Würde, weil er gegenüber den Tieren beseelt und mit Vernunft ausgestattet war. Christliche Rechtsgelehrte leiteten die Menschenwürde aus der Gottesebenbildlichkeit des Menschen her. Im Mittelalter kam die Vorstellung hinzu, dass der Mensch eine Entscheidungsfreiheit hat, im Gegensatz zu den Tieren. Eine Entscheidungsfreiheit auch dafür, das Vernünftige zu tun und sich Gesetzen zu unterwerfen, wie Immanuel Kant es ausdrückte. Er nannte das die „sittliche Autonomie“ des Menschen. Wer über Würde verfüge, so Kant, der könne anderes Leben zu seinem Zwecke gebrauchen, der Mensch dürfe aber selbst nie zum Objekt des Zwecks eines Anderen werden. Nach dem Aufflammen der Arbeiterbewegung wurde der Begriff „Menschenwürde“ politisch und verband sich mit dem Begriff „Gerechtigkeit“. Der Mensch mit Würde müsse auch menschenwürdig leben, nicht wie Vieh, sondern gleich mit allen anderen Menschen. „Menschenwürde“ wird heute allgemein so verstanden, dass sie jedem Menschen von Anfang an innewohnt, dass dafür keine Leistung erbracht und kein Intelligenzquotient erreicht sein muss. Allein die Zugehörigkeit zur menschlichen Familie beinhaltet bereits das Vorhandensein der Menschenwürde. Gewissermaßen ist sie von Gott gegeben, jeder von Menschen gemachten Regelung, jedem Gesetz entzogen und daher unveräußerlich. Sie kann nicht angetastet werden, kein Mensch ist dazu im Stande. Damit genießt die Menschenwürde als Ursprung und Wurzel der Menschenrechte einen übergesetzlichen Status auch in der Rechtsphilosophie. Sie liegt außerhalb des von Menschen geschaffenen Rechtes, gilt daher von der Zeugung und bis über den Tod hinaus, verdient unbedingte Beachtung und ist uneinschränkbar. Sie findet ihre Ausgestaltung in den eng damit verknüpften natürlichen Rechten auf Leben, freie Entfaltung der Person, soziale Sicherheit und Schutz vor Willkür. Sie verbietet Folter, Erniedrigung und andere unmenschliche Behandlungen. Bei Gerichtsprozessen wird in der Regel gefragt, ob die Menschenwürde durch eine bestimmte Maßnahme verletzt ist, durch die Abwehr konkreter Verletzungen wird sie definiert. Da die Menschenwürde ein Wesensmerkmal des Menschen ist, findet sie uneingeschränkt auf alle Menschen anwendung, sobald sie zu Menschen geworden sind. Von der Verschmelzung der Ei- und der Samenzelle an ist das werdende Leben ein Mensch, es kann nichts anderes entstehen. Somit ist von diesem Augenblick an jede erniedrigende und menschenunwürdige Behandlung verboten, jedes Herabwürdigen zum Objekt menschlichen Handelns. Darunter fällt das Klonen ebenso wie die Präimplantationsdiagnostik oder die Stammzellforschung, und im Grunde auch die Abtreibung. Es gibt Rechtstheoretiker, die auch die Verhütung auf diese Weise für Unrecht erklären wollen, denn die Verhütungsmedikamente unterbinden nicht die Zellverschmelzung, lediglich die Einnistung des Embryos in die Gebärmutter.

Diese Auffassung der Menschenwürde war bis vor wenigen Jahren unumstritten. Bei der Übertragung in staatliches Recht gab es hier und da Abstriche, z. B. die Zulassung der Abtreibung unter bestimmten Bedingungen, aber im Kern blieb die „Würde des Menschen“ übergesetzlich und naturrechtlich verankert, ein Wertbegriff, vor dem jedes Recht des Menschen zurückweichen musste.

Nun hat vor wenigen Jahren ein bonner Staatsrechtslehrer namens Matthias Herdegen im wohl bekanntesten Grundgesetzkommentar Maunz/Dürig eine Neuinterpretation des Artikels 1 Absatz 1 des Grundgesetzes vorgenommen. Er beschreibt die naturrechtliche Verankerung der Menschenwürde zwar als eine Vorstellung mit bis heute nachwirkender Strahlkraft, erklärt aber gleichzeitig, dass auch bei der Menschenwürde lediglich der Verfassungstext und damit das positive Recht maßgeblich ist. Die sogenannten Rechtspositivisten unter den Staatsrechtlern sind der Ansicht, dass alles das, und nur das, recht ist, was im Gesetz steht. Ein Beispiel: Wenn es ein neues Anti-Terror-Gesetz erlauben würde, Verdächtige bei Gefahr im Verzuge zu foltern, um einen geplanten Anschlag zu verhindern, und wenn dieses Gesetz formal korrekt zustande gekommen wäre, würden die Rechtspositivisten sagen, dass es zunächst einmal Gültigkeit hat, und zwar trotz moralischer Bedenken. Natürlich kann dann das Bundesverfassungsgericht ein solches Gesetz immer noch aufheben, und zwar wegen Verstoß gegen höherrangiges Verfassungsrecht, zum Beispiel gegen die Menschenwürde, aber bis dahin ist ein solches Gesetz in ihren Augen Recht. Anders die Verfechter der Naturrechtstheorie, die der Meinung sind, dass ein Gesetz, das offensichtlich gegen die übergesetzliche, also moralisch begründete, Menschenwürde verstößt, von vorneherein Unrecht ist. Würde sich Matthias Herdegen mit seiner Interpretation des Begriffs der Menschenwürde durchsetzen, wäre sie fortan durch Gesetze interpretierbar, durch Gerichtsentscheidungen ebenfalls. Da sie bislang als übergesetzliches Prinzip galt, war sie der Interpretation durch das Verfassungsgericht zumindest theoretisch entzogen. Künftig könnte das Gericht die Würde gewichten, beispielsweise nach der Formel: Viele Menschenleben sind mehr Wert als die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen. Folter wäre also dann mit dem Hinweis auf die möglichen Terroropfer gerechtfertigt. Davor schützt nur der Absolutheitsanspruch, den die Menschenwürde bislang für jedes einzelne Individuum darstellte. Für Matthias Herdegen ist die Menschenwürde ein einfaches Verfassungsprinzip, vielleicht sogar das höchste Verfassungsprinzip, das besondere Beachtung verdient. Doch auch die Menschenwürde ist seiner Ansicht nach ein von Menschen ins geltende Recht aufgenommenes Prinzip, es steht gleichwertig neben den anderen Grundrechten. Weil es Recht ist, muss es beachtet werden, es ist aber Gewichtungen und Interpretationen zugänglich, wie jede andere Verfassungsnorm auch, die von Menschen geschaffen ist. Die Menschenwürde wird damit dem Zeitgeist und der gesellschaftlichen Entwicklung preisgegeben, wie alle anderen Verfassungsbestimmungen auch. In 30 Jahren müssen wir nicht mehr dasselbe unter Menschenwürde verstehen wie heute, auch wenn sich am Verfassungstext nichts geändert hat. Nur ein absolutes Prinzip, das den Interpretationen der Juristen und Politiker entzogen ist, bietet nach Ansicht der Naturrechtler Halt im Strom des sich rapide verändernden Zeitgeistes. Für sie haben bestimmte Rechtsprinzipien eine Qualität jenseits des geschriebenen Rechts, und die Menschenwürde gehört dazu.

Der Streit zwischen den gegensätzlichen Auffassungen scheint unmöglich beizulegen zu sein. Bei Durchsetzung der rechtspositivistischen Position ist auf lange Sicht eine Umgehung des strikten Folterverbots möglich, was Herdegen in seinem Grundgesetzkommentar auch schon für machbar hält, wenn auch unter schweren Bedenken. Der Genforschung am Menschen, dem Klonen, der Eugenik in ihrer Gesamtheit könnte durch den Rechtspositivismus auf lange Sicht Tür und Tor geöffnet werden. Wenn man beispielsweise die Menschenwürde wie der australische Philosoph Peter Singer an die Nützlichkeit für die Gemeinschaft knüpft, wäre die Tötung von Kindern mit schweren geistigen Schädigungen theoretisch möglich. Um Krankheiten zu vermeiden könnten dann nach einer Präimplantationsdiagnose Menschen ebenso verworfen werden, wie im Falle eines körperlichen Schadens, der gesellschaftlich nicht wohl gelitten ist. Man könnte argumentieren, dass dem so werdenden Menschen kein menschenwürdiges Leben in dieser Gesellschaft möglich wäre, weil die Gesellschaft ihn wegen seiner Hässlichkeit, seiner Behinderung oder wegen sonstiger körperlicher Mängel ablehne. Rechtspositivistisch könnte man also den Verfassungsgrundsatz der Menschenwürde gegen die natürlich entstandenen Menschen selbst richten.

Andererseits hat auch die Naturrechtsauffassung von der Menschenwürde ihre Tücken. In letzter Konsequenz kann ein Verfassungsgericht wie oben beschrieben auf ihrer Grundlage Abtreibung, Verhütung und Samenspende verhindern, da der Mensch in die vorgesetzlich ffestgelegte, Gottgegebene Menschenwürde nicht eingreifen darf. Diese radikale Auffassung ist, da muss man Matthias Herdegen wohl recht geben, heute nicht mehr zeitgemäß. Was also ist die Alternative?

Für mich persönlich ist die Menschenwürde ein unantastbares Gut, sie soll nicht interpretiert werden, sie steht allen Menschen zu. Meiner persönlichen Auffassung nach ist der Staat unabänderlich gehalten, die Menschenwürde im vollen Umfang zu bewahren, sie ist nicht von einer Leistung des Einzelnen oder seinen körperlichen oder geistigen Fähigkeiten abhängig. Die Tatsache des Menschenttums allein genügt mir, um sie für alle anzunehmen. Es bedarf dazu keines Gottes als Herleitung, sondern nur eines gesunden Menschenverstandes, um eine solche Unantastbarkeit für alle Menschen anzunehmen. Meine eigene persönliche Einschätzung geht sogar noch weiter, denn ich glaube fest daran, dass alles Leben eine grundsätzliche Würde verdient hat. Natürlich töten wir Tiere und nutzen Pflanzen, wir machen sie zum Objekt unserer Zwecke und behandeln sie daher im kantschen Sinne nicht wie Lebewesen mit Würde. Doch ich glaube fest, dass ein Kern dieser Würde auch ihnen zusteht, indem man die unwürdige Behandlung auf das zur Erreichung des für Menschen notwendigen Zwecks erforderliche Maß begrenzt. Damit wären Tierversuche für Kosmetika oder die Jagd nach Tieren aus Jagdlust ausgeschlossen. Außerdem glaube ich, dass jede Lebensart als Art ein Lebensrecht hat. Für mich verstößt die Ausrottung einer Tier- oder Pflanzenart ebenfalls gegen ihre Würde.

Doch zurück zur „Würde des Menschen“: Wenn alle Menschen sie besitzen, wie kann man dann Abtreibungen, Verhütungen, Präimplantationsdiagnose und Stammzellenforschung zulassen? Wenn die Menschenwürde einer Interpretation, einer Gewichtung und einer rechtlichen Bewertung und Einschränkung entzogen sein soll, muss sie auch bereits für Zweizeller gelten, kurz nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle also. Ich glaube, dass zur Inanspruchnahme der Menschenwürde ein Selbstempfinden gehört. Ich will nicht vom Selbstbewusstsein sprechen, von der Selbsterkenntnis schon gar nicht. Man kann auch Schmerz empfinden, beispielsweise als Tier, Pflanze oder Neugeborenes, aber auch schon im Mutterleib, ohne sich seiner selbst als eigenständiges Individuum voll bewusst zu sein. Die Empfindungsfähigkeit setzt vermutlich schon wesentlich früher ein. Sie wäre für mich eine Richtschnur im Bezug auf Eingriffe in das werdende Leben. Außerdem muss man, so schwer das fällt, medizinische Abwägungen treffen. Allerdings meine ich damit nur solche, bei denen es vor der Geburt um Leben und Tod des Kindes und oder der werdenden Mutter geht. Es hat eine Zeit gegeben, in der ich zum Beispiel für eine einfache Fristenlösung bei der Abtreibung eingetreten bin. Angesichts der Tatsache, wie heute bereits mit der Würde geborener Menschen umgegangen wird, und wie man über ungeborenes Leben mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland als Argument Entscheidungen von höchster Tragweite fällt, ist meine Ansicht inzwischen differenzierter. Ohne Bedenken kann ich nur noch eine Abtreibung befürworten, solange sie vor der Empfindungsfähigkeit des Menschen durchgeführt wird, in allen anderen möglichen Fällen ist für mich eine kriminelle, medizinische oder soziale Indikation notwendig: Die Abtreibung wäre also nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für Leib und Leben der Mutter oder bei der Unmöglichkeit des menschenwürdigen Lebens des Kindes nach der Geburt zulässig. Und zumindest im letzten Fall halte ich die Verpflichtung des Staates für wichtiger, ein menschenwürdiges Leben jedes Neugeborenen zu garantieren.

Es ist mir nicht leicht gefallen, eine solch konservative Position einzunehmen, und ich fühle mich auch nicht ganz wohl damit. Der Grund dafür aber ist einfach. Zwar sind Menschen mit Vernunft gesegnet, auch mit der Vernunft, sich Gesetzen und Einschränkungen zu unterwerfen, und sie besitzen die oben erwähnte sittliche Autonomie. Solange es aber keine vom Staat vorgegebenen sittlichen Regeln gibt, denen man sich freiwillig unterwerfen kann, kommt der Einzelne nicht auf eine solche Idee. Als Einzelwesen ist der Mensch nur auf seinen Vorteil bedacht, und auch innerhalb eines Gemeinwesens versucht jeder immer wieder, diesen persönlichen Vorteil so weit es geht durchzusetzen und die Gesetze auszutricksen. Kaum ein Mensch besitzt die natürliche, nicht durch Gesetze motivierte Vernunft und Reife, einen anderen Menschen würdig zu behandeln. Das ist eine bittere Erkenntnis, aber sie stützt sich auf persönliche Lebenserfahrungen ebenso wie auf die Beobachtung des Weltgeschehens. Daher kann die Menschenwürde ihre volle Kraft nur dort entfalten, wo es Gesetze gibt, die zu ihrer Einhaltung verpflichten. Gesetze, über die innerhalb der Gemeinschaft ein so breiter Konsens herrscht, dass man sie nicht durch Zwangsmaßnahmen durchsetzen muss, weil sie von den Allermeisten bereitwillig und aus Vernunftgründen akzeptiert werden. In diesem Sinne stehe ich auch dem Motto von Joachim Gauck positiv gegenüber, der von einer Freiheit des Einzelnen in Verantwortung spricht. Verantwortung ist hier aber nicht im neoliberalen Sinne gemeint, wo jegliche Hilfe für den Benachteiligten ausgeschlossen wird, sondern sie bezieht sich auf die sittliche und moralische Weiterentwicklung des Gemeinwesens. Um dies zu erreichen muss jeder der vernünftigen Einschränkung der persönlichen Freiheit in vertretbarem Maße zustimmen.

Obwohl mir auch dies nicht gefällt, bin ich vermutlich ein Anhänger des Naturrechts. Ich bin fest davon überzeugt, dass es Prinzipien gibt, die allgemein vorhanden sein sollten, auch bevor sie durch das Recht eine konkrete Ausgestaltung erfahren. Sie leben bereits im Empfinden jedes einzelnen Menschen vor der Normierung durch Gesetze. Es ist das Selbstbewusstsein und der Selbstschutz, aus dem man die Menschenwürde herleiten kann, ein Sinn für Gerechtigkeit, der Wunsch nach einem guten und glücklichen Leben. Ausgedrückt werden diese meiner Ansicht nach jedem Menschen innewohnenden Empfindungen im allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und dem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz, wobei Gerechtigkeit weit darüber hinaus geht. Natürlich kann die Rechtsprechung nicht die Herstellung von Gerechtigkeit gewährleisten, zumal dieses Prinzip für jeden Menschen etwas Anderes bedeutet. Sie versucht mit dem Recht einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Das gesetzliche Recht aber wird von den Regierenden gemacht und kann gar nicht und wird niemals das Gerechtigkeitsempfinden der Regierrten vollständig abbilden. Die anderen Rechte hingegen, das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung, auf Leben und Gesundheit, auf ein gutes und glückliches Leben und auf die Beachtung der eigenen Person als Subjekt mit eigener Würde, diese Rechte sind objektiv zu gewährleisten. Sie sind, abgesehen von der Würde, mit der Einschränkung verbunden, dass das Recht des Einzelnen an seine Schranken stößt, wo das Recht eines Anderen verletzt wird. Die Menschenwürde sollte hingegen ihren Absolutheitsanspruch nicht verlieren. Sie bedarf keines Gesetzes um sie zu begründen, aber sie bedarf des Gesetzes, um sie zu schützen und zu achten.

 

Lesetipp: Die Zeit Nr. 38 / 2003:

Menschenwürde: Wahret die Anfänge

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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