Gelebte Verfassung 2: Parteien

Unter dem Titel „gelebte Verfassung“ möchte ich die derzeit in der staatspraxis meiner Ansicht nach angewandte Verfassung darstellen. Ich nehme mir in jedem Posting einen Artikel vor, der vom offiziellen Grundgesetz abweicht, und schreibe ihn so, wie ich finde, dass er tatsächlich „gelebt“ wird. So wird der Unterschied zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit deutlich, wie ich ihn erlebe. Damit möchte ich keinen sozialistischen Bestrebungen Vorschub leisten. Ich für meinen Teil stehe fest zu dem, was in diesen Texten das offizielle Grundgesetz genannt wird. Im zweiten Teil befasse ich mich mit den Parteien.

„Artikel 2: Parteien

(1) Die Parteien betreiben die Meinungsbildung des Volkes im Sinne der Staatsgewalt. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss hierarchisch aufgebaut sein. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen keinerlei nachprüfbare Rechenschaft geben.
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die neoliberale Staatsform zu kritisieren, sind verfassungsfeindlich. Parteien, die diese Staatsform beeinträchtigen oder gar beseitigen wollen, sind verfassungswidrig. Über die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei entscheidet die Bundesregierung mit dem Verfassungsschutz. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
(3) Parteien, die die neoliberale Staatsform befürworten, jedoch gegen den Gedanken der Demokratie oder der Völkerverständigung eingestellt sind, sind zugelassen.
(4) Das nähere regeln Bundesgesetze.“

Kommentar: Im folgenden werden die Bestimmungen dieses Artikels anhand der Verfassungswirklichkeit erläutert und ihr Unterschied zum offiziellen Grundgesetz herausgearbeitet.

Zu Absatz 1: Hier werden Aufgabe, Aufbau und Finanzgebaren der Parteien erläutert.
Die parteien betreiben die Meinungsbildung des Volkes im Sinne der Staatsgewalt. Ihre Pflicht ist es, dem Normalbürger die Entscheidungen der eigentlichen Staatsgewalt zu vermitteln. Somit erfüllen sie einen besonderen Zweck, denn sie tragen zur Wahrung des sozialen Friedens bei, auf den sich die neoliberale Staatsform stützt. Die Vermittlung des Willens soll in der Regel nach offiziellem Grundgesetz so erfolgen, dass der Normalbürger die Willensbildung für demokratisch halten kann. Parteien greifen latente Strömungen im Volke auf, Meinungen, die durch Ängste und Vorurteile entstehen, und nutzen sie zur Erklärung der Notwendigkeit von Maßnahmen, die die Staatsgewalt vorsieht, gerade auf wirtschaftlichem oder sozialpolitischem Gebiet. Dies kann aber auch im Bereich Ausländerrecht, internationale Kriegseinsätze und Entwicklungshilfe angewandt werden. Gleichzeitig sind Parteien dafür zuständig, die entscheidungen der europäischen Beamtenoligarchie in Deutschland umzusetzen und ihnen zu möglichst großer Popularität zu verhelfen. Für die Erfüllung dieser Aufgaben werden die Parteien mit einer großzügigen Zuwendung aus der Staatskasse entlohnt und können politisch handelnde Personen, die sich um die Durchsetzung der Ziele der Staatsgewalt verdient gemacht haben, finanziell besser stellen.
Die Gründung von Parteien ist frei. Jeder Normalbürger kann eine Partei gründen, wenn die bürokratischen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Überprüfung, ob die Partei den Zielen der Staatsgewalt dienlich ist, erfolgt erst, wenn sie in der Lage ist, einen Einfluss auszuüben. Ein grundsätzliches Bekenntnis zur Verfassung ist allerdings bei Parteigründung abzulegen.
Die innere Ordnung einer Partei muss hierarchisch aufgebaut sein. Während das offizielle Grundgesetz von demokratischen Strukturen ausgeht, hat sich deren Schwerfälligkeit im modernen Wirtschaftsbetrieb gezeigt. Daher sind Parteien formal demokratisch, in Wahrheit jedoch hierarchisch zu organisieren. Die Macht in den Parteien liegt in den Händen der Vorstände und der Fraktionsspitzen im Bundestag, sofern sie über solche verfügen. Die Vorstände und Fraktionsführungen sorgen für die Aufstellung der richtigen Kandidaten für die sogenannten gesetzgebenden Körperschaften, die die Vorschriften der Staatsgewalt formal bestätigen müssen. Gleichzeitig demonstrieren sie der Öffentlichkeit eine Einheitlichkeit der Meinung innerhalb der Partei, die für den Erhalt des sozialen und politischen Friedens notwendig ist. Allerdings wird diese Regel nicht starr angewandt. Solange eine Partei keine Fraktion im Bundestag besitzt, oder soweit sie nicht beansprucht, an Organen der vollziehenden Gewalt teilzunehmen, ist die Einhaltung der Hierarchieregel flexibel zu handhaben. Solange der Wille der Staatsgewalt nicht gefährdet ist, können auch Normalbürger in unbedeutenden Parteien ihre Stimme und ihre Ansichten einbringen.
Die Parteien müssen keine nachprüfbare Rechenschaft über Herkunft und Verwendung ihrer Mittel geben. Zwar sind sie laut offiziellem Grundgesetz dazu verpflichtet, zur Aufrechterhaltung des Politbetriebs ist allerdings ein Rechenschaftsbericht, der Herkunft und Verwendung von Mitteln schlüssig darlegt, ausreichend. Ein solcher Rechenschaftsbericht muss keineswegs den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Insbesondere Parteizuwendungen von Lobbyverbänden und Unternehmen werden von den Parteien vertraulich behandelt, eine ehrenwörtliche Versicherung ist bindend. Gerichte sind gehalten, Parteien so weit es eben möglich ist förmlich zu entlasten, um den Politbetrieb nicht zu stören und die Umsetzung der Maßnahmen der Staatsgewalt nicht zu behindern. Die notwendigkeit, den Politbetrieb nach den formalen Regeln des offiziellen Grundgesetzes zu organisieren, verlangt von den Parteien, ihre Rechenschaftsberichte nicht zu durchsichtig abzufassen, damit ihnen ein Verstoß gegen das offizielle Grundgesetz nicht einfach nachgewiesen werden kann.

Zu Absatz 2: Hier wird das Verbot von Parteien behandelt.
Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die neoliberale Staatsform zu kritisieren, sind verfassungsfeindlich. Kritik an der neoliberalen Ordnung stellt die Grundsätze nach Artikel 1 in Frage. Es handelt sich also um den Wunsch nach einem Systemwechsel. Da die Staatsorgane hier die Pflicht zum Widerstand haben, sind abgestufte Maßnahmen gegen solche Parteien unerlässlich. Anhänger von Parteien sind solche Personen, die entweder Mitglied einer Partei sind oder sich in irgendeiner Weise für die Ziele einer Partei öffentlich engagieren. Gemeint sind hier sogenannte linksgerichtete Tendenzen. Die Ziele einer Partei lassen sich nicht nur in ihrem geschriebenen Programm definieren, sondern auch in Abstimmungen in den sogenannten gesetzgebenden Körperschaften, bei Aktionen, die von der Partei außerhalb des Parlaments unterstützt werden, durch Reden, die auf Veranstaltungen von Parteioffiziellen oder -Sympathisanten gehalten werden. Kritik an der neoliberalen Ordnung beginnt im Sinne dieser Verfassung dann, wenn eine Partei oder ihre Anhänger eine Veränderung des Wirtschafts- oder Sozialsystems für wünschenswert erachten, durch die eine Umverteilung finanzieller wie sächlicher Mittel hin zu den sogenannten unteren Einkommensschichten möglich gemacht werden soll. Verfassungsfeindlich im Sinne dieses Artikels bedeutet, dass eine Partei als gefährlich durch ihre kritischen Äußerungen eingestuft wird. Eine verfassungsfeindliche Partei kann zur Aufrechterhaltung des Politbetriebes nach offiziellem Grundgesetz nicht sofort verboten werden. Darum werden verfassungsfeindliche Parteien durch den Verfassungsschutz beobachtet. Ziel dieser Beobachtung ist das Sammeln von Indizien, die zu einem möglichst raschen Verbot dieser potentiell gefährlichen Partei führen können, sowie die Einschleusung von Personen, die dann scheinbar im Auftrage der Partei besonders extrem auftreten, um einen Vorwand für ein späteres Verbot zu liefern. Es wird eine Einstufung als extremistisch oder terroristisch angestrebt.
Parteien, die die Ordnung beeinträchtigen oder gar beseitigen wollen, sind verfassungswidrig. Solche Parteien sind durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit zu verbieten. Hier kann das Prozedere des offiziellen Grundgesetzes angewandt werden.
Über die Frage der Verfassungsfeindlichkeit entscheidet die Bundesregierung mit dem Verfassungsschutz. Sie ist das Exekutivorgan der eigentlichen Staatsgewalt und kann am besten einschätzen, wann Parteien gefährlich für die neoliberale Ordnung zu werden beginnen. Die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit trifft weiterhin das Bundesverfassungsgericht.

Zu Absatz 3: Hier wird eine wichtige Ausnahme von der Verfassungsfeindlichkeit bestimmt.
Parteien, die die neoliberale Staatsform befürworten, jedoch gegen den Gedanken der Demokratie oder der Völkerverständigung eingestellt sind, sind zugelassen. Diese Regelung dient mehreren Zwecken. Zum Einen werden hierdurch der vollziehenden Gewalt Personen und Personengruppen zur Seite gestellt, die ein starkes Durchsetzungsvermögen haben und die wirtschaftlichen Ziele dieser Verfassung unterstützen. Desweiteren dienen solche Parteien, gemeint sind sogenannte rechtspopulistische Parteien, der Kanalisierung der Unzufriedenheit unter den Normalbürgern. Sie wecken Ressentiments und Hassgefühle, die sich gegen andersartige Menschen und den verlogenen Politzirkus richten, anstatt die Wirtschaftsmacht anzugreifen. Diese Parteien, so sehr sie auch von offiziellen Stellen und anderen Parteien geächtet werden, tragen so zur sozialen Stabilisierung und zur Erhaltung der Ordnung bei. Solche Parteien sind zwar offiziell verfassungsfeindlich zu nennen, werden aber nicht verboten. Verbotsanträge können mit Hinweis auf zu wenig Beweise oder zu viele sogenannte V-Leute umgangen werden. Rechtspopulistische Parteien bieten außerdem die Möglichkeit für die etablierten Parteien, ein Feindbild zu besitzen, mit dessen Hilfe sie sich gegenüber dem Normalbürger profilieren können. Eine rechtspopulistische Partei wird allerdings untragbar, wenn sie offen Gewalt gegen den Staat durchführt oder öffentlich unterstützt.

Zu Absatz 4: Hier wird eine Ermessenserweiterung durchgeführt.
Das Nähere regeln Bundesgesetze bedeutet die Möglichkeit für die Staatsorgane, das Parteienwesen flexibel zu handhaben. Die Ausgestaltung der Rechenschaftspflicht, die Folgen der Erklärung der Verfassungswidrig- oder -feindlichkeit, all dies kann auf einfach gesetzliche Art und Weise geregelt und auch wieder verändert werden.

Und hier der zugehörige Artikel im offiziellen Grundgesetz:

„Art 21
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere
Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer
Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche
demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik
Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das
Bundesverfassungsgericht.
(3) Das Nähere regeln Bundesgesetze.“

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Gelebte Verfassung 2: Parteien

  1. Der Titel „gelebte Verfassung“ klingt viel zu positiv. Einige Ausführungen sind natürlich wieder etwas überspitzt, aber auf jeden Fall sollte man darüber nachdenken. zumal die regierenden Parteien in Hessen ja auch Universitätskliniken privatisiert und der Weiterveräußerung ausgeliefert haben.
    Ein Aspekt fehlt noch: Parteien müssen immer so tun, als verfolgten sie völlig andere inhaltliche Ziele als jede andere, damit die Wähler glauben, sie hätten eine Wahl.
    fjh

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