Die Finanztransaktionssteuer ist Augenwischerei

Den folgenden Kommentar habe ich für ohrfunk.de geschrieben und dort am 12. Juni 2012 veröffentlicht.

Ich muss es mal so deutlich sagen: Politik macht keinen Spaß mehr. Ich wünschte mir, ich könnte mal wieder über etwas Anderes berichten als über Euro-, Finanz-, Schulden- und Wirtschaftskrise, korrupte Banken, Rettungsschirme, skrupellose Politiker und sonstigen Dreck. Ich wünschte mir einen Erfolg der Gerechtigkeit und Menschlichkeit.

Halt, da war doch was. Eine Nachricht, die im Gewühl der Krisenrhetorik unterging. Die FDP hat, so hieß es in dieser Woche, ihren Widerstand gegen die Einführung einer nationalen oder auf halb Europa begrenzten Finanztransaktionssteuer aufgegeben. Im Gegenzug werden SPD und Grüne der Einführung des europäischen Stabilitätspakts zustimmen. Endlich, so können sich Organisationen wie Attac freuen, endlich wird eine ihrer Kernforderungen erfüllt, es wird eine ganz geringe Steuer auf Spekulationstransaktionen erhoben, die diese Geldgeschäfte unrentabel machen soll. Dem Staat soll das jährlich rund 50 Milliarden Euro bringen, man könnte dann ganz auf eine Neuverschuldung verzichten. Endlich sind wir auf dem Weg in eine bessere Zukunft, herzlichen Glückwunsch.

Den ersten Einwand gegen diese Euphorie kann man noch relativ leicht abwehren. Er lautet: „Was nützt uns eine solche Steuer, wenn nur wenige mitmachen? Dann werden die Geschäfte eben an ausländischen Börsenstandorten getätigt.“ Das hilft aber nicht. Es gilt nämlich das Herkunftslandprinzip. Die Steuer, die nur 0,1 % des Umsatzwertes entspricht, wird bei allen Geschäften fällig, bei denen ein Partner aus den Ländern kommt, die diese Steuer eingeführt haben, ganz egal wo auf der Welt das Geschäft getätigt wird. Man müsste schon den Sitz der Bank wechseln, die die Geschäfte tätigt, aber dann würden auch europäische Subventionen und Vergünstigungen wegfallen.

Der zweite Einwand ist schon schwerer zu enttkräften: „Wenn wir eine solche Steuer einführen, und wenn sie spekulative Finanzgeschäfte relativ weitgehend unrentabel macht, wie kommen die Befürworter dann darauf zu behaupten, sie würde bis zu 50 Milliarden Euro jährlich in die Staatskasse spülen?“ Das stimmt. Die Argumentation ist so doppelbödig wie bei der Tabaksteuer: Der Gesetzgeber hofft ja geradezu, dass mehr Leute rauchen, damit Geld in die Staatskasse kommt. Aber wer wird nach der Einführung der auch so genannten Tobinsteuer noch riskante Finanzgeschäfte durchführen? Diese Steuer muss also so beschaffen sein, dass sie zwar ein wenig Geld bringt, das Zocken an den Finanzmärkten aber nicht wesentlich eindämmt. Im Klartext muss es sich, wenn es für den Staat halbwegs rentabel sein soll, um Augenwischerei handeln.

Und damit löst sich die Hoffnung, wir hätten es beim Beschluss zur Einführung der Finanztransaktionssteuer mit einem bedeutenden Fortschritt zu tun, in Wohlgefallen auf. Es handelt sich um ein einfaches politisches Manöver, und es ist zudem auch noch durchsichtig. Die Regierung hat kein Interesse an der Einführung dieser Steuer. Sie hat ausschließlich Interesse an der Zustimmung der Opposition zum Stabilitätspakt. Und da sich viele frühere Sozialisten und Sozialdemokraten fröhlich am Finanzpoker beteiligen, liegt es nahe, dass auch die Opposition die Steuer als wirksames Argument gar nicht will. Sie will ihren Lippenbekenntnissen nur scheinbar Taten folgen lassen. Taten, die ihren Wählern wenigstens einen kleinen Grund geben, sie zu wählen. Folgerichtig hat Bundesfinanzminister Schäuble inzwischen auch schon öffentlich gesagt, dass es wahrscheinlich keine Finanztransaktionssteuer geben wird.

Aber, und damit ist das Projekt dann völlig demontiert, es ist nicht einmal klar, ob die Steuer, in welchem Gewand auch immer, überhaupt eingeführt werden wird. Die Abstimmung über den Stabilitätspakt ist noch vor der parlamentarischen Sommerpause. Eine Abstimmung über ein Gesetz zur Einführung der Tobinsteuer wird sicher noch zwei bis drei Jahre auf sich warten lassen, bis die möglichen Verhandlungen mit den anderen Euroländern abgeschlossen sind. Bis dahin haben alle Beteiligten das Projekt wieder vergessen, einschließlich der Öffentlichkeit und der Medien.

Ich glaube, und das tut mir leid für alle politischen Optimisten, dass es keine Finanztransaktionssteuer geben wird, die ihren Namen verdient. Dabei verliert die Klientel aller Parteien. Am einfachsten ist es, das Projekt einfach in der Versenkung verschwinden zu lassen. Gut fürs Image könnte es aber auch sein, die Steuer offiziell, gewissermaßen als ein Feigenblatt für politische Schamlosigkeit, tatsächlich in einer Höhe einzuführen, die den Spekulanten nicht weh tut.

Glauben Sie mir: Ich verfluche es Tag für Tag mehr, keinen politischen Idealismus mehr zu besitzen.

Schöne Krise!

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
Dieser Beitrag wurde unter erlebte Geschichte, Politik abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar