Attacke gegen selbstständige Aufstocker

Eigentlich würde ich Ihnen gern etwas über den Curiosity Rover erzählen, Sie wissen schon, das NASA-Fahrzeug, das am Montag auf dem Mars gelandet ist. Es ist nicht das erste seiner Art, aber wohl das Erfolgreichste, obwohl es erst wenige Tage auf dem roten Planeten ist. Schwärmen möchte ich von den Möglichkeiten der Wissenschaft, von den Fantasien einer künftigen bemannten Raumfahrt. Das tät mir gefallen. – – Aber das Kabinett hat mal wieder Ursula von der Leine gelassen, und als guter Manndecker, bitte verstehen Sie das jetzt nicht miss im Bezug auf die Arbeitsministerin, folge ich natürlich jedem Schritt der Bundesregierung und ihrer exponiertesten Vertreterinnen und Vertreter. Na, Ursula? Womit beglückst du uns denn heute?

Mit einem jener Vorschläge und Anregungen, die seit 2004 das Sommerloch füllen, seit der damalige Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Klement rüde Stimmung gegen Arbeitslose machte. Eben jener Wolfgang Clement, der heute Chef der arbeitgebernahen „Initiative neue Soziale Marktwirtschaft“ ist, die im Gegensatz zu ihrem Namen das Ende des Sozialstaates propagiert. Seit seinen böswilligen und verleumderischen Attacken gegen Menschen ohne Arbeit sind sich Politikerinnen und Politiker aller Parteien nicht zu schade, diese Gemeinheiten Jahr für Jahr zu wiederholen. Auch werden gern einmal Vorschläge gemacht, die natürlich gegen das Grundgesetz verstoßen, die aber durchgeführt werden können, wenn sich niemand wehrt. Und mit den Vorschlägen und Attacken wird ein gesellschaftliches Klima der Einschüchterung und Lähmung geschaffen, dass es den Protagonistinnen und Protagonisten dieser neoliberalen Politik leicht macht, ihre Pläne umzusetzen. In diesem Zusammenhang ist auch der Vorstoß von Ursula von der Leyen zu verstehen, die plötzlich erkannt hat, dass es unter den Beziehern des Arbeitslosengeldes II zu viele Aufstocker gibt, also Menschen, die einer Tätigkeit nachgehen, deren Lohn aber nicht für den Lebensunterhalt reicht, sodass aus der Staatskasse aufgestockt werden muss. Es handelt sich also um Menschen, die zwar Teilzeit oder Vollzeit arbeiten, die aber nicht mehr Geld in der Tasche haben als alle anderen ALG-II-Bezieher auch. 125.000 von ihnen sind Selbstständige, deren Verdienst nicht zum Leben reicht. Denen möchte die Ministerin jetzt offenbar die ALG-II-Bezüge streichen. In den Jobcentern befürchte man, dass sich Selbstständige ihr Einkommen herunterrechneten, um auch weiterhin ALG II beziehen zu können, verriet vor einiger Zeit der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt. Und Bundesarbeitsministerin von der Leyen erklärte: „Wenn man nur eine Selbstständigkeit hat, die unter 400 Euro Ertrag bringt, dann muss man aber im Alltag auch von etwas anderem leben — und da müssen wir uns gemeinsam die Frage stellen, stimmt dieses Geschäftsmodell. Denn die Rechnung, ich hab 300 oder 400 Euro aus meiner Selbständigkeit und der Rest ist Hartz IV — das wird auf die Dauer nicht gehen, das wird dann auch bei der Rente nicht reichen. Hier möchte ich nur in die Diskussion werfen, dass wir im Augenblick eine Million offene Stellen auf dem Arbeitsmarkt haben…“ Stellen, wie ich gehässig hinzufügen möchte, die auch nicht besser bezahlt werden. Wer hat denn das Lohnniveau in Deutschland so gedrückt, dass niemand mehr, sei er oder sie selbstständig oder angestellt, von seiner Arbeit noch vernünftig leben kann? Wer hat denn dafür gesorgt, dass auch kleine selbstständige Unternehmer ihre Leistungen zu immer niedrigeren Preisen anbieten müssen, um auf dem ach so gepriesenen internationalen Markt bestehen zu können? Man hat den Menschen den Stolz systematisch abtrainiert, der sie befähigt, zu sagen, dass sie für weniger als einen angemessenen Lohn nicht arbeiten. Das ist gerade für kleine Selbstständige fatal. Sie sollen nämlich auch noch wirtschaftlich arbeiten. Ihnen falsche Geschäftsmodelle vorzuwerfen, obwohl sie alles geben, um ihr Unternehmen ans Laufen zu bringen, ist purer Zynismus.

Ich frage mich, was Ursula von der Leyen mit diesem Vorschlag wirklich will. Will sie einen Schlag gegen die kleinen Unternehmer führen? Und warum? Sie stehen doch für die von der Regierung geforderte Innovation in Deutschland. Vielleicht, weil sie Selbstbewusstsein entwickeln könnten angesichts des Betriebes, den sie selbst und ganz allein aufgebaut haben? Wirtschaftlich betrachtet nützt es der Bundesregierung nichts, wenn die Leute nicht mehr selbstständig werden, sondern im Billiglohnsektor ebenfalls auf die Aufstockung durch die Staatskasse angewiesen sind. Bleibt nur zu vermuten, dass es wieder einmal um einen Propagandafeldzug gegen die leicht zu findenden Sündenböcke geht, um eine Ablenkung von den Schweinereien und Ungerechtigkeiten, gegen die sich die Bundesregierung bestenfalls nicht vorzugehen traut, weil sie zu schwach ist. Über das „schlimmstenfalls“ möchte ich heute mal schweigen.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Attacke gegen selbstständige Aufstocker

  1. name sagt:

    Im Firefox wird deine Seite sehr merkwürdig dargestellt. Irgend etwas funktioniert nicht mit den letzten Artikeln.
    Ansonsten danke für deine Texte.

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