In Syrien könnte der nächste Krieg entstehen

Den folgenden Beitrag habe ich bereits am 08.10.2012 für den Ohrfunk geschrieben, er ist aber immer noch aktuell.

In Syrien herrscht Bürgerkrieg. Er ist das, was uns von der so wunderbar romantisch anmutenden Arabellion, dem arabischen Frühling des Jahres 2011, geblieben ist. In Tunesien, Libyen und Ägypten haben sich neue Regime etabliert, und nur vom Ägyptischen wird man vermutlich noch hören, weil das Land der direkte Nachbar Israels ist und die neue Führung radikal-muslimischen Charakter hat. In Qatar, den vereinigten arabischen Emiraten und dem Jemen hat sich nichts wesentliches geändert, gleiches gilt für den Iran, obwohl die dortige Protestbewegung nur mittelbar zu den Erhebungen des arabischen Frühlings gezählt werden kann.

Bleibt also Syrien, wo nach wie vor gekämpft wird. Die freie syrische Armee, westlichen Medien zufolge ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Demokraten, Menschenrechtsaktivisten und echten syrischen Patrioten, kämpft gegen das, ebenfalls von westlichen Medien so genannte, grausame und verbrecherische Assad-Regime in Damaskus. Linke Aktivisten auf Twitter nennen die freie syrische Armee einen Haufen Verbrecher und Kriegsgewinnler, die, vom westen unterstützt und mit Waffen beliefert, die Region zum Vorteil Israels destabilisieren sollen, damit der Westen seine militärische und wirtschaftliche Macht ungehindert in der Region ausbreiten kann. Dies sei auch der Grund, sagen die Linken, dass sich Russland ein ums andere Mal den UN-Resolutionen gegen Assad widersetze.

Die Wahrheit ist: Wir kennen uns hier im Westen mit Syrien nicht aus. Wir kannten uns schon mit Libyen nicht aus, nicht mit Afghanistan und dem Irak, wir wissen praktisch nichts von Pakistan und nicht genug über Ägypten, um uns ein wirklich gutes Urteil bilden zu können. Eins aber kann man sogar mit halb geschlossenen Augen sehen: Keine Seite des syrischen Konflikts kann sich als die „Gute Seite“ fühlen. In der Methodik unterscheiden sie sich kaum: Bombenanschläge, Erpressung, Bedrohung und Ermordung von Zivilisten, all das geschieht auf beiden Seiten, und beide wollen vor allem eines: Die Macht. Wer jetzt das Assad-Regime als letztes Bollwerk gegen den bösen Westen bezeichnet, liegt meiner Meinung nach ebenso falsch wie die, die die sogenannte freie syrische Armee als den Hort westlicher Demokratie und Menschenrechte feiern. In Syrien geht es nicht um demokratische Veränderungen, sondern einzig und allein um die Macht.

So weit, so schlecht. Jetzt aber treten immer häufiger Konflikte mit der Türkei auf, einem NATO-Land und dem direkten Nachbarn Syriens. Die türkische Regierung beschuldigt Syrien, Ziele auf ihrem Gebiet mit Granaten angegriffen zu haben. Die türkische Armee reagiert darauf mit derzeit noch begrenzten Operationen auf syrischem Territorium, und mit Drohungen, die Angelegenheit zum Bündnisfall in der NATO zu machen. Das wäre ein perfekter Vorwand für das westliche Militärbündnis, selbst in Syrien einzugreifen, zugunsten der „freien syrischen Armee“ selbstverständlich. Linke Aktivisten auf Twitter nehmen sogar an, die NATO, oder zumindest die Türkei selbst, könnte die Zwischenfälle selbst initiiert haben, um einen Kriegsgrund zu haben, zumindest aber um als Vorbereitung auf einen Krieg mit Syrien die Spannungen in der Region anzuheizen. Bis vor ein paar Jahren hätte ich solche Ansichten einfach mit dem Wort „Verschwörungstheorie“ abgetan. Aber der Krieg gegen den Irak hat mich eines Besseren belehrt. Monatelang wurde der Bevölkerung in den westlichen Ländern vorgegaukelt, der Irak habe Massenvernichtungswaffen angesammelt, und nach Beratungen hinter verschlossenen Türen behaupteten ernsthafte Politiker, sie hätten unwiderlegbare Fotos gesehen. Später mussten dieselben Politiker mehr oder weniger deutlich zugeben, dass der Irak zu keinem Zeitpunkt Massenvernichtungswaffen besaß, und dass die angeblichen Beweise von den eigenen Geheimdiensten fingiert worden waren, um einen Kriegsgrund zu liefern. Seither weiß ich, dass es jederzeit möglich ist, dass der sogenannte freie Westen selbst einen Angriff auf den freien Westen inszeniert, um einen Krieg legitimieren zu können. Ich kenne Leute, die glauben, dass sogar die Anschläge am 11. September 2001 eine Finte waren, dass die CIA 3000 Menschen tötete, um Afghanistan angreifen und die Menschenrechte im Westen einschränken zu können. Das will ich bis heute nicht glauben, auch wenn es merkwürdig ist, dass das einzige Flugzeug, dass am 11.09.01 nach den Anschlägen noch starten durfte, Familienmitglieder von Osama bin Laden außer Landes brachte. Sicher ist aber, dass es möglich ist, dass die NATO auch im Falle Syriens nach dem Vorbild des Angriffs auf den Sender Gleiwitz verfährt. Am 31. August 1939 überfielen deutsche SS-Soldaten als Polen verkleidet den deutschen Radiosender Gleiwitz und verlasen eine Erklärung in polnischer Sprache. Dieser fingierte Überfall bot den willkommenen Grund zum Angriff Deutschlands auf Polen wenige Stunden später.

Niemand weiß, was in Syrien genau vor sich geht. Das sollten wir anerkennen. Leider neigen wir durch unsere Medienberichterstattung leicht dazu, einer Seite jedes Konflikts das Prädikat „Freischerler“ oder „Demokraten“ zu verpassen. Ist doch schöner, aufregender und romantischer wenn der Böse gegen den Guten kämpft, oder?

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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