„… und es war Sommer …“

Der folgende Text stammt von gestern, und ein freundlich gewährter WLan-Zugang ermöglicht es mir, ihn heute aus unserem ansonsten internetlosen Urlaub heraus zu veröffentlichen. – Und er behandelt ein Thema, das ich sonst selten zum Inhalt meiner Beiträge mache.

Der bislang einzig wirklich warme Tag unseres diesjährigen Urlaubs in Holland geht langsam zu Ende. Ich sitze auf der Terrasse unseres kleinen Hauses, die Vögel singen ihr Abendlied, und es kühlt merklich ab. Aber den ganzen Tag über brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel herab. Deshalb sitze ich hier und schreibe, während der Kuckuck hinter mir ruft. Im Haus läuft eine alte Candlelight-Sendung, die uns mit Musik aus dem Jahre 1976 unterhält, und kurz zuvor habe ich das Lied von Peter Maffay gehört, das er 1976 herausgebracht hat: „… und es war Sommer…“

Ich mag dieses Lied vom ersten wahren Sommer des Lebens. Ich mochte es immer schon, wusste aber als Jugendlicher lange nicht warum. Aber heute weiß ich es. Es ist die sinnliche, leise Erotik, die ich wieder in diesem Lied spüre, nachdem sie mir viele Jahre nicht mehr recht aufgefallen ist. Heute, in der warmen Sonne eines Tages mitte Mai kann ich diesen ersten Sommer der Liebe fühlen. Für mich etwas, was man all zu leicht vergisst, wenn man älter wird. Irgendwann am älteren Ende der Pubertät sind solche Lieder dann doof, schmalzig oder schlagermäßig. Aber ganz hat es mich nie losgelassen. Die Geschichte von dem Jugendlichen, der eines heißen Nachmittages von einer wesentlich älteren Frau verführt wird, kenne ich in drei Versionen: Im englischen Original von Bobby Goldsborrough, in deutsch von Peter Maffay und in niederländisch von Rob de Nijs. Mir gefallen sie alle drei, und sie lösen gleichermaßen Freude, Melancholie und Sinnlichkeit in mir aus.

Dass ich das Lied immer schon mochte, hat einen ganz einfachen Grund. Mich ziehen sexuell aktive und selbstbewusste Frauen an. Ich finde es wunderbar, wenn sie ihre Erotik und Sinnlichkeit nicht verstecken, wenn sie sie deutlich zeigen und keine Scheu haben, sie auszuleben. Die nackte Frau, die sich in dem Lied dem jungen Mann zeigt und ihn auffordert, den Abend und die Nacht mit ihr zu verbringen, ist eine solche Frau. Mir war es damals nicht bewusst, aber in kaum einem anderen Lied habe ich solche Frauen beschrieben gefunden: natürlich, freundlich, sinnlich. Genau eine solche Frau, wie ich sie mir als schüchterner, eher passiver Mann oft gewünscht und vorgestellt habe. Als ich mich der härteren Popmusik zuwandte, suchte ich auch nach Liedern, die eine solche Art von Erotik direkter, fordernder, aggressiver beschrieben. Für mich stellten sie ein Sinnbild für größere sexuelle Freiheit dar. Ich habe sie nicht gefunden, fast ausschließlich begegneten mir Lieder, in denen Frauen ihre aktive Sexualität und Sinnlichkeit zur Schau stellten, kaum aber welche, in denen sie sie selbstbewusst lebten.

Und deshalb traf mich heute das Lied von Peter Maffay mit seiner einfachen, sinnlichen Schönheit voll ins Herz. Es hat nichts aufgesetztes, nichts provokant laszives, nichts aggressiv sexuelles an sich. Nur Freundlichkeit, Lust und Begehren sprechen aus den drei fast gleichlautenden Texten der unterschiedlichen Versionen. Aus der modernen Musik sind wir heftige Anmache oder schablonenhafte sexuelle Ergebenheit gewohnt, nicht aber diese einfache, unverschleierte Klarheit. Das schönste aber ist die Freundlichkeit der erfahrenen, lustvollen Frau gegenüber dem unerfahrenen, begehrenden jungen Mann. In diesem Lied darf ein Mann schüchtern und unerfahren sein, und eine Frau darf ihn begehren und ihn in die Liebe einführen. Für mich damals wie heute ein echtes Juwel.

Vor ein paar Wochen habe ich mich mit meiner Liebsten darüber unterhalten, was die nach der sogenannten sexuellen Revolution aufgeblühte Pornoindustrie auf die Menschen für Auswirkungen hatte. Wir kamen zu dem Schluss, dass u. A. Wünsche geweckt wurden, die vorher so nicht vorhanden waren, künstliche Wünsche, die weit über daß Maß dessen hinaus gingen, was eine reine sexuelle Befreiung und Entmoralisierung ausgelöst hätte. Wer viele pornographische Darstellungen und Schriften konsumiert, kann vielleicht die Erotik in den kleinen Dingen nicht mehr so erkennen, kann sich nicht mehr mit ihr zufrieden geben. Für den mögen lieder wie „und es war Sommer“ reiner Schmalz sein, in dem die Erotik aus der Andeutung einer nackten Frau mit langen Haaren besteht, und aus der Ahnung von Lust, Leidenschaft, Erstaunen, Freude und Glück in einer warmen Sommernacht. Ein Lied, in dem das Geheimnis, das heute für kaum noch einen Menschen ein Geheimnis ist, nur andeutungsweise gelüftet wird, in dem die Vorstellungskraft des Hörers angeregt, nicht seine Gier und Lust nach möglichst detaillierten Darstellungen sexueller Akte befriedigt wird.

Und heute, in dieser sommerlichen, warmen Stimmung konnte ich dieses Geheimnis wieder als etwas schönes, erregendes, erfüllendes wahrnehmen. Aber es gab auch Melancholie in mir. Melancholie darüber, dass wir uns manchmal so sehr mit Sex und Pornographie zubaggern, es als Freiheit begreifen und darüber die wahre, nicht schablonisierte, schöne, vielseitige, durch eigene Phantasie angefachte Sexualität vergessen. Das Geheimnis, die Andeutung, die Hoffnung auf kommende Leidenschaft, das alles kann ungemein erregend sein. Solche Schätze sollten wir hüten.

Es ist kühl geworden, die Candlelight-Sendung klingt aus, ich ziehe mich ins Haus zurück. Heute Nacht wird es bitter kalt, aber es bleiben warme Gedanken. Gedanken wie die Erinnerung an einen ersten Sommer im Leben, einen Sommer der Liebe, der Lust und des Begehrens, den man im hektischen Leben oft irgendwann vergisst.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu „… und es war Sommer …“

  1. Dazu passt auch das schöne Lied von Dalida „Er war gerade 18 Jahr“.

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