Revolution 3.0 in Ägypten

In Ägypten fand jetzt die dritte Revolution in drei Jahren statt, so sehen es einige. Andere sagen, alles sei nur eine Scharade. Wenn dem so ist, dann ist es eine Scharade mit vielen Toten und Verletzten.

Ich kann mich noch an den Abend des 11. Februar 2011 erinnern, an dem die Rede des damaligen ewigen ägyptischen Präsidenten Mubarak in unsere Wohnzimmer übertragen wurde. Eine Rede, mit der er dem sogenannten arabischen Frühling trotzte und behauptete, er werde niemals abtreten, man müsse ihn als Leiche aus dem Amt tragen. Weniger als 24 Stunden später war er abgesetzt, und die demokratische Revolution schien gesiegt zu haben. Ägypten, so hoffte man damals, könnte ein positives Beispiel für viele arabische Staaten bieten, ein Beispiel für einen friedlichen Übergang zu westlich-demokratischen Strukturen. Experten warnten schon damals, dass im neuen Ägypten ohne die Muslimbrüder, die seit Jahrzehnten unterdrückt wurden, nichts lief. Und warum denn auch nicht: Die Muslimbrüder seien, so sagten die Experten, nicht so radikal wie in anderen Ländern. Sie seien bereit, hieß es, sich auf demokratische Spielregeln einzulassen.

Es bedurfte einer Art zweiter Revolution etwa 15 Monate später, um den regierenden Militärrat, also die sogenannte Übergangsregierung, dazu zu bewegen, freie Präsidentschafts- und dann auch Parlamentswahlen auszuschreiben. Weil man so lange den Deckel auf dem Topf gehalten habe, sagten die Experten, erfreuten sich die Muslimbrüder immer stärkerer Zustimmung. Von den Demokraten, die im Januar und Februar 2011 auf dem Tahrir-Platz demonstriert hatten, war plötzlich nichts mehr zu sehen, ganz Ägypten wollte die Muslimbrüder an der Macht sehen.

Ganz Ägypten? Nachdem der Muslimbrüder-Präsident Mohammed Mursi ein Jahr im Amt war, und das Parlament, ebenfalls von den Muslimbrüdern beherrscht, nur ein knappes halbes Jahr, wendet sich die ganze Nation an die Streitkräfte, die sie 60 Jahre unterdrückten, um die Muslimbrüder abzusetzen und endlich, endlich demokratische Strukturen aufzubauen. Aber: War die letzte Wahl nicht demokratisch? Habt ihr, liebe ägyptische Freunde, nicht die Muslimbrüder erst gewählt, die ihr jetzt auf einmal los werden wollt? Wir haben uns halt geirrt, wie die Deutschen und die Italiener auch schon mal, sagen einige Ägypter. Und nachdem gestern das Militär offen wieder die Macht übernommen hat und bereits wieder mit Repressalien gegen Andersdenkende beginnt, fühlt ihr da nicht schon wieder Katzenjammer nach dem großartigen Sieg? Habt ihr euch wieder geirrt? Kommt bald die nächste Revolution, die die Muslimbrüder zurück an die Macht hieft?

Ob die Revolution 3.0 in Ägypten wirklich eine war, kann man bezweifeln. Die lage in dem nordostafrikanischen Land war seit Jahren äußerst kompliziert. Das Militär duldete einen Muslimbrüder-Präsidenten und ein muslimisch dominiertes Parlament, aber die eigentliche Macht im Staat gab es nie ganz auf. Es war nicht schwer, den Präsidenten abzusetzen und die gerade angenommene Verfassung außer Kraft zu setzen. Die zivilen Behörden konnten nicht auf die Unterstützung der Soldaten rechnen, die ihren militärischen Führern gehorchten. Und weil das Volk unzufrieden ist, kann man es als einen Putsch im Namen und Auftrage des Volkes hinstellen. Aber das Volk will eine schnelle Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme, und die sind, auch unter der Militärherrschaft, immer noch da. Jetzt die alte Unterdrückungsmaschine auszupacken, die man ein paar Monate halbwegs still hielt, wird nichts an der Situation ändern.

Man sollte es ehrlich sagen, wie es ist: Die Militärs haben ein paar Monate westliche Demokratie mit machtbesessenen Islamisten ausprobiert, beide haben eine Weile versucht, sich an demokratische Spielregeln zu halten und dann festgestellt, dass sie sie nicht mögen, dass sie lieber die alleinige Macht wollen, dass eine Demokratie zu kompliziert ist und – igit! – andere Meinungen dort geduldet werden müssen. Also alles auf Anfang.

Die Hoffnungen des so oft gepriesenen arabischen Frühlings sind zerschlagen. Ägypten kommt nicht zur Ruhe, aber ein außenpolitisch ruhiges Ägypten ist im Interesse vieler Staaten. Darum wird man nichts gegen den Staatsstreich der Militärführung haben, auch wenn man ihn aus diplomatischen Gründen verurteilen muss. Noch ein Pulverfass im nahen Osten kann sich niemand leisten. Die Kehrseite der Medaille ist dann alerdings, dass man das Volk Ägyptens unterdrücken muss, ganz gleich, ob es westliche Demokratie anstrebt, oder einen Gottesstaat, in dem viele verunsicherte Menschen ihr Heil suchen.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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