Kein Asyl für Edward Snowden in Deutschland

Den folgenden Bericht habe ich am 04.11.2013 für den Ohrfunk geschrieben.

Heute Morgen überraschte mich die Zeitung – es ist egal, welche wir nehmen, es stand überall – mit der Ansicht der Linksfraktion, man könne die Bundesregierung per Bundestagsbeschluss dazu zwingen, Edward Snowden in Deutschland Asyl zu gewähren. Angesichts der Lage, in der sich der amerikanische Whistleblower im russischen Exil befindet, klingt dies nach einem vernünftigen Vorschlag, aber es wird nicht passieren, ganz egal, was die Zeitungen schreiben.

Eigentlich ist die Sache für Laien ja ganz einfach. Im deutschen Grundgesetz, Artikel 16a, können wir klar lesen: „Politisch Verfolgte genießen Asyl.“ Es folgt dann noch die Einschränkung, dass das Asylrecht erlischt, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat eingereist sind oder dort leben. Damit müsste Edward Snowden, der uns allen mitgeteilt hat, wie sehr wir von den USA und ihren Geheimdiensten überwacht werden, geradezu mit offenen Armen in Deutschland aufgenommen werden, zumal man Russland ja beileibe nicht als sicheren Drittstaat bezeichnen kann. Leider sind Politiker, Juristen und Wirtschaftsexperten keine Laien, und darum ist die Sache viel komplizierter.

Wird Edward Snowden überhaupt politisch verfolgt?

Der Begriff der politischen Verfolgung ist im Gesetz nicht genau definiert. Aber das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff in seiner Rechtssprechung ausgestaltet. Politische Verfolgung liegt demnach vor, „wenn dem Einzelnen durch den Staat oder durch Maßnahmen Dritter, die dem Staat zuzurechnen sind, in Anknüpfung an seine Religion, politische Überzeugung oder an andere, für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen, ihn aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen und in eine ausweglose Lage bringen.“ Bei dieser Situation sieht es für Edward Snowden gar nicht so gut aus, wie man zunächst denken mag. Er mag aufgrund seiner politischen Überzeugung gehandelt haben, als er die Überwachung durch die NSA publizierte, aber ist diese Überzeugung ein unverfügbares Merkmal, also etwas, das er nicht ändern kann? und: werden ihm wegen seiner Handlung Rechtsverletzungen zugefügt, die seine Menschenwürde verletzen, ihn aus der staatlichen Friedensordnung ausgrenzen und in eine ausweglose Lage bringen? Wäre ein Prozess gegen ihn eine Menschenrechtsverletzung an sich? Eindeutig hat er gegen gesetzliche Bestimmungen gehandelt und Geheimnisse verraten, die ihm als solche bekannt waren. Ein Grund für einen Asylberechtigtenstatus könnte höchstens darin liegen, dass Edward Snowden wegen Hochverrats in den USA die Todesstrafe droht. Doch weil er unabweisbar die Gesetze seines Heimatlandes verletzte, und weil dieses Land bei allerKritik als Rechtstaat gilt, kann ich mir kaum vorstellen, dass Edward Snowden als Asylbewerber anerkannt würde.

Also doch kein sicherer Aufenthalt für Edward Snowden in Deutschland?

Doch, ein solcher Aufenthalt wäre möglich, aber nicht nach dem Asylrecht. Der jetzige Zustand ist für den Whistleblower unhaltbar. Russland hat ihm eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr gewährt, und ich möchte nicht wissen, wie sehr er von den russischen Behörden und Diensten bearbeitet wird. Dass Russland aufgehört hat, ein Rechtsstaat zu sein, dürfte allen spätestens seit dem Verschwinden der Pussy-Riot-Sängerin Nadeshda Tolokonnikowa vor 14 Tagen klar geworden sein. Es wäre also wichtig, Edward Snowden zu helfen. Ein gangbarer Weg wäre die Aufnahme Edward Snowdens aus völkerrechtlichen Gründen bzw. wegen besonders gelagerter politischer Interessen der BRD. Hier kann nach dem Aufenthaltsgesetz z. B. das Bundesinnenministerium eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Der Linksfraktion geht es darum, diese Aufenthaltserlaubnis durch einen Bundestagsbeschluss zu erwirken. Damit wäre Edward Snowden zwar kein Asylbewerber, wie die Zeitungen es vermitteln, aber ein Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis.

Allerdings kann eine solche Aufenthaltserlaubnis wieder zurückgezogen werden, oder sie kann von Anfang an nur vorübergehend erteilt werden. Insofern sollte die Bundesregierung nichts dagegen haben, dass Edward Snowden nach Deutschland kommt. Er könnte dann vor deutschen Gerichten und Untersuchungsausschüssen zur NSA-Affäre aussagen und sicher hier leben, solange es der Bundesregierung gefällt. Warum also hat die Bundesregierung so große Probleme damit, ihm diesen Aufenthalt anzubieten? Ist es nur das gestörte Verhältnis zu den USA, dass, wie es der CSU-Politiker Uhl formulierte, nicht grenzenlos belastbar sei?

Nein. Vielmehr muss die Bundesregierung Angst haben, dass sie den Whistleblower nicht mehr ausweisen oder abschieben darf, wenn er erst einmal deutschen Boden betreten hat. Denn das Aufenthaltsgesetz regelt in seinem § 60 Absatz 2: „Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.“ Und der Satz 1 des Absatzes 3 lautet: „Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, wenn dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht.“ Wie wir inzwischen wissen, treffen beide Kriterien für ein Abschiebungsverbot auf die USA zu. In einem Staat, in dem Waterboarding durchgeführt wird, kann man von Folter oder erniedrigender Behandlung sprechen. Und selbst die USA bestreiten nur zaghaft, dass Edward Snowden mit der Todesstrafe rechnen muss, wird er dort vor Gericht gestelt.

Natürlich möchte auch die Bundesregierung genauer wissen, wie sehr Deutschland ausspioniert wurde und wird. Gleichzeitig wäre sie meiner Ansicht nach durchaus bereit, Edward Snowden in Deutschland festnehmen zu lassen und an die USA auszuliefern. Wegen der auch gerichtlich einklagbaren Abschiebungsverbote wäre dies aber unter Umständen schwierig. Würde Deutschland den Whistleblower an die USA ausliefern, wäre dies möglicherweise dem Ansehen der BRD in der Welt nicht besonders förderlich, und auch dies will die Bundesregierung vermeiden. Deshalb ist es ihrer Ansicht nach besser, man vernimmt Snowden in Moskau, bietet ihm aber keine Aufenthaltserlaubnis an.

Natürlich könnte der Bundestag, wie die Linksfraktion es wünscht, die Bundesregierung auffordern, Edward Snowden nach Deutschland zu holen und ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren. Er kann dies auch tun, weil er ihn als Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss vernehmen will. Aber regelrecht zwingen kann das Parlament die Regierung in diesem Falle nicht. Außerdem ist fraglich, ob die SPD gerade während der Koalitionsverhandlungen mit der Union für eine Aufenthaltserlaubnis für Edward Snowden stimmen würde. Ich glaube es eher nicht. Die SPD möchte die Union nicht verärgern, die Union und die Bundesregierung möchten das Verhältnis zu den USA nicht weiter belasten. Daher wird es meiner Ansicht nach nicht zu einer
Aufenthaltserlaubnis für Edward Snowden in Deutschland kommen.

Ich würde mich freuen, wenn ich mich täuschte.

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Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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