Neujahrsansprache 2: Leistungsbereitschaft, Engagement und Zusammenhalt

So eine Neujahrsansprache sagt einiges aus über die Mentalität der Regierenden und ihre Einstellung zu den Regierten, aber auch zu den Themen, die die Regierung besonders interessiert. Insofern ist sie ein diplomatisch interessantes Dokument.

Was ist es, so fragen sich Philosophen, Journalisten und Politiker immer wieder, was Deutschland im Kern ausmacht? Mit welchen Worten können wir unser Land zutreffend und kurz beschreiben? Die Bundeskanzlerin hat unser Land auf drei Begriffe reduziert: Leistungsbereitschaft, Engagement und Zusammenhalt. Es hört sich eigentlich nach einer schönen Liste an, sind es doch durchweg positive Eigenschaften, die sie ihrem Volk andichtet. Doch die merkelschen Tugenden sagen eigentlich mehr über die Regierung und ihre Einstellung zu ihrem Volk aus, als über das Volk selbst.

Natürlich ist der erste Begriff die Leistungsbereitschaft. Es ist die uralte deutsche Tugend der Arbeitswilligkeit, der Überhöhung von viel Arbeit und Leistung für das Gemeinwohl. Auch heute noch ist es wohl die deutsche Urkraft. Mein Vater sagte immer: „Der Deutsche lebt, um zu arbeiten, der Franzose arbeitet, um zu leben.“ Und obwohl er sich manchmal wünschte, wir Deutschen hätten mehr von der französischen Mentalität, einfach weil es sinnvoller wäre, war er immer stolz auf seine deutsche Arbeitsmoral. Leistungsbereitschaft ist es also, die Angela Merkel an den Deutschen besonders schätzt. Nun bin ich der Letzte, der etwas gegen diese Leistungsbereitschaft hat. Ich bewundere Menschen, die kreativ sind, die ihr Unternehmen aufbauen, die sich Tag und Nacht ins Zeug legen können für ihr Geschäft, zumindest, so lange es mit Idealismus verbunden ist. Wenn man sich Tag und Nacht nur noch ins Zeug legt, um mehr Geld zu verdienen, aber keine Zeit mehr hat, um dieses Geld auszugeben, dann stimmt auch schon wieder etwas nicht. Trotzdem: Leistungsbereitschaft ist sicher wichtig, nur kann die Regierung ja gar nicht so stolz auf ihre leistungsbereiten Deutschen sein. Die Bestimmungen zum Arbeitslosengeld II sollen wieder einmal massiv verschärft werden, wie aus den Ergebnissen einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern ersichtlich wird. Millionen Menschen werden wie Faulpelze und Drückeberger behandelt, ihnen wird die Leistungsbereitschaft abgesprochen, und sie müssen das Gegenteil beweisen. So ist der Lob der
Leistungsbereitschaft durch die Bundeskanzlerin zugleich eine Aufforderung zu mehr Leistung, zu mehr Duckmäusertum seitens der Arbeitslosen, zu mehr Stillhalten seitens der Arbeitnehmer. Seid leistungsbereit, ruft sie uns durch die Blume zu, und seid froh, dass es euch noch so gut geht. Vor ein paar Tagen hat ein Bekannter gesagt, wenn heute im Fernsehen über Politik geredet werde, dann sei es eigentlich immer die Wirtschaftspolitik. Ich freue mich, dass sich dieser Gedanke nicht nur mir aufdrängt. Die Bundesregierung ist eine Wirtschaftsregierrung, und unter diesem Aspekt muss man den Lob der Leistungsbereitschaft betrachten. Es wäre schön, wenn die Regierung Leistung in jeder Form loben würde, ohne damit zweite und dritte Botschaften zu vermitteln.

Der zweite Begriff, den die Bundeskanzlerin benutzte, um unser Land zu charakterisieren, heißt Engagement. Sie hat natürlich völlig recht, und sie hat auch gute Beispiele genannt. Viele Menschen engagieren sich, im Großen wie im Kleinen. Sie sprach von den passauer Studenten, die im Frühjahr tausende von Hilfskräften über das Internet für die Opfer der Flutkatastrophe organisiert hatten, aber auch vom Engagement im Kleinen. Menschen, die beispielsweise Jugendinitiativen aufbauen, wo staatliche Kultur- und Jugendförderung weggefallen ist, verdienen dieses Lob. Kirchen ebenfalls, die sich engagieren, wo sich der Staat aus dem Sozialsystem immer mehr zurückzieht. Natürlich muss Angela Merkel dieses meist ehrenamtliche Engagement loben, auch in der Pflege, der Sterbebegleitung, sozialen Einrichtungen, bei den Tafeln und anderswo in der Gesellschaft. Der Staat baut das Sozialsystem ständig ab und setzt auf Eigenverantwortung der Bürger, die zwar für ihr soziales Engagement nicht bezahlt werden, aber am Ende des Jahres ein warmes Wort der Regentin erhalten. Es ist wahrlich viel Engagement nötig, um diese Gesellschaft zusammenzuhalten.

Und darum ist das dritte Wort der Kanzlerin auch der Zusammenhalt. Zwar fördert die Regierung in ihrer Politik die Ungleichbehandlung, aber gerade deshalb muss sie die Bürger zu mehr Zusammenhalt auffordern. Das große Ziel der Kanzlerin ist und bleibt, die Schuldenkrise zu meistern. Ich glaube ihr, dass sie alle Anstrengungen unternehmen will, um die Schulden abzubauen. Das bedeutet zwangsläufig weniger Ausgaben. Angela Merkel hält nichts von der Meinung, dass Staatsschulden zweitrangig sind und besser abgebaut werden können, wenn Kaufkraft und Zufriedenheit besteht. Ausgabenbegrenzung heißt Abbau des Sozialsystems und der Kulturförderung, aber auch Einschränkungen bei der Bildung und auf anderen Politikfeldern. Wie wir in Griechenland sehen wird gerade aufgrund dieser Politik die soziale Not größer, die Schulden übrigens auch. Trotzdem wird Angela Merkel auf diesem Kurs weiter fahren, und deshalb ist es wichtig, dass die Bürger untereinander mehr Zusammenhalt üben, sonst wird das Regieren schwer.

Obwohl: In Deutschland muss sich wohl kein Regierungschef Sorgen machen. Eine Revolution erfolgt hierzulande erst nach vorheriger behördlicher Genehmigung.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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Eine Antwort zu Neujahrsansprache 2: Leistungsbereitschaft, Engagement und Zusammenhalt

  1. kacepe sagt:

    Du schreibst „Menschen, die beispielsweise Jugendinitiativen aufbauen, wo staatliche Kultur- und Jugendförderung weggefallen ist, verdienen dieses Lob. Kirchen ebenfalls, die sich engagieren, wo sich der Staat aus dem Sozialsystem immer mehr zurückzieht.“

    Ich bin da ehrlich nicht sicher, ob sie dieses Lob wirklich verdienen – aus Sicht der Kanzlerin sicher. Selber stimme ich nicht in die Lobeshymnen des ehrenamtlichen Engagements ein. Das Heer der Ehrenamtlichen und die Institutionen, die dieses Freiwilligensystem stützen, mögen denken, sie tun da was Gutes. Tatsächlich arbeiten sie aber letztlich systemunterstützend und dazu gehört auch die Flucht des Staates aus der sozialen Verantwortung.

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