Buchtipp: Yascha Mounk: Der Zerfall der Demokratie

Vor einer Woche habe ich für den Ohrfunk ein sehr interessantes Buch rezensiert, das ich hier gern empfehlen möchte.

Es kommt äußerst selten vor, dass ich ein Sachbuch rezensiere, und noch seltener, dass es kein Hörbuch ist. Doch heute möchte ich eine Ausnahme machen, weil ich finde, dass wir einmal unaufgeregt, interessiert und mit offenen Augen den Zustand unserer Gesellschaft und insbesondere unserer Demokratie, pardon: unserer liberalen Demokratie, betrachten sollten. Fake News, der Aufstieg der Rechtspopulisten und der Zerfall alter Gewissheiten hinterlassen uns allzu oft ratlos und verunsichert. Da wäre es gut, wenn uns jemand in verständlicher Sprache und trotzdem wissenschaftlich fundiert einmal eine nüchterne Analyse liefern, die Ursachen für unsere Situation herausarbeiten und Lösungswege zum Erhalt der liberalen Demokratie aufzeigen würde. Und genau das tut der in Harvard lehrende Politikwissenschaftler Yascha Mounk in seinem Buch „Der Zerfall der Demokratie“. Mounk wurde 1982 in München geboren, stammt aus einer deutschen Familie jüdischen Glaubens und ging früh in die USA. Er kennt die Verhältnisse beiderseits des Atlantiks sehr gut. Sein Buch zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es an ein breites, politisch interessiertes aber nicht wissenschaftlich geschultes, Publikum gerichtet ist. Jedes seiner 10 Kapitel ist quasi ein eigener Aufsatz, in dem er die Krise der Demokratie aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und seine Erkenntnisse immer mit den anderen Kapiteln verknüpft, die wichtigen Dinge immer in leicht abgewandelter Form wiederholt, damit man den Faden nicht verliert und immer weiß, in welchem Kontext das gerade behandelte Thema steht.

Was aber macht dieses Buch so lesenswert?

Yascha Mounk erzählt vom einzigartigen Zusammenspiel von Volksherrschaft und individuellen Rechten. Dort, wo beides zusammenfindet, entsteht eine liberale Demokratie, eine Art Balance-Akt zwischen zwei widerstreitenden Interessen: Das liberale Denken sichert jedem Individuum unveräußerliche Rechte zu, die auch die Mehrheit nicht entwerten kann, und die durch technokratische, eher undemokratische Institutionen wie Zentralbanken, Verfassungsgerichte und selbstständig handelnde Kommissionen geschützt werden. Das Demokratieprinzip hingegen steht für die grundsätzliche Herrschaft des Volkes durch seine Parlamente, für größtmögliche handlungsfreiheit gewählter Vertreter. Nur, wo beide Prinzipien ausgewogen existieren, kann jene Art liberaler Demokratie entstehen, die wir gerade in der Bundesrepublik nach dem zweiten Weltkrieg erlebten. Heute aber zerfällt dieses System. In westlichen Ländern geht die Macht immer mehr auf die Beamten, die Lobbyverbände, die Zentralbanken, Kommissionen und Verfassungsgerichte über, und es entsteht ein undemokratischer Liberalismus, in dem die Rechte der Einzelnen zwar vorläufig weitgehend gewahrt bleiben, die Macht der Parlamente aber fast völlig verkümmert. In Ländern wie Polen und Ungarn, der Türkei und Russland, aber auch bei der Brexit-Campagne und der Trump-Regierung herrscht eher eine illiberale Demokratie. Die Mehrheit des Volkes will diese rechtsgerichtete Politik, zumindest derzeit, und sie will die Beschneidung der Rechte Einzelner, zum Beispiel der Flüchtlinge. In seinem Buch zeigt Yascha Mounk auf, warum die neue Rechte auf der ganzen Welt so gefährlich ist, weil sie das labile Gleichgewicht zwischen Liberalismus und Demokratie verschiebt, das wir für so stabil gehalten haben. Ausführlich schildert er beide Formen, die aus der liberalen Demokratie entstehen können, und die beide am Ende zu einer Diktatur führen: Zur Diktatur der Technokraten und Lobbyisten, oder einer tyrannischen Volksmehrheit, die mit der Zeit zur Minderheit wird. Dann erklärt der Autor, wie es so weit hat kommen können, und es spielen Geld, die Bildung, das Internet, das Ende der monoethnischen Staaten und die Entfremdung zwischen Bürgern und der politischen Kaste eine Rolle. Und schließlich entwickelt Mounk anhand dieser Analyse Vorschläge, wie wir zumindest versuchen können, die liberale Demokratie zu retten, die er sehr sehr ernsthaft in Gefahr sieht. Ob wir auf die Straße gehen oder uns in parteien engagieren, jeder kann etwas tun, aber jeder muss es auch, meint Yascha Mounk.

„Der Zerfall der Demokratie“ ist bei Droemer und Knaur erschienen, kann aber auch als Ebook ohne Kopierschutz erworben und heruntergeladen werden. Als Buch kostet es 22,99 Euro und hat 350 Seiten. Ich kann diese gut geschriebene, verständliche, aufrüttelnde und klarsichtige Analyse nur empfehlen.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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