Breaking my Twitter – Ende eines sozialen Netzwerks?

Der folgende Beitrag wurde für den Ohrfunk geschrieben. Er ist nicht so tiefgehend wie gut recherchierte Blogbeiträge, sondern reißt die Probleme nur an.

Am 16.08.2018 nimmt das soziale Netzwerk Twitter wichtige Änderungen an seinem Dienst für alle Teilnehmer vor, die über Programme, die nicht von der Twitter-Firma stammen, auf den Dienst zugreifen. Die wichtigsten Änderungen sind die Einstellung des sogenannten Streaming-Dienstes und der sogenannten Push-Benachrichtigungen. Der Streamingdienst sorgt dafür, dass man Tweets der Leute, denen man folgt, sofort nach ihrer Veröffentlichung erhält. Künftig werden Nutzer von Drittanbieter-Clients dies nicht mehr können. Sie sind darauf angewiesen, einige Male pro Stunde manuell Tweets herunterzuladen. Die Häufigkeit und anzahl der Tweets wird von Twitter allerdings begrenzt. Die sogenannten Push-Benachrichtigungen informierten den Nutzer bislang darüber, ob ein anderer Nutzer ihn erwähnt, seine Nachricht weitergeleitet oder ihm eine Direkte, persönliche Nachricht geschrieben hatte. Ohne diese Benachrichtigungen bemerkt man solche Ereignisse gar nicht.

Warum macht Twitter das?

Nun: Das Unternehmen möchte, dass man auf die hauseigenen Programme oder die Twitter-Website zurückgreift, um den Dienst zu nutzen. Im Gegensatz zu den Programmen der Drittanbieter werden dort das Streaming und auch die Push-Benachrichtigungen weiterhin zur Verfügung stehen. Der Grund dafür ist, dass man bei den hauseigenen Programmen der Werbung nicht entgehen kann, die Twitter schaltet, und auch nicht den aufdringlichen Nachrichten, bestimmte Tweets anzusehen oder zu bewerten. Die Drittanbieter haben die Twitterzeitleiste der Nutzer bislang einfach chronologisch und ohne Werbung gezeigt, was viele als einen guten gegensatz zum manipulativen Konzept von Facebook schätzten. Damit soll jetzt schluss sein: Twitter nähert sich Facebook an.

Doch schon jetzt muss der Dienst viel Kritik einstecken, weil viele User eben diesen Vorteil, den Twitter gegenüber Facebook hatte, sehr geschätzt haben und jetzt enttäuscht sind. Ein weiteres soziales Netzwerk übergeht die Wünsche der user aus Profitgier.

Die ganze Sache hat allerdings noch einen anderen aspekt: Für mich und viele andere blinde Menschen waren die für uns geschriebenen Twitter-Applikationen ein echter Segen. Sie waren viel schneller als das Arbeiten mit der Twitter-Webseite, und sie waren bedienbar, im Gegensatz zu den hauseigenen Twitter-Programmen. Seit genau 9 Jahren ist Twitter meine hauptquelle für journalistische Beiträge, informationen und Kommentare. Auch der Austausch mit Verfassern und Kommentatoren war und ist mir sehr wichtig. Das alles ist nun starken Einschränkungen unterworfen. Ich habe einfach nicht die Zeit, die Website zu benutzen, Werbung und aufdringliche Hinweise zu überspringen und mir meine Informationsquellen mühsam zu suchen. Twitter brachte mich nah ans Weltgeschehen heran. Ich kann es durchaus verkraften, wenn die Nachrichten, die ich erhalte, schon ein paar Minuten alt sind, doch die Einschränkung der Anzahl der Tweets und der Wegfall der Benachrichtigungen treffen mich schwer.

Gibt es vielleicht Alternativen zu Twitter?

Auf den ersten Blick nicht. Andere soziale Netzwerke gibt es zwar, die aus der Community stammen, nicht gewinnorientiert sind und keine Werbung einblenden, aber sie haben andere Probleme. Der Dienst Mastodon, der aus Deutschland stammt, ist vermutlich die bekannteste Twitteralternative. Ich teste es derzeit und kann es auch einigermaßen bedienen. Der Dienst ist dezentral, es gibt keinen zentralen Server, man muss sich bei irgendeiner der über 300 Instanzen anmelden, die im Hintergrund nur lose miteinander verbunden sind. Wenn einer der Instanzbetreiber keine Lust mehr hat und seinen Dienst abschaltet, ist man aus dem Netz gefallen und hat alle seine Follower verloren, man muss noch einmal ganz von vorne anfangen. Es ist so eine Art Freifunk auf Twitterbasis, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Hass und Hetze können aufgrund der dezentralen Struktur auf eine Instanz beschränkt werden, die man notfalls auch ausschließen kann. Andererseits sind die Instanzbetreiber Herren über Gut und Böse auf ihren Servern. Mastodon ist dem Ideal des nutzerfreundlichen, nutzerbetriebenen und nutzerkontrollierten Netzwerk näher als jeder andere Dienst, aber gleichzeitig auch weiter entfernt davon. Es ist komplizierter, hat weniger Ressourcen und ist störungsanfälliger. Trotzdem finde ich es gut und teste es, auch wenn die großen Medien, die ich bis jetzt für meine Arbeit gelesen habe, dort kaum vertreten sind.

#BreakingMyTwitter ist der Hash-Tag, mit dem viele Nutzer gegen die Änderungen bei Twitter protestieren. Bis jetzt übergeht sie das Unternehmen einfach. Es sind nicht genug, um der Aktie und dem Kapitalwert des Dienstes ernsthaft gefährlich werden zu können. Einige anbieter von Twitterclients haben schon aufgegeben, andere werden weiterhin versuchen, ihre Programme zu betreiben, solange Twitter sie lässt und ihnen den Zugang nicht vollkommen sperrt. Trotzdem: Für mich sind die Veränderungen mit einigen schmerzhaften Einbußen verbunden, und das bedaure ich sehr.

p. S.: Obwohl ich skeptisch bin, dass mastodon Twitter international und national wirklich ablösen kann, kann ich nur jedem und jeder meiner Leser und Leserinnen empfehlen, es einmal auszuprobieren. Zumindest eine freundliche Community ist dort zu finden, die sich extrem wohltuend von Facebook und teilweise von Twitter abhebt.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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